chrismon: Beim Nachrichtenmagazin "Spiegel" hat ein Kollege Zitate, Personen, ganze Geschichten erfunden. Wie können Redaktionen das Vertrauen der Leser zurückgewinnen?
Hans Leyendecker: Sie müssen eine bessere Fehlerkultur einführen. Früher haben wir Fehler gar nicht korrigiert oder nur, wenn uns ein Gericht gezwungen hat. Nur langsam wächst die Einsicht, dass man Fehler sichtbar machen und erklären muss, wenn man das Vertrauen der Leser behalten will.
Claudia Keller
Hans Leyendecker
Warum fällt das Journalisten so schwer?
Journalismus ist ein sehr spezieller Beruf, in dem Standards hochgehalten werden, die nicht immer zu schaffen sind. Gerade junge Kollegen, die für eine Geschichte gekämpft haben, scheuen sich, Fehler zuzugeben, weil sie fürchten, dass ihnen das im Ansehen der Kollegen schadet. Der Fall des Spiegel-Kollegen hat aber auch etwas mit dem Hype um Preise im Journalismus zu tun.
Sie haben 2012 einen Preis zurückgegeben, weil Sie nicht zusammen mit der Bild-Zeitung ausgezeichnet werden wollten. Ist Ihr Vertrauen in das Preise-Gewese erschüttert
Na ja, ich sitze ja selbst in Jurys. Aber man darf Preise nicht zu ernst nehmen. Erst recht ist es keine gute Idee, sich bei Geschichten an Preisen zu orientieren, die man vielleicht damit gewinnen kann. Häufig wird Journalismus für Journalisten gemacht, und Leser und Zuschauer vergisst man oft.
Journalisten leben also auch in Echokammern?
Ja, und wie es scheint, hat das der Spiegel-Kollege ausgenutzt. Ich habe mir Texte von ihm in unterschiedlichen Medien angeschaut. Mir ist aufgefallen, dass er sich dem jeweiligen Auftraggeber angepasst hat. Er hat sehr darauf geschaut, welche Meinungen und Vorurteile in einer Redaktion verbreitet sind, und hat die dann mit seinen Texten bedient. Da hat er uns alle erwischt bei unserem Wunsch, die eigenen Klischees bestätigt zu bekommen.
Heißt Vertrauen, dass man in seiner eigenen Sicht bestätigt werden will?
Dieser Wunsch nach Bestätigung ist schon groß. Für mich ist Vertrauen aber immer auch Gottvertrauen, die Gewissheit, dass da jemand ist, dem ich mich anvertrauen kann – auch wenn ich Fehler mache.
Sie sind Präsident des diesjährigen Kirchentags in Dortmund. Haben Sie das Motto "Was für ein Vertrauen" gewählt?
Das Motto wurde von einer ganzen Gruppe ausgewählt, und ich bin sehr glücklich damit. Gerade in einer zunehmend zerrissenen Gesellschaft ist es wichtig, dass es Vertrauen gibt. Dennoch vertrauen – dieser Spruch von Hilde Domin hat mich geprägt. Er besagt, dass ich in Gott vertrauen kann, auch wenn etwas Schlimmes im Leben passiert. Mit diesem Vertrauen können wir Christen doch wuchern! Aber wir sind oft kleingläubig und fragen uns, ob man den Menschen so etwas zumuten kann. Was gibt es Besseres, als Vertrauen weiterzugeben?
Geschäft, das wird bezahlt.
Geschäft, das wird bezahlt. Der Aufmerksamkeitspegel ist zwar persönlich unterschiedlich, er muß aber so niedrig sein, dass er möglichst Viele erreicht. Die Sensation, haltlose Versprechungen, vor Wahlen und in der gesamten Werbung und besonders in der Kosmetik, sind ist hierfür der Maßstab. Hilfsmittel für die Akzeptanz ist nicht nur das fehlenden Wissen und die Leichtgläubigkeit, noch stärker wirken die unausrottbaren menschlichen Schwächen. Denn selbst der höchste IQ kann den Versprechungen der Homöopathie oder der Wirkung von vollen Lippen (Botox) erliegen. Wenn die Verdummung (wer kennt noch seine Umgebung, wenn es einen Navi gibt?) so weiter geht, brauchen wir bald eine vollkommen neue Gesellschaftsordnung, die den reduzierten Maßstäben der Allgemein hat Rechnung trägt. Die Printmedien, aber auch nur die mit anspruchsvolleren Inhalten, merken diese Entwicklung zuerst. Der Weg wurde von den TV-Privaten vorgezeichnet und den SPIEGEL hat die Entwicklung jetzt auch ereilt. Wissen tun das alle. Es sei denn, sie sind linke und rechte Kamele, die den Kopf in den Sand stecken.
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Nachschlag
Wie wichtig ist Vertrauen? Eine Frage, die sich selbst beantwortet. Als nach dem düsteren Mittelalter das ungebildete und dümmliche Vertrauen in die Kirchen endlich gelitten hatte, kam die Aufklärung, die das Vertrauen noch mehr erschütterte und damit dann auch die gesamte Religion in Mitleidenschaft stürzte. Mit der Demokratie und der Presse läuft es jetzt ähnlich, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Der demokratischen Aufklärung gegenläufig, wird jetzt der Glaube an die Funktionen der Gesellschaft und ihren Organisationsformen (Regierungen und Werten) durch die wachsende Dummheit, Gleichgültigkeit und rücksichtlose individuelle Selbstbestimmung entwertet. Beispiel: Ich bin nicht vorrangig für mich, der Staat ist für alles verantwortlich. Man muß nichts mehr wissen, wenn man es denn nachschlagen kann. Das Internet und die infantile sozialliberale Bevormundung entmündigt die, die sich keine Mühen machen wollen. Diese Bequemlichkeit wird als Schaden nicht mal bemerkt, und wer diesen Zustand ändern will, wir nicht mehr gewählt. So wird die Urgewalt der menschlichen Schwächen zur eigenen Fallgrube.
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