EKD-Kulturbeauftragter Claussen stellt sich einer Diskussion mit der AfD
EKD-Kulturbeauftragter Claussen stellt sich einer Diskussion mit der AfD
Philipp Hahn
"Bitte sachlich bleiben"
Mit Rechten reden: Johann Hinrich Claussen, EKD-Kulturbeauftragter, und Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat haben es probiert. Ergebnisse? Gemischt!
Tilman A. FischerAndreas Helle
13.11.2018

Wer spricht wann und wie mit der AfD?

Diese Frage ist in kirchlichen Kreisen umstritten; erst recht nachdem der Deutsche Evangelische Kirchentag entschieden hatte, die Partei nicht zum Protestantentreffen in Dortmund 2019 einzuladen. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD, hat jetzt gezeigt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich auf die direkte Auseinandersetzung einzulassen und die Grenzen der Filterblasen zu durchbrechen.

Die Vorgeschichte:
"15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt" hatte die vom Deutschen Kulturrat getragene "Initiative kulturelle Integration" im Jahr 2017 unter der programmatischen Überschrift "Zusammenhalt in Vielfalt" veröffentlicht. Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft, Kirchen und Medien – sie alle positionieren sich darin für eine solidarische und offene Gesellschaft, für die "Vermittlungskraft von Kultur" und für ein "einiges Europa". Dabei unterstreichen sie das "Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland" und markieren Eckpfeiler des kulturellen Zusammenlebens in Deutschland wie Meinungs- und Kunstfreiheit, freie Ausübung der Religion im "öffentlichen Raum".

Tilman A. FischerAndreas Helle

Tilman A. Fischer

Tilman Asmus Fischer, Jahrgang 1990, studierte Geschichte, Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und studiert ebenda im Zweitstudium evangelische Theologie. Als freier Journalist schreibt er über Themen rund um Religion, Politik und Kultur – mit besonderem Interesse an öffentlicher Theologie, politischer Ethik sowie Europa- und Kulturpolitik. Rezensionen erscheinen im "Tagesspiegel" und in "Zeitzeichen", aus dem politischen Berlin berichtet er regelmäßig für "Die Tagespost".

Dem Arbeitskreis Kultur und Medien der AfD-Bundestagsfraktion hat dies nicht gefallen, und so reagierten die Mitglieder mit einer kritischen Stellungnahme. Am 12. November luden sie dann in den Bundestag zu einer öffentlichen Diskussionsrunde. Als Gastgeber fungierten die beiden zuständigen Fachpolitiker der Fraktion Marc Jongen, Kulturpolitik, und Martin E. Renner, Medienpolitik. Eingeladen war neben Johann Hinrich Claussen auch der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann.

Bei dem vom rechtskonservativen Journalisten Bernd Kallina moderierten Streitgespräch trat deutlich hervor, wie wichtig wieder einmal Begriffsdefinitionen sind, damit man auf einer gemeinsamen Basis miteinander ins Gespräch kommen kann. Was etwa bedeutet der Satz "Deutschland ist ein Einwanderungsland"? Für Claussen und Zimmermann ist klar: Hier geht es vor allem um die Gestaltung von zunehmender Diversität. Demgegenüber unterstellte Renner einer solchen Grundhaltung immer wieder, damit gezielt einen "Universalismus" und "Globalismus" zu befördern und so bewusst die deutsche Kultur zu gefährden.

Was eigentlich ist die "deutsche Kultur"?

Und was – so eine weitere grundsätzliche Frage – ist überhaupt "deutsche Kultur"? "Die AfD nimmt eine deutsche Identität substanzhafter Art an, definiert sie jedoch nicht", problematisierte Claussen. Und tatsächlich kam von Jongen und Renner auf die Fragen keine abschließende Antwort, weil es, so Jongen, auch kein Ziel der AfD sei, deutsche Kultur zu definieren: Vielmehr gehe es darum, die Argumentation der "Initiative kulturelle Integration" zu dekonstruieren. Recht deutlich traten im Laufe der Diskussion die Motivationen hervor, die hinter diesem Vorhaben stehen.

Zum einen konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass kulturelle Integration hier – wieder einmal – als Projektionsfläche für einschlägige AfD-Positionen zur Asyl- und Migrationspolitik benutzt wurde. Wie können Politik und Zivilgesellschaft die reale Vielfalt in Deutschland gestalten? Das scheint die AfD nicht wirklich diskutieren zu wollen. Stattdessen wirkt es, als gehe es immer wieder darum, wie Migration, gerade aus dem islamischen Raum, generell organisiert und vor allem begrenzt werden kann.

Opfer AfD?

