Hans Küng
Der katholische Theologe und Religionsphilosoph Hans Küng (85) am 10.12.13 in seinem Tübinger Wohnhaus. Der Ökumene-Experte ist einer der profiliertesten christlichen Theologen der Gegenwart. Der im Schweizer Kanton Luzern geborene Küng hat in den vergangenen Jahrzehnten religiöse und kirchliche Themen in der ֖ffentlichkeit maߟgeblich mitbestimmt.
Bäuerle/epd-bild
„Ich wünsche mir mehr Menschen mit moralischer Energie“
Sein ganzes Wissenschaftlerleben lang entdeckte der Tübinger Theologe Hans Küng religiöse Spielräume und neue Herausforderungen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
16.03.2018

Bestens gelaunt erschien Hans Küng zum Interview mit dieser Redaktion in Hamburg. Unser Plan: Ideen zu beschreiben, wie die unterschiedlichen Religionen der Welt zu einem Konsens in ethischen Fragen gelangen können. Küng, der gerade sein großes Fernseh- und Buchprojekt unter dem Titel „Spurensuche“ über die Religionen der Welt abschloss, hatte endlos viele Beobachtungen zusammengetragen und konnte nun auch aus eigener detaillierter Anschauung sagen: Die Religionen leben ganz offensichtlich in unterschiedlichen Zeiten und Entwicklungsstadien. „In allen Religionen der Welt leben Menschen in verschiedenen Konstellationen“, begann Hans Küng, der Tübinger Theologieprofessor, das Gespräch im Dezember 1999. „Legen wir unsere abendländische Typologie zugrunde, können wir sagen: In derselben Religion leben mittelalterlich Gesinnte, auch solche, die geistig in der Reformation, und andere, die in der Moderne leben.“ Der Optimist Küng versucht, alle in intensive Gespräche zu verwickeln.

In welcher Zeitepoche sieht Hans Küng sich selbst? „Ich lebe wie viele andere Menschen im Übergang von der Moderne zur Nachmoderne“, sagte der Theologe. „Ich habe angefangen in einem Schweizer Städtchen im römisch-katholischen Paradigma, habe rechtzeitig im Studium vor allem durch Karl Barth das Paradigma der Reformation kennengelernt, mich daneben schon früh mit der Moderne auseinandergesetzt. Doch bin ich sehr bestrebt, das Wertvolle aus diesen Erfahrungen nicht etwa abzustoßen, sondern zu integrieren.“ Zugleich bemerkte er auch: „Tragischerweise ist die römisch-katholische Kirche stecken geblieben, als sie den Schritt in Reformation und Moderne hätte vollziehen sollen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.“ Und er bemerkte: „Mit einem amerikanischen Rabbiner, der wie ich auf dem Weg nach Nachmoderne ist, kann ich mich besser unterhalten als mit einem römischen Monsignore, der noch in den mittelalterlichen Kategorien steckt.“

„So wie die Religionen heute sind, waren sie nicht immer“

Eines der zentralen Prinzipien für Küngs wissenschaftliche Arbeit: alle religiösen Phänomene als veränderlich zu verstehen. „Wichtig ist, die Religionen als gewordene zur Kenntnis zu nehmen. So wie sie heute sind, waren sie nicht immer, auch wenn die Menschen in diesen Religionen das meinen. Wichtig ist zu sehen, dass es in der oft Jahrtausende langen Tradition der Religionen gewaltige Umbrüche gegeben hat. Will man die Religionen verstehen, muss man auch diese Umbrüche miteinander vergleichen.“

Hans Küng: ein Theologe, der die bisherigen Veränderungen des christlichen Glaubens sieht und die zukünftigen Veränderungsmöglichkeiten energisch in den Blick nimmt. Gerade weil er die Kirchengeschichte als eine Geschichte der Veränderungen versteht, weiß er, welche Alternativen und Entwicklungsmöglichkeiten denkbar sind. Während andere Theologen vor allem auf der Suche nach dem Gleichbleibenden, dem Unveränderlichen sind, befasst sich Hans Küng zusätzlich mit den Freiräumen. Das gibt ihm eine außerordentliche visionäre Kraft. Und er wird geliebt für so einfache Sätze wie: „Die christlichen Kirchen müssen endlich ihre Einheit wiederherstellen, zumindest an der Basis.“ Oder: „Es muss der Frieden zwischen den Religionen heraufgeführt werden, zumindest so weit wie im 20. Jahrhundert zwischen den christlichen Konfessionen.“ Und: „Es muss die Gemeinschaft der Nationen wachsen.“ Dazu müssten, so Küng, die Staatsmänner und Wirtschaftsführer wieder eine „ernsthaftere ethische Einstellung gewinnen. Ich wünschte mir weniger reine Technokraten und mehr Menschen mit ethischem Impetus, mit moralischer Energie.“

