Norbert Neetz
Heinrich Bedford-Strohm, der neue Chef der evangelischen Kirche
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
16.11.2014

Es ist ein Glückfall für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), dass sie mit ihrem neuen Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, dem bayerischen Landesbischof, ein Kommunikationstalent bekommen hat – ein zweites neben der „Reformationsbotschafterin“ Margot Käßmann. Das Refor­mationsjubiläum 2017, der 500. Jahrestag von Luthers Thesen­anschlag, rückt näher, und es gilt, den Drive der Kirchen­reform seit 1517 für die Zukunft fruchtbar zu machen.

Gerade jüngere Menschen müssen für den evangelischen Glauben neu gewonnen werden, und das geht nur über ein klares Kirchenprofil. Der neue Ratsvorsitzende, ein brillanter Theologe, politischer Denker und Freund klarer Worte, geht offensiv und gewinnend auf Menschen zu, auf „normale“ Gemeinde­mitglieder wie auf die Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft. Der direkte Dialog liegt ihm ebenso wie die so­zialen Medien, zum Beispiel Facebook. Alle Medien zu nutzen: Lutherischer geht es kaum.

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500 Jahre nach Wittenberg ist Zeit für einen neuen Luther 1.2.15

Im Krieg ist das Schwert, im Frieden ist das Wort die Waffe. Ein Wort kann mundtot machen. Von mundtot bis wehrlos ist ein kurzer Weg. Wer die Macht der Kanzel, die Mikrofonmacht, die Macht des letzten Wortes in Versammlungen, in der Presse oder allein durch die Lautstärke hat, kann mit Leichtigkeit und Arroganz nahezu jeden mundtot machen. Dann wird auch das beste Argument nicht mehr gehört und das Wort wurde zur Waffe. Die Inquisition tat es so. Das gilt auch und besonders für die wissenschaftliche Auslegung von Religionen. Von der Politik gar nicht zu reden. Darüber ist nicht großzügig hinweg zu sehen.

Über die qualitativen Aussagen sowohl im AT als auch im NT zu urteilen, das ist das tägliche Brot aller angeblich "Berufenen", denen die immer noch Gläubigen folgen sollen. Leider führen die zum Teil unendlichen Auslegungsmöglichkeiten dazu, dass alle alten und immer auch neue Gliederungen der christlichen Kirchen sich immer genau dass heraussuchen können, was ihnen gerade in den Kram passt. Das nutzen Klerikale, Zeugen Jehovas, Scientology, Neuapostolische, Marienkulte, etc.. Unüberschaubar ist die Zahl.

Zu Zeiten von Luther waren es die Jahrhunderte missbrauchte Macht der Kirchen, die verzahnte Kumpanei mit den Mächtigen, der Ablasshandel, die menschenunwürdige Glaubensauslegung und ein die Gläubigen verachtender Elitarismus der Beginn des Niederganges. Voraussetzung hierfür war die bis dahin mangelnde Volksbildung und die unterdrückte Fähigkeit, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.

Jetzt lassen die zivilisatorischen und Bildungsfortschritte ein unterwürfiges Verständnis der Dreieinigkeit, der Dogmen, der angeblichen Erbsünde, der nie nachlassenden Wirkung angeblicher „Weihen“ und der hilflosen Auslegungskaskaden nicht mehr zu. Kann es ein komplizierteres Gemenge an angeblichem Wissen, an Glauben, an Angst und Hoffnung geben? Eine solche „Konstruktion“ ist die ideale Voraussetzung, um die Abhängigkeit und damit die Macht über die ungläubig Verständnislosen zu erreichen. Das führt aber auch zur Unfähigkeit der christlichen Kirchen, ihren Glauben und ihre Werte den „Neuintelligenten“ plausibel zu machen und damit zuverlässig zur Beliebigkeit des Glaubens.

Uns (im ev. Teil der Republik) wird derzeit ein Glaube als verbindlich dargestellte, der die christliche Liebe selbst in der Toleranz der Intoleranz wieder findet. Der die Selbstverleugnung/Glaubenssuizid (Segnung von Motorrädern in Kirchen, Gottesdienste auf der Eisbahn in Neustadt/Weinstraße) als Mittel auf dem Weg zur Liebe des Nächsten darstellt. Der christliche Glaube hat sich selbst zur Unkenntlichkeit relativiert. Das tut er nicht aus Überzeugung und Stärke. Das geschieht aus der Schwäche fehlender überzeugender Argumente, die zumeist als hohle Phrasen daher kommen. Solange diese „Versteher“ unter sich bleiben und sich gegenseitig Verständnis suggerieren, kann das in überschaubaren „Gemeinden“ funktionieren. Diese „Fort-Mentalität“ einer in sich geschlossenen Gesellschaft ist allen nicht „Insidern“ nicht mehr zu vermitteln. In der katholischen christlichen Kirche ist es der Vatikan und die Kurie, in der Vielzahl der ev. Gemeinden sind es die Gruppen und Grüppchen und die alles bis zur Beliebigkeit infrage stellenden wissenschaftlichen Theologen. Wer hilflos ist, zieht sich dann in sein gedankliches Schneckenhaus zurück um die Vergangenheit zu genießen. Die Bibel soll, kann und darf nicht ein Sprachalbum der Vergangenheit sein. Aus ihr muss die Kraft für die Zukunft geschöpft werden.

Dafür brauchen wir einen neuen "Luther", der uns nach den derzeitigen christlichen Regeln und Werten einen Glauben vermittelt, der mit den menschenwürdigen Aussagen des NT vereinbar ist. Einen Glauben, der im globalen Vergleich mit anderen Religionen die besseren Werte der Menschlichkeit überzeugend darstellt. Einen Glauben, der sich nicht mehr mit Beweisen zu beweisen versucht, die dann als Beweiskette im Verhau der Vergleiche jämmerlich versiegen.

Die bisherige christliche Glaubensauslegung ähnelt immer mehr Andersens Märchen „von des Kaisers neuen Kleidern“. Kürzlich hat im Chrismon-Forum ein Kind fragen lassen: „Hatte Jesus Eltern?“ Bereits der Versuch einer Antwort auf diese einfache Frage verursacht alle nur denkbaren Glaubens-Turbulenzen. Bedarf es noch eines anderen Argumentes für eine Neubesinnung nach 500 Jahren?