Israelisches Olympiateam der Gewichtheber 1972
When this photo was made Aug. 14th, the Israeli Olympic weightlifting team had high hopes for some success in the games. On Sept. 5, three of them were slain by Arab guerrillas in an ill-fated scheme to bring about the release of some 200 Arab prisoners held in Israeli jails. Slain were (from left): Zeev Friedman, David Berger and Joseph Romano. Team coach Tuvia Sokolovsky (right) managed to escape capture.
Bettman/Gettyimages
"Wir wollen eine faire Entschädigung"
Die Frauen der israelischen Sportler, die 1972 dem Attentat im Olympischen Dorf von München zum Opfer fielen, fordern höhere Entschädigungszahlungen.
Ruthe Zuntz
26.07.2022

Vor 50 Jahren überfielen palästinensische Terroristen elf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München. Sie erschossen zwei und nahmen die anderen als Geiseln. Die deutsche Polizei scheiterte beim Versuch, sie auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck bei München zu befreien. Alle Geiseln kamen ums Leben.

Ilana Romano ist Witwe des israelischen Gewichthebers Joseph Romano, der schon im Olympiadorf tödlich verletzt worden war und vor den Augen der anderen Geiseln verblutete. Ilana Romano fordert mit den anderen Hinterbliebenen eine faire Entschädigung für den Tod ihres Mannes. Seit 50 Jahren vertritt sie mit einer anderen Sportlerwitwe, Ankie Spitzer, die Familien der elf Ermordeten.

Joseph Romano mit Tochter Shlomit im Trainingslager der israelischen Mannschaft, 1972

chrismon: Am 5. September 2022 soll in München der vor 50 Jahren ermordeten Sportler gedacht werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Sie und die anderen Hinterbliebenen eingeladen. Kommen Sie?

Ilana Romano: Die Familien der Ermordeten haben beschlossen, dass – wenn von der deutschen Bundesregierung nach 50 Jahren kein Angebot zu einer fairen Entschädigung kommt – wir keinen Grund sehen, an der Gedenkfeier teilzunehmen. Wir werden die Zeremonie boykottieren.

Ilana Romano

Ilana Romano ist die Ehefrau des israelischen Gewichthebers Joseph Romano, der am 5. September 1972 bei den Olympischen Spielen in München von palästinensischen Terroristen ermordet wurde.
Ruthe Zuntz

Igal Avidan

Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Er lebt in Berlin und arbeitet als freier Journalist u. a. für verschiedene israelische Zeitungen und den Deutschlandfunk. Sein neues Buch "'… und es wurde Licht!' Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" erschien 2023 (Berenberg-Verlag).

2002 hat die damalige Bundesregierung der Gruppe der Angehörigen bereits drei Millionen Euro überwiesen. Wie kam es dazu?

1994 hatten wir geklagt und in zwei Instanzen verloren. 1999 hatte unser Anwalt eine Berufung beim Bundesverfassungsgericht vorbereitet, woraufhin uns Brigitte Zypries, damals Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, eine Entschädigung als Geste guten Willens anbot. Dafür sollten wir unsere Klage zurückziehen und nicht mit der Presse sprechen. Wir berieten mit den Familien der anderen ermordeten Sportler, unter ihnen auch KZ-Überlebende. Sie wollten nicht weitere acht Jahre vor Gericht kämpfen. Nach Zahlung der Gerichtsgebühren und Anwaltskosten blieben für alle 34 Angehörigen am Ende noch 920.000 Euro übrig.

Was wäre für Sie eine gerechte Lösung?

Wir, die Witwen, orientieren uns an der Entschädigungsregel im Fall des Lockerbie-Anschlags (ein Bombenattentat mit Flugzeugabsturz 1988, bei dem 270 Menschen starben, I.A.): zehn Millionen Dollar für jedes Opfer. Libyen spielte nicht nur in Lockerbie, sondern auch beim Terroranschlag in München 1972 eine zentrale Rolle. Die Terroristen hatten zuvor in Libyen trainiert und gefälschte Pässe erhalten. Später belohnte Libyens Diktator Gaddafi die überlebenden palästinensischen Attentäter mit Millionen, empfing sie in Tripolis als Helden und ließ sie danach dort unbehelligt leben. Alle drei sind dort auch begraben.

