Heinz Zahrnt
Marco Wagner
Wer streitet, sucht die Wahrheit
Der Theologe und Journalist Heinz Zahrnt machte Glauben und Religion zum Gesprächsthema für alle – mit Humor und ohne Angst
Lena Uphoff
27.04.2015

„Wie stellen Sie sich Gott vor?“, wurde Heinz Zahrnt in einem Gespräch gefragt, das im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ zu seinem 85. Geburtstag erschien. Die Antwort des Theologen: „Gar nicht.“

Mehr als dreißig Jahre, von 1951 bis zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, hatte Heinz Zahrnt, zunächst  als theologischer Chefredakteur, zuletzt als theologischer Berater, die Linie der liberalen evangelischen Wochenzeitung, aus der im Jahr 2000 chrismon wurde, maßgeblich mitgeprägt. Und 1966 hatte er ein Buch veröffentlicht, dessen Titel in krassestem Widerspruch zu seiner zitierten Antwort zu stehen scheint, den Bestseller „Die Sache mit Gott“.

Mit diesem Buch, mit seinen Texten in der Zeitung und mit seinem Wirken im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages gelang es Zahrnt, die Suche nach Gotteserfahrungen als offenen Prozess für alle Menschen zu präsentieren, unabhängig davon, ob sie damit einer Lehrmeinung entsprachen oder nicht. Er holte die Theologie aus den Elfenbeintürmen der Wissenden und zeigte, dass die gro­­ßen Geis­ter auf diesem Feld vor allem eines waren: selbst Suchende. Und diese Einsicht versuchte er den Menschen im neugierigen, offenen Gespräch nahezubringen.

Bibeltreue nannten Zahrnt anmaßend und ketzerisch

Natürlich ließ Zahrnt die knappe erste Antwort in dem Interview nicht einfach stehen. „Auf jeden Fall war es die Frage nach Gott, die mich in die Theologie getrieben hat.“ Der Sohn eines Bankers bekundete gerne, er stamme „aus einer mild-christlichen Familie“. Fasziniert habe ihn zu Jugendzeiten die „wirkliche Gottesgewissheit meiner Mutter“.

###autor###Auf seinem langen Weg durch Glauben und Theologie ist Zahrnt ein festes Gottesbild verloren gegangen, was er keineswegs bedauerte. Es gehe ihm da wie Aeneas bei der Flucht aus dem brennenden Troja, schrieb er in „Die Sache mit Gott“. Auch der habe dort viele Götterbilder zurückgelassen. Wichtiger als Bilder seien jedoch Erfahrungen. Und so sei für ihn die Bibel „eine Sammlung von Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Große Bekenntnisse sind drin, aber auch ganz schlichte Dinge.“

Mit diesem Ansatz machte er sich inner­halb der etablierten Kirche keines­wegs  nur Freunde. Vor allem die sogenann­­ten bibeltreuen Christen empfanden den lockeren Umgang Zahrnts mit den Texten der Heiligen Schrift als frech, anmaßend und ketzerisch. Lauthals riefen sie zum Boykott von Kirchentagen und Zeitungslektüre auf. Und ehrwürdige Professoren aus den theologischen Fakultäten warnten ihre Studenten vor diesem „dreisten Journalisten“.

Zahrnts Ärger über derartige Reaktionen hielt sich in Grenzen. Für ihn blieben Streit, Diskurs, Debatte die angemessene protestantische Form der Suche nach der Wahrheit. Auch mit sich selbst, als Literat und Jour­nalist: „In mir streiten der Zeitgenosse und der Christ miteinander. Was dem Theo­logen dabei einfällt, das spricht er aus, und der Autor schreibt es nieder.“

Zahrnt zu chrismon: "Ihr macht es richtig"

Zahrnt Nahestehende wie Margot Käßmann mochten die Gespräche mit dem unruhigen Geist aus einem Grund: „Er hatte Humor. Es wurde beim Essen fröhlich debattiert.“ Zahrnt liebte es, in geselligen Runden Theologenwitze zu erzählen. Am liebsten tat er dies mit seinem Freund ­Johannes Rau, dem einstigen  Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und späteren Bundespräsidenten.

Heinz Zahrnt, dessen Geburtstag sich am 31. Mai 2015 zum hundertsten Male jährt, starb am 1. November 2003 in Soest. In seinem letzten großen Werk „Glauben unter leerem Himmel“ warnte er davor, dass „aus der Rede mit Gott“ nicht eine „Rede über die Möglichkeiten des Redens über Gott werden“ dürfe, „eine theologische ,Verschlusssprache‘, die die Herzen verschließt, statt sie zu öffnen“.

Dass aus seiner geliebten Wochenzeitung „Sonntagsblatt“ chrismon wurde, hat Heinz Zahrnt mit Neugier und kritischer Aufmerksamkeit, vor allem aber mit ausdrücklicher Sympathie begleitet. Wenige Monate vor seinem Tod ermutigte er die Redaktion: „Ihr macht das zwar ganz anders als wir bei der früheren Zeitung. Aber ihr macht es richtig, macht es für eure Zeitgenossen. Macht weiter so, lasst euch nicht beirren!“ Gut, wenn man so etwas von einem Vorbild hört.

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29.Juni 2015 : Interview mit Margot Kässmann im DLF über H.Zahrnt : Ein Aha-Erlebnis . Da werden Blicke in einen Himmel ohne Heiligenscheine und ohne Donner-Zitate lebendig ! Dazu der spring lebendige Artikel von Arnd Brummer über H. Zahrnt- dem dreisten Journalisten- in chrismon (das mich leider nicht mehr wie früher erreicht) Unruhige Geister wie Zahrnt haben mit ihrer schöpferischen Unruhe- mehr Einsichtten als die Katheter-Theologen . Brummers geraffte Übersicht und Würdigung haben mich dann so neugierig gemacht, dass ich die Bücherliste Zahrnts auf Lieferbarkeit abklopfte ! Kompliment und Dank an Herrn Brummer.
Mit Gruß J.E.Grütte Juni 2015