Zum anderen bemühten sich die Vertreter der AfD neuerlich, sich als Opfer in einem Diskurs zu inszenieren, in dem "Kritiker aus der Konsensfindung" ausgeschlossen würden, wie es Jongen formulierte. Demgegenüber seien – so Renner – die Mitglieder des Deutschen Kulturrates aufgrund der "Abhängigkeit der Kultureinrichtungen von Staatsgeldern" leicht auf eine "politische Generallinie" zu bringen. Es ist dies eines der klassischen Argumentationsmuster aus den Reihen der AfD. Fernsehen und Rundfunk gelten wegen der GEZ-Gebühren als Staatsfunk, Kirchen sind ebenso abhängig von Staatsleistungen. Und neuerdings ebenfalls in der Schusslinie wegen des gleichen Vorwurfs: der Zentralrat der Juden.

Weder Claussen noch Zimmermann ließen sich durch verschwörungstheoretische Einsprengsel – oder auch einzelne erregte Zwischenrufe aus dem Publikum – davon abbringen, immer wieder auf Sachlichkeit zu drängen: "Wir reden nicht nur von Vielfalt, sondern auch von Zusammenhalt", hielt Claussen entsprechenden Vorwürfen entgegen. Und tatsächlich formulieren die 15 Thesen auch Erwartungen, von deren Erfüllung Integration und Zusammenhalt abhängen. Am deutlichsten wird dies in der 12. These, die die deutsche Sprache betrifft: "Unsere gemeinsame deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen am gesellschaftlichen Leben. Sie ist das unverzichtbare Mittel zu gleichberechtigter Kommunikation und damit Grundvoraussetzung für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sprache ist aber nicht nur Kommunikationsmittel, sie ist zugleich Kulturgut, das in Dichtung und Literatur ihren Ausdruck findet und den Zugang zu Kultur und Gesellschaft ermöglicht."

Basis Grundgesetz

Als Zimmermann erläuterte, dass die Basis eines solchen Zusammenhalts gerade auch die Bindung an das Grundgesetz bilde und es daher in Deutschland "kein Scharia-Recht" geben werde, warf Renner ein, dass das "eine Frage der Demografie" sei – aufgrund der "Fertilität" von Migranten aus dem islamischen Raum wachse die Zahl der Muslime in Deutschland extrem stark, was langfristig zu einer Verschiebung gesellschaftlicher Normen und Gepflogenheiten führen könne.

So zeigte sich wieder, dass Integrationspolitik im Kontext der AfD primär Bevölkerungspolitik meint. Zum Ende des Abends wurde dies immer deutlicher. Offen blieb hingegen die Frage, welches alternative Konzept von Integration die AfD demjenigen des Deutschen Kulturrates konkret gegenüberstellt. 15 eigene Thesen des AfD-Arbeitskreises, die Renner lediglich anriss, sollen in den kommenden Wochen erscheinen.

 

Permalink

Da haben diesmal die Wölfe mit den Schafen diskutiert und die Schafe haben intellektuell gewonnen? Nicht schlecht. Leider ist genau das das Problem. Auch die intellektuelle Überforderung in einer immer komplexer werdenden Welt macht die Menschen empfänglich für einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und genau das ist ja die Stärke der Rechten. Dass das dumm ist, wissen wir alle, dass dahinter nicht Dummheit steckt, sondern Machtkalkül und der Wunsch, die ungeliebte Demokratie zu beschädigen und weniger wehrhaft zu machen, wissen wir auch. Sobald man es erklärt, hat man wieder einen von allem genervten Sympathisanten in die Arme der AfD getrieben oder ins Lager Trumps.
Dieses Dilemma ist jedoch hausgemacht. Bürgerliche, bequeme Geschichtsvergessenheit, dieses Gefallen an der Wohlstandswahrung, vor allem die Folgen unserer rücksichtslosen Generierung des Wohlstandes weltweit, nie genau hinsehen, nie genau nachfragen und bitte, bitte, bloß nicht mit der Kamera drauf, weshalb es Millionen verzweifelter Migranten weltweit gibt und was das eigentlich mit unserem Wohlstand zu tun hat. Bitte auch immer schön vom allgemeinen Wohlstand in Westeuropa reden und nicht hinsehen, wieviele Prozent der Bevölkerung Wochen Besitz haben und vererben und wie viele nur zugucken, obwohl sie arbeiten gehen. Da kann Kirche mehr. Warum tut sie es dann nicht? Auch wegen dieser Feigheit wird die Kirche als Staatskirche empfunden. Wie das gelöst werden kann? Durch Ehrlichkeit? Durch Einmischen, auch wenn's unbequem wird? Auch mal unbequem für die Kirche selbst? Rechten Katholiken und Evangelikale mal nicht Christen nennen in einem christlichen Magazin, weil sie das ja nicht sind? Es sei denn, man hat auch hier die selben bürgerlichen Definitionsprobleme. Aber selbst dann, über christliche Werte sind wir uns doch noch einig? Dann ab und zu mal dran denken und danach handeln. Dann kann sich auch das Team der Chefredaktion nicht so bequem einrichten. Genug Probleme gibt es ja. Und vertrauen Sie darauf, den Christen an der Basis sind die meisten christlichen Werte noch bekannt. Damit ließe sich arbeiten. Mehr Mut.