Franz Alt ist früh dran. Es ist noch fast eine Stunde hin, bis der Mann mit dem schneeweißen Haar seinen Vortrag auf den "Freigerichter Energietagen" hält. Also stellt er sich an einen Stehtisch. Zettel liegen darauf, mit einem Foto von Franz Alt auf dem Dach seines Hauses, die Hände auf eine Photovoltaikanlage gestützt. Daneben steht der Titel des Vortrags, "Lust auf Zukunft – Wie unsere Gesellschaft die Wende schaffen kann!". Er liest sich den Flyer durch. "Ah ja, klar, machen wir!"
Franz Alt, Jahrgang 1938, im Juli wird er 84 Jahre alt, sagt, dass er 15 Präsentationen auf einem Stick gespeichert habe, so viele verschiedene Vorträge könne er halten. Seine Bücher sind in einer Gesamtauflage von 3,5 Millionen Exemplaren und in mehr als 20 Sprachen erschienen. Sie handeln von Klimapolitik, Jesus, Michail Gorbatschow oder dem Dalai-Lama. Energiepolitik und Spiritualität? Für Franz Alt hängt das alles zusammen. Viele Menschen interessieren sich für seine Botschaften.
Menschen halten Smartphones hoch, um Fotos zu machen, wie auf einem Konzert
Mehr Stühle! Es geht auf 14 Uhr zu und ist voll geworden in der Freigerichthalle im hessischen Main-Kinzig-Kreis. Ein Mann muss Stühle auf einer Sackkarre herbeischaffen, damit alle einen Platz finden. Als Franz Alt die Bühne betritt, halten Menschen Smartphones hoch, um Fotos zu machen, fast wie bei einem Konzert, auf dem Teenies ihrem Idol zujubeln. Aber unter 40 ist kaum jemand im Saal, viele hier scheinen Alt zu kennen, seit der "Report Baden-Baden" ihn berühmt gemacht hat – oder Alt den "Report Baden-Baden", der heute "Report Mainz" heißt.
Alt moderierte das Politmagazin in der ARD, als er eines seiner Lebensthemen entdeckte: die Energiepolitik. Von der Klimakrise redete damals, in den Achtzigern, fast niemand, wohl aber ging es um drohende Atomkriege, Aufrüstung und Friedenspolitik. Franz Alt kommentierte gegen den Nato-Doppelbeschluss, zur besten Sendezeit, schon damit eckte er an in der CDU, der er damals noch angehörte. Aber dass Atomkraft Strom liefert – dagegen hatte er nichts. Alt erinnert sich gut daran, dass sich Hartmut Gründler, Pfarrerssohn und Kritiker der bundesdeutschen Atompolitik, 1977 in Hamburg aus Protest verbrannte und starb. Das konnte er nicht verstehen.
Tschernobyl brachte ihn ins Grübeln
Der Super-GAU in Tschernobyl im April 1986 brachte ihn ins Grübeln. Und wenn der Zweifel einmal nagt, kommt Franz Alt nicht zur Ruhe, dann will er mehr wissen, die Menschen aufklären. Er interviewte Wladimir Tschernousenko, einen sowjetischen Atomphysiker und Chef der Aufräumarbeiten, der zwei Generationen von Studierenden eingeführt hatte in die Grundlagen der Kernkraft. "Als glühender Atomanhänger lässt man sich von so einem Menschen natürlich eher überzeugen als von einem Umweltfuzzi, der schon immer gegen Atomenergie war", sagt Franz Alt heute. Das Interview lief in der ARD, 45 Minuten lang, inzwischen kaum mehr vorstellbar. Alt ging als Atomfreund in die eigene Sendung, insistierte gegenüber Wladimir Tschernousenko, dass bundesdeutsche Reaktoren sicherer seien als sowjetische. Tschernousenko erwiderte, ein Restrisiko bestehe immer.
Es gibt eine Reihe von Kernsätzen, die im Leben von Franz Alt Wegmarken darstellen, die ihn veranlasst haben, abzubiegen, die Richtung der eigenen Gedanken zu ändern. Einen dieser Sätze sagte Wladimir Tschernousenko in jener Sendung, und Franz Alt ruft ihn dem Publikum in Freigericht zu: "Das Restrisiko ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann." Wladimir Tschernousenko starb 1996 in Deutschland an Krebs, zehn Jahre nach dem Atomunfall. Alt war sein Freund geworden.
Schon vor dem Interview mit dem Atomphysiker war Alt seinem Sender, dem Südwestfunk, SWF, heute SWR (Südwestrundfunk), ein unbequemer Mitarbeiter. Aber nun wies er auf Sicherheitsrisiken in westdeutschen Kernkraftwerken hin, wieder und wieder. Sein Intendant war früher Bürochef von Helmut Kohl gewesen, damals Bundeskanzler, die Drähte nach Bonn waren kurz. Auf Kohl geht der Satz zurück: "Der Alt muss weg!"