"Die Entschädigung würde Deutschland nichts kosten"

Warum sollte Deutschland das bezahlen?

Die Entschädigung würde Deutschland nicht einmal etwas kosten. Auf Konten in Deutschland lagern insgesamt sieben Milliarden Dollar aus Libyen, die man nach Gaddafis Tod 2011 eingefroren hat. Mit Hilfe der Bundesregierung könnte ein Teil dieses Geldes vom zuständigen Sanktionskomitee des UN-Sicherheitsrats freigegeben und an die Hinterbliebenen ausgezahlt werden.

Ihr ermordeter Mann, der Ringer Joseph Romano, hatte noch mit den Terroristen gekämpft.

Er wollte sie mit einem Obstmesser überwältigen. Dabei musste er auf Krücken laufen, weil er zwei Tage zuvor den Meniskus gerissen hatte. Gleich nach seiner Knieverletzung hatte er mich aus München angerufen und gesagt, er kehre für die Operation wieder heim. Und kurz nach dem Attentat riefen mich Polizisten an und sagten: Er wurde ermordet.

Und plötzlich standen Sie allein da mit drei kleinen Töchtern.

Ich lag im Bett, als meine Töchter zitternd und mit rot verweinten Augen zu mir kamen. Ich fragte sie, was man ihnen erzählt habe. Meine damals sechs Jahre alte Tochter, die ältere, antwortete: dass Araber Papa getötet hätten. Ich korrigierte sie: "Terroristen haben ihn getötet, nicht Araber." Mein Mann Joseph hatte arabische Freunde gehabt. Er sprach auch Arabisch, denn er wurde in Libyen geboren.

Ilana Romano mit Tochter Shlomit

Aufgrund des Interviews hat chrismon die Bundesregierung gefragt, ob sie auf die Forderungen von Ilana Romano und weiterer Angehöriger eingeht und bereit ist zu weiteren Entschädigungszahlungen.

Dies ist die Antwort des Bundesinnenministeriums vom 25. Juli 2022:

Anlässlich des bevorstehenden Jahrestages und noch immer offener Fragen der historischen Aufarbeitung und Einordnung hat die Bundesregierung diese Ereignisse und den Umgang mit ihnen in den vergangenen Wochen einer Neubewertung unterzogen. Die Bundesregierung hat entschieden, mit einer 3 Säulen umfassenden Gesamtkonzeption (Aufarbeiten. Erinnern. Anerkennen) die gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und in materieller Hinsicht erneut zu artikulieren und durch vollständige und umfassende Aufarbeitung der damaligen Ereignisse und durch erneute finanzielle Leistungen des Bundes, des Freistaats Bayern und der Landeshauptstadt München den besonderen Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel Ausdruck zu verleihen und den Ausgangspunkt einer neuen, lebendigen Erinnerungskultur zu schaffen.

Die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag soll Anlass für eine klare politische Einordnung der Geschehnisse des Jahres 1972 sein. Die zentralen Elemente der Konzeption umfassen die Einsetzung einer Kommission deutscher und israelischer Historikerinnen und Historiker zur umfassenden Aufarbeitung der Ereignisse; eine neue politische Bewertung, Einordnung und Erinnerung an die Ereignisse aus der Perspektive des Jahres 2022 sowie ein Angebot weiterer Anerkennungsleistungen an die Hinterbliebenen der Opfer des Attentats.

Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel hat Vertreter der Opferfamilien am 22.07.2022 über die Absichten der Bundesregierung informiert.

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Vorweg: Ich bin selbst vom Gräuel betroffen. Ist ein "Nichtbefürworter" jetzt ein Antisemit?