Ein wissenschaftlicher Weg unaufhaltsamer Öffnung

Küngs wissenschaftliche Vita ist der Weg einer unaufhaltsamen Öffnung. Geboren am 19. März 1928 in Sursee/Schweiz, veröffentlichte er 1957 sein Buch „Rechtfertigung“, eine Auseinandersetzung mit dem reformierten Theologen Karl Barth - ein Paukenschlag in der theologischen Wissenschaft, wies Küng doch nach, dass Karl Barth und die katholische Lehre gar nicht so weit auseinanderlagen. Er wurde damit zu einem der frühen Vordenker der „Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigungslehre“ von 1999. Es folgten Grundlagenwerke über die Kirche, die päpstliche Unfehlbarkeit, zur Glaubens- und Gottesfrage („Christ sein“, „Existiert Gott?“, „Ewiges Leben?“), dann über die Weltreligionen, die Weltliteratur, das Weltethos. „Ich meine, dass ich auf diesem Weg nichts Entscheidendes aufgegeben, sondern nur konsequent weitergegangen bin“, sagte er 1999 in unserem Gespräch.

Im Dezember 1979 stellten die vatikanische Glaubenskongregation und Papst Johannes Paul. II. „gravierende Abweichungen von der katholischen Lehre fest“, die Deutsche Bischofskonferenz entzog ihm daraufhin, ebenfalls im Dezember, die kirchliche Lehrerlaubnis. Dem waren schon langjährige Dispute über Küngs wissenschaftliche Arbeitsmethoden und Einzelaussagen vorausgegangen, zum Beispiel zum Thema Unfehlbarkeit. So konnte Hans Küng an der Universität Tübingen keine Examen mehr abnehmen, die Voraussetzungen für den kirchlichen oder staatlichen Dienst waren. Als 1981 Joseph Ratzinger Chef der Glaubenskongregation wurde, änderte sich an diesem Verbot nichts. Das war für Hans Küng auch deshalb eine große Kränkung, weil er es gewesen war, der Ratzinger 1966 an die Universität Tübingen geholt. Küngs Argument: „Ich wollte einfach den Besten haben, und der Beste war Joseph Ratzinger.“ Ratzinger konnte sich in Tübingen während der Studentenbewegung aber nicht halten und suchte seine Zuflucht im kirchlich konservativen Regensburg.

„Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen“

Von 1980 bis 1996 leitete Küng als Direktor das Institut für Ökumenische Forschung, das von der theologischen Fakultät unabhängig wurde. Küng war Initiator und von 1995 bis 2013 Präsident der Stiftung Weltethos mit Sitz in Tübingen. Mit einer großen Vielfalt an Veröffentlichungen, an Referenten und Referaten, an Konferenzen und Presseerklärungen bemüht sich die Stiftung, die „Erklärung zum Weltethos“ des Parlaments der Weltreligionen (Chicago 1993) mit Leben zu füllen. In ihr heißt es programmatisch: „Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.“

In seinem Buch „Theologie im Aufbruch“ hatte Hans Küng 1987 geschrieben: „Die Geschichte ist nach vorne offen, und nach vorne offen ist auch der interreligiöse Dialog, der, anders als der interkonfessionelle, gerade erst begonnen hat. … Am Ende steht zwischen den Religionen nicht mehr trennend ein Prophet oder ein Erleuchteter, steht nicht Mohammed und nicht der Buddha. Ja auch der Christus Jesus, an den die Christen glauben, steht hier nicht mehr trennend.“ Im Gegenteil: Selbst er unterwerfe sich Gott. Es ist eine Vision, die alle Selbstsicherheiten der Religionen erschüttert.

 

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Hans Küng : Rückkehr zu den jesuanischen Quellen

Küngs Denken ist zutiefst von dem Gedanken durchzogen, dass kath. Glaube und kath. Kirche – angestoßen durch das 2. Vatikanum – nur dann eine Zukunft haben, wenn sie bereit sind, sich zu öffnen für diese Welt und die Menschen.

Er ist zutiefst davon überzeugt, dass Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe wieder zurückkehren müssen in das Denken der Amtskirchenvertreter und dass die Rückkehr zu den jesuanischen Quellen eine conditio sine qua non darstellt, um den Menschen die kath. Kirche wieder als ernst zu nehmende Alternative auf dem Markt der Sinnstiftungsinstitutionen zu präsentieren. Eine sich dem Dienst am Menschen verpflichtende Kirche ist für Küng die Grundvoraussetzung für eine im jesuanischen Geist sich erneuernde Kirche.

Im Buch „Christ sein“ bringt er sein jesuanisches Credo auf folgende Formulierung: „In der Nachfolge Jesu Christi kann der Mensch in der Welt von heute wahrhaftig menschlich leben, handeln, leiden und sterben: in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen.“ – Dem ist nichts hinzuzufügen!

Paul Haverkamp, Lingen