Bis heute ist Franz Alt der einzige Moderator eines Politmagazins, der zeitweise aus inhaltlichen Gründen suspendiert war. Franz Alt führte mit den Jahren acht Prozesse vor dem Arbeitsgericht gegen den eigenen Sender, klagte sich zurück. "Dadurch wurde ich viel populärer, als ich es vorher war!" Wenn er Zug fährt, sprechen ihn immer noch Menschen an, "Sie sind doch …!" 1988 trat er aus der CDU aus, zu seinem 50. Geburtstag - ein Geschenk an sich selbst sei das gewesen, sagt er. Danach hatte er Ruhe, galt nur als Nervensäge; "Hofnarr" nennt Alt selbst seine damalige Rolle. Aber der Nestbeschmutzer war er nicht mehr.
Gegen etwas zu sein, die Atomkraft abzulehnen – das hatte ihn Kraft gekostet. Er wollte wieder für etwas sein, Alternativen aufzeigen. Zweifel sind eine große Motivation im Leben des Franz Alt, Begegnungen und die Kraft der Träume eine andere. Schon 1981 kam er in Kontakt mit Hermann Scheer, dem SPD-Politiker und "Querdenker" - damals war das Wort noch nicht vergiftet. Scheer war Friedenspolitiker, er setzte sich für erneuerbare Energien ein, weil er in der Atomkraft die Gefahr sah, dass sie militärisch missbraucht werden würde. Alt erinnert sich, dass Scheer ihm 1992 sagte: "Solarenergie ist nahezu kostenlos."
Franz Alt träumte seinen Bestseller-Titel
Schon früher hatte Alt es sich zur Gewohnheit gemacht, ein Traumtagebuch zu führen. Und in der Nacht nach dem Interview mit Hermann Scheer flüstert ihm ein Traum den Satz zu: "Die Sonne schickt uns keine Rechnung." Er wird der Titel eines Buches, das 1994 erschien, als eine Energiewende hin zur Photovoltaik und Windkraft noch als Spinnerei galt. Es ist mittlerweile in mehreren Auflagen erschienen. Und an manchen Tagen liefern Sonnen- und Windenergie in Deutschland bereits die Hälfte des Stroms. Hermann Scheer ist 2010 gestorben, nur Wochen nachdem sein Buch "Der energethische Imperativ" herausgekommen war. Alt hat ein persönliches Exemplar mit Widmung. "Franz, der Kampf geht weiter." Franz Alt wiederholte die Worte, auf Wunsch der Familie, am offenen Grab. "Hermann, der Kampf geht weiter."
Als Franz Alt in Freigericht spricht, ist der Kampf gegen die Klimakrise nicht ausgestanden, im Gegenteil. 50 Prozent erneuerbarer Strom sind nicht 100 Prozent, und in Zukunft werden wir mehr Strom als heute brauchen, weil wir damit auch heizen und mobil sein werden. Die Atmosphäre erwärmt sich immer schneller. Oft hüllen die Projektionen seines eigenen Vortrags die weißen Haare und das weiße Hemd in ein buntes Licht. Kurven sind darauf zu sehen, sie zeigen, wie das Kohlendioxid in der Luft und die globale Durchschnittstemperatur steigen. Aber der Vortrag heißt ja "Lust auf Zukunft". Alt will Lösungen aufzeigen und berichtet von Photovoltaikanlagen, die sich mit der Sonne drehen, und von Häusern, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen. "Die Sonne schickt uns 15 000-mal mehr Energie, als wir überhaupt verbrauchen können!" – Noch so ein Altscher Kernsatz. Ein anderer ist im Winter dazu gekommen, als Russland die Ukraine überfallen hat. "Wir finanzieren mit fossilen Energieimporten einen Massenmörder. Spätestens jetzt hat Putin uns doch klargemacht, dass wir uns selbst mit Energie versorgen müssen!"
Beim Energie-Stammtisch Freigericht engagieren sich Menschen, die sich für Windenergie in der Region stark machen, bald soll es einen Bürgerentscheid geben. Nach Alts Vortrag meldet sich der Revierförster zu Wort, argumentiert gegen Windenergieanlagen, die dem Forst schaden würden. "Sehen Sie es nicht auch so, Herr Alt, dass wir mehr Photovoltaik und weniger Windenenergie nutzen sollten?", will er wissen. Eine heikle Frage, nicht nur hier.
Es ist absehbar, dass sie die Menschen vielerorts in Deutschland beschäftigen, für Streit Sorgen wird. Franz Alt hört geduldig zu, reagiert höflich, dass er die Gegebenheiten im Ort nicht so genau kenne, man aber beides brauche und nicht gegeneinander ausspielen solle – Sonne und Wind. "Mir geht es mit 83 besser als vor 15 Jahren, weil ich jeden Tag ein Waldbad nehme. Wald ist wichtig. Wo er für Windenergie verloren geht, müssen wir ihn anderswo aufforsten." Sicher hat Franz Alt den Konflikt so nicht befriedet, aber die Menschen im Saal hat er für sich eingenommen.
Müssen immer alle Seiten gehört werden, sogar Leugner des Klimawandels?
Alt sagt, er habe als Reporter immer eine Meinung gehabt, aber stets auch andere Meinungen hören und senden wollen. Schon vor Jahrzehnten haben ihn, den Journalisten, Fragen umgetrieben, die heute im Journalismus debattiert werden. Sind Journalisten neutrale Berichterstatter oder Akteure, die handeln? Müssen immer alle Seiten gehört werden, sogar Leugner des Klimawandels?
Für sich persönlich hat Franz Alt diese Fragen längst beantwortet. Als das Ehepaar Christel und Rupert Neudeck 1979 mit der Cap Anamur vietnamesische Geflüchtete im Südchinesischen Meer rettete, berichtete Alt wohlwollend, ermutigend. Und als anfangs kein einziges Bundesland die Menschen aus Vietnam aufnehmen wollte, begleitete er Rupert Neudeck zum niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht und half, ihn zu überreden. Kollegen sahen das kritisch, aber Franz Alt sagt: "Wenn es um Menschenleben geht, gilt die klassische Position, immer neutral zu sein, nicht. Da gibt es Engagement und sonst gar nichts."
Auch diese Haltung brachte ihm immer wieder Ärger im Sender ein. Früher war es verboten, Kontonummern für Spenden im Fernsehen einzublenden. Also nannte Alt nach einem Beitrag über die Andheri-Hilfe, die blinden Menschen mit Operationen hilft, die für europäische Verhältnisse nur wenig Geld kosten, die Adresse der Organisation. Und die Menschen schickten Schecks. Nach vier Tagen kamen sechs Millionen Mark zusammen. Am Tag vor seinem Vortrag in Freigericht war Franz Alt Gast auf der 55-Jahr-Feier der Andheri-Hilfe in Bonn. Man merkt ihm an, wie stolz er ist über den Dank der Menschen. Dank dafür, dass er mit seinem Instinkt Themen angestoßen hat, die bis heute aktuell sind.
Franz Alt hat viele Vorbilder. Michail Gorbatschow gehört dazu, auch der Dalai-Lama, den er dank seiner Frau Bigi Alt kennenlernte und den er längst zum Freund der Solarenergie gemacht hat. Hermann Scheer natürlich. Oder der Psychiater Carl Gustav Jung, dessen Lehren ihm über Lebenskrisen hinweghalfen. Und dann ist da noch Jesus. Es war in Bonn in der Andheri-Hilfe, die er in den Achtzigern erstmals besuchte, als er ein Bild entdeckte, das Jesus am Kreuz zeigte, ohne Arme, ohne Hände. Alt studierte Politik, Geschichte, Philosophie und auch Theologie, aber durch dieses Bild erst habe er komplett verstanden, was das Christentum denn sei: "Entweder eines der Tat – oder keines", sagt er. "Und die Tat, das ist unsere Aufgabe, wir sind Jesu Hände und Arme, das hat mir dieses Bild gezeigt." Franz Alt hadert mit seiner katholischen Kirche und einem "Christentum der frommen Sprüche". Mit ihrer Sexualmoral habe die katholische Kirche "Milliarden an Sexualneurosen" verursacht, "aber Jesus vertritt doch eine Frohbotschaft und keine Drohbotschaft!"
Viele seiner Weggefährten leben nicht mehr, Franz Alt hat sie an ihren Gräbern mit letzten Worten verabschiedet, kürzlich erst Henning Zierock, einen Mitstreiter aus der Friedensbewegung. Und Franz Alt selbst, hat er Angst vor dem Tod? "Warum soll ich als Christ Angst davor haben? Der Tod hat nicht das letzte Wort, sondern die Liebe. Wir leben nicht, um zu sterben, sondern wir sterben, um zu leben."
Angst? Ist nicht schlimm. Angst ist wertvoll!
Und was ist mit den Ängsten, die uns derzeit plagen? Vor dem Krieg? Vor der Klimakrise und Erderhitzung? Greta Thunberg, die Klimaaktivistin, 65 Jahre jünger als Franz Alt, sagte einmal: "I want you to panic" - Ich möchte, dass Sie in Panik geraten. Franz Alt lächelt, als man ihm den Satz vorträgt. Er findet nicht, dass Angst etwas Schlimmes ist, im Gegenteil, sie sei wertvoll. "Angst ist etwas, das wir mit Aktion überwinden können."
Dann drückt er dem Gast ein Geschenk in die Hand, sein Buch "Wenn Leben gelingt. Eine Anleitung zum Glücklichsein". Ein schmaler Band. Alle Menschen, denen Franz Alt dankbar ist, von denen er etwas mitgenommen hat, kommen vor, Jesus, seine Frau Bigi, mit der er bis heute auf seiner Homepage "Sonnenseite" über neue Energien berichtet. Die eigenen Eltern und, klar, Hermann Scheer, der Agnostiker, der bei einem Spaziergang zu Alt sagte: "Ich spüre, dass es der Geist ist, der mich trägt. Er trägt weit." Franz Alt, der Christ, hat seine eigenen Gedanken unter diese Sätze gesetzt. "Und wie heißt es doch im Johannes-Evangelium? ‚Gott ist Geist.‘"
Wer das liest, versteht etwas besser, wie es sein kann, dass ein 83 Jahre alter Mann in Deutschland 2022 einen Saal füllen kann: Weil die Zeit reif ist für rastlose Geister.
Und der von Franz Alt wird keine Ruhe geben.
Ein sehr guter nachdenklicher
Ein sehr guter nachdenklicher Text, zu dem es kein ABER geben sollte. Ein Text geschrieben mit dem Geist eines "alt-en" Idealisten. Diese Weisheit schadet nicht und auf die Sonne ist Verlass.. Die Rotation der weltlichen Veränderungen wird immer schneller. Eine neue Weltordnung ist das Ziel von Putin und XI. Aber auch die Rohstoff- und Edelmetallstaaten wollen einen grösseren Anteil. Von uns. Von wem denn sonst? Die Energie ist nicht in allen Staaten das Hauptproblem. Die Photovoltaik kann in Afrika nahezu alles richten. Sie kann aber keinen Kohlenstoff erzeugen, keine Machtphantasien zügeln und erst recht nicht Ideologien und Sekten Grenzen aufzeigen. Wenn der Wandel schneller als die neue Energie ist, dann haben alle ein Problem. Es könnte ein Wettlauf ohne Sieger werden.
Herr Alt, Sie haben recht,
Herr Alt, Sie haben recht, für uns!. Von einer hohen Warte aus. Bei uns wohnen 233 Personen auf einem Quadratkilometer. Früher ca. 280. Die neuen Länder reduzierten die Mittlung. Holland war und ist mit 422 schon immer in Europa am dichtesten besiedelt. In Indien sind es 423, obwohl dort grosse Gebiete nicht bewohnt werden können. In Bangladesch wohnen 1140 Personen auf einen Quadratkilometer. Dort wurde nach dem Krieg (1971 Trennung von Pakistan) mit ca. 25 Mio. begonnen. Jetzt sind es 166 Mio. Und dann kommen unsere "Lösungsvermittler" und wollen die und die in Afrika und Indien mit ähnlichen Entwicklungen belehren, wie sie von unserer hohen Warte aus künftig leben sollen. Am Freitag wird dann auch noch allen kleinen und grossen "Kindern" eingeredet, dass mit gutem Willen und unseren Gesetze in absehbarer Zeit eine humane Änderung zum Guten möglich ist. Gleichzeitig beweisen die neuesten Statistiken (CO2, Vorräte, Eis, Temperaturen), das der zivilisarorische "Vernichtungsfeldzug" mit erhöhtem Tempo seine Bahn zieht. Die Wahrheit tut weh, also lügen wir, damit es uns besser geht.
Sehr geehrte Redaktion,
Sehr geehrte Redaktion,
sehr geehrter Herr Husmann,
vielen Dank für das Porträt des Solarpioniers Franz Alt in der August-Ausgabe von Chrismon - und (zugegebenermaßen reichlich verspätet) eine kritische Anmerkung dazu:
Sie schreiben, dass 1994, als sein Buch "Die Sonne schickt uns keine Rechnung" erschien,
"eine Energiewende hin zu Photovoltaik und Windkraft noch als Spinnerei galt".
Bei dieser Aussage fehlt zumindest das Wort "manchen" oder "vielen" oder "den meisten" vor "noch als Spinnerei galt":
immerhin wurde schon vier Jahre davor das "Bund-Länder-1000-Dächer-Photovoltaik-Programm" gestartet und hat erste Voraussetzungen für diese Energiewende geschaffen (auch unsere dadurch geförderte PV-Anlage wurde 1994 schon ein Jahr alt).
Mit freundlichen Grüßen
Wilhelm Ott