Der Glaube in politischen Debatten
Warum mischen sie sich in Klimafragen, Schuldenfragen, Friedensfragen, Wirtschaftsfragen, Familienfragen ein?
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
27.07.2015

Fluglärm in Frankfurt. Hüttensterben im Ruhrgebiet. Castortransporte. Kirchengemeinden melden sich zu Wort, wenn Gefahren für Leib und Seele drohen oder zu drohen scheinen. Und mit schöner ­Regelmäßigkeit ernten sie dafür Häme. Was versteht ihr überhaupt davon? Was sollen eure fachfremden Einmischungen? Überlasst die Beurteilung doch lieber ­denen, die mehr vom Thema verstehen!

Fakt ist: Kirchen und ihre Mitglieder wissen nicht mehr als andere, und sie sind auch nicht für alles zuständig. Aber sie betrachten manches Streitthema unter einer anderen Perspektive als die Fachleute aus Politik, Wirtschaft oder Naturwissenschaft. Christen wollen wissen: Was ist gut für die Menschen? Ihr Maßstab dabei: ­ das christliche Menschenbild.

Kirchenleute wurden und werden kritisiert, wenn sie sich zu Themen äußern, mit denen sie auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Wissen die Kirchen mehr als andere? Pastor Henning Kiene sagt: ja und nein!

Statt Einzelinteressen in der Wirtschaft zu verteidigen, wollen sie möglichst vielen Menschen gerecht werden, zum Beispiel beim Thema Erwerbsarbeit. Jeder Mensch soll die Freiheit und Möglichkeit haben, für sich selbst zu sorgen. Geht es um politische Fragen, stehen bei ihnen nicht parteipolitische Überlegungen im Vordergrund, sondern die ganze Lebenslage der Menschen, auch jener, die von unserem Rechtssystem nicht erfasst werden – wie Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Zum christlichen Menschenbild gehört also auch die Fürsorge für andere.

Kritische Nachfragen stellen die Kirchen regelmäßig zu den Themen Globa­lisierung oder Schuldenerlass. Abgeordneten im Deutschen Bundestag mögen die Lebensverhältnisse von Ureinwohnern am Amazonas nicht so wichtig sein wie Mitarbeitern von kirchlichen Entwicklungsorganisationen. Anders als für Minis­ter und Kanzlerin, die geschworen haben, sich „dem Wohle des deutschen Volkes (zu) widmen, seinen Nutzen (zu) mehren...“, gibt es für die Kirchen keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen In- und Ausländern. Oder: Ein Unternehmen, das sich mit der gentechnischen Manipulation von Saatgut befasst, soll nach Auffassung der Kirchen auch die langfristigen Gefahren und Nachteile seiner Erfindungen im Blick haben. Kirchen fühlen sich der ganzen Schöpfung verpflichtet. Sie sagen: Politischer Pragmatismus und wirtschaftlicher Gewinn sind nicht alles.

Verantwortung zeigen - in Kirche und Politik

Was gut ist für die deutsche Rüstungsindustrie, muss noch lange nicht im Interesse aller Menschen sein. Rüstungskonzerne geben, das ist die gute Seite, vielen Menschen Arbeit und spülen Geld in die Kassen der Finanzämter. Aber sie helfen auch beim Töten. Mit Recht kümmern sich deshalb Kirchen und Friedensgruppen um Waffen und Kriegsgüter aller Art und um die Friedenssehnsucht der Menschen.

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Es ist gut, dass die Kirchen einen anderen, einen zweiten Blick auf die Entwicklungen werfen und danach fragen, was gerecht ist. Deshalb ist es besonders schmerzhaft, wenn sie bei manchen Themen nicht zu den Vorkämpfern für Menschlichkeit, sondern zu den Verspäteten gehören – wie die katholische Kirche in der Frauenfrage. Oder beim Thema ­Verhütung. Da ist die kirchliche Basis mit ihren Auffassungen der offiziellen Lehrentwicklung schon weit voraus. Aber die sogenannten Basischristen können auch nicht immer der Maßstab sein: dann zum Beispiel nicht, wenn evangelische Christen bei den Pegida-Demonstrationen in Dresden mitmachen. Verantwortung hingegen zeigen die Christen in Kirche und Politik, die gegenwärtig ernsthaft um einen Weg beim Thema Sterbehilfe ringen. 

