Libanesischer Landarzt
"Der Doktor is’ jut im Piken"
Er setzt die Spritzen schön vorsichtig und bekommt zum Dank Schokolade – oder eine Umarmung. Für Amin Ballouz sind seine Patienten wie eine Familie. Und die Uckermärker freuen sich, dass sie einen Landarzt haben
Der Landarzt Amin Ballouz zieht eine Spritze auf
Landarzt Amin Ballouz auf Hausbesuch
Jonas Ludwig Walter
25.04.2014
14Min

"Guten Tag, mein Herr, danke für den Aal!" Amin Ballouz dirigiert den Patienten auf die Liege am Ultraschallgerät. "Bitte, ­bitte", sagt Herr Happelt. Ballouz will sich mit dem Ultraschall die Blutgefäße am linken Oberschenkel ansehen. "Diese Stelle hier ist eng, mein Herr, ich werde sie in