Bei naturwissenschaftlichen Streitfragen ist es für die Kirchen besonders mühsam, eine Position zu erarbeiten. Erst müssen sie sich das Fachwissen an­eignen, um es dann ethisch zu reflektieren. Ihr Weg ist also weiter und mühevoller als der der Fachwissenschaftler. Aber er ist leicht nachvollziehbar. Denn wann immer sich die Kirchen äußern, legen sie auch die Maßstäbe für ihre Einschätzungen offen: das christliche Verständnis vom Menschen. So kann sich jeder, der will, ein Bild davon machen, warum sich die Kirchen einmal wieder in einer aktuellen Frage „einmischen“.
 

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Als ich suchte, was die Kirche so zum spirituell und ökologisch hochbrisanten Thema unseres Umganges mit Tieren sagte, fand ich nur eine außerkirchlich (und vermutlich auch innerkirchlich) unbeachtete Handreichung - http://www.kilr.de/wp-content/uploads/handreichung_kirche_und_tierhaltung-EKM.pdf - und Einzelstimmen, die medial nicht ernst genommen wurden, zumindest nicht bei Radiohörern wie mich.
Wenigstens besser als gar nichts? Oder Feigheit vor den geschätzt 90% Karnisten/innen - http://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/karnismus-die-psychologie-des-fleischkonsums - unter den Christen/innen? Einfach nur von der Bewahrung der Schöpfung zu reden und dabei das täglich selbst gegessenen Körperteile unser empfindenden Tiergeschwister verdrängen, ist eher pharisäerhaft als christlich. Für Tiere ist jeden Tag Treblinka.

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In bezug auf den Schutz des ungeborenen Lebens nehme ich auf Seiten der EKD ein unterträglich lautes Schweigen wahr. Die angesprochenen Frauenrechte sind wichtig, aber sie müssen abgewogen werden mit dem Recht des Ungeborenen auf Leben. Es ist die Pflicht der EKD-Kirchen zusammen mit der katholischen Kirche und anderen evangelischen Kirchen hier eindeutig und nicht halbherzig zu gunsten des ungeborenen Lebens Position zu beziehen. Das Stimmungsbild der "kirchlichen Basis", wie es im Artikel anklingt, kann vollkommen in die Irre führen. Demoskopie kann kein Ersatz für christliche Ethik sein.

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Die meisten der in Ihrem Artikel angesprochenen Themen haben einen politischen Anstrich und werden auch im Wahlkampf wieder zu finden sein. Deshalb sollten sich die Kirchen heraushalten. Wenn beispielsweise Frau Göring – Eckert der Grünen im Bundestag oder in Talkshows ihre Sicht darstellt, wo ist da bitte die politische Neutralität? Die Geschichte hat hinreichend gezeigt und zeigt immer noch, was passiert, wenn Politik und Kirche nicht genügend getrennt sind.

Das prägnanteste Beispiel ist derzeit der extreme Islamismus mit seinen „Gottesstaaten“ und den Scheußlichkeiten seiner Gotteskrieger und Terroristen. Und damit bin ich bei Ihrer merkwürdigen Einschätzung der Rolle der Rüstungsindustrie. Die brauchen wir weniger wegen der Arbeitsplätze und Steuern(8 bis 9% davon Kirchensteuer!), sondern damit unser Heer entsprechend ausgerüstet werden kann, wenn es unsere Werte im Auftrag unserer Demokratie weltweit verteidigen soll und vielleicht eines Tages auch Gotteskrieger abwehren muss. Hätte man Ihrer Meinung nach die Nazis nicht militärisch bekämpfen sollen, da der Frieden über allem steht? Wenn wir hier die Verantwortung und die Kosten anderen Demokratien alleine überlassen und uns heraushalten mit Hinweisen auf den prinzipiellen Wert des Friedens, dann ist dieses Verhalten unsolidarisch und naiv/dumm oder verantwortungslos. Hier sollte sich auch Frau Käsmann etwas klarer artikulieren, wenn sie Frieden über alles stellt? Weniger Gotteskriege, wenn unvermeidbar von Demokratien rechtzeitig auch militärisch im Keime erstickt, wären weniger Leid und damit wäre auch ein großer Teil des Stromes an Flüchtlingen nicht vorhanden.

Flüchtlingspolitik sind nicht die Fragen, ob man helfen muss, dass die Hilfe dem christlichen Menschenbild/Humanismus gerecht wird, wie man den Strom verteilt und ob die ungeliebte Bundeswehr Zelte und Betten bereitstellen darf, sondern wie viel Hilfe und Perspektive wir mittel- und langfristig, sinnvoll und dauerhaft, echten Flüchtlingen geben können, ohne uns selbst zu schaden. Wer ist man/wir? Den Kirchen und auch allen Sozialromantikern, denen die Beiträge der Steuerzahler nicht genügen, wäre es unbenommen mit gezielten finanziellen Beiträgen und anderen Aktionen ebenso stark aufzutreten, wie mit Worten/Forderungen (Goethe:“Worte sind Schall und Rauch!“).

Auch bei der Diskussion der Sterbehilfe brauche ich die Meinung der Kirchen nicht, da ich sie hinreichend kenne. Entscheidend ist hier nicht was die Kirchen denken, sondern dass der betroffene Mensch die letzte Entscheidungsfreiheit bekommt und dass die Gesetze über den Beistand zur Sterbehilfe Missbrauch auch nur im Ansatz verhindern. Es bleibt jedem Christen die Möglichkeit bis zum Ende zu leiden. Jedem die christliche Auslegung aufzuzwingen entspricht nicht dem Prinzip des Humanismus.

Auch Ihre Kritik an der Rückständigkeit der kath. Kirche bezüglich der Rolle der Frauen in der Kirche und der Geburtenkontrolle ist fragwürdig. Da beide Religionen nicht mehr zeitgemäß sind und sich damit nicht zeitgemäß verhalten, führt die Diskussion über nicht zeitgemäße Details zu nichts und erinnert an den Beginn der Abspaltung. Allerdings gibt mir (ich würde mich als katholisch erzogenen Atheisten bezeichnen) der derzeitige Pabst etwas Hoffnung, da er sich doch insgesamt sehr pragmatisch/menschlich und weniger dogmatisch verhält und Bescheidenheit und Demut vorlebt. Wie sagt der Angelsachse doch so schön: „You should walk how you talk!“

Prof. Volker von Tein
Ottobrunn

Unsere Kirchen haben Jahrtausende bis jetzt überdauert, weil sie permanent den Glauben mit der Macht, den Krieg mit der Mission und und ihre heiligen Werte mit dem Pragmatismus gleichgesetzt haben. Sie lehnen die eigenen Waffen ab, lassen sich aber zur Not von den Waffen der Anderen verteidigen. Sie möchten die Politik mit ihren eigenen Zielen verquicken, sind aber entrüstet, wenn sich die Politik in ihre politisierten Glaubensfragen einmischen würde. Es ist inzwischen soweit gekommen, dass sich die ev. Kirche ihrer Zukunft nur durch ihre Politisierung sicher wähnen kann. Würde sie sich ihres politischen Ballastes (grüner Linksprotestantismus) verweigern, fehlen ihr wesentliche Aussagen zum Glauben. Der glänzt nicht mehr. Durch seine Beliebigkeit ist erst der Husarenritt auf der politischen Messerschneide möglich geworden. Mit ihrer politischen Bindung (Kirchentage sind in den letzten Jahrzehnten stets auch politische Veranstaltungen gewesen) ist kaum noch ein prinzipieller Unterschied (der graduelle ist nach wie vor erheblich) zum Islam und zu den US-Klerikalen gegeben. Allein der Verzicht auf Gewalt ist noch das Alleinstellungsmerkmal für die evangelische Kirche. Für die katholische Kirche gilt Ähnliches in anderen Zusammenhängen.

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Sehr geehrter Herr Kopp,

eben habe ich Ihren oben genannten Artikel gelesen: Vorzüglich! Konkret, hoch differenziert - und alles auf knappstem Raum!

Eine tolle Fortschreibung einstiger, oft geschmähter "politischer Theologie".

Danke.

Klaus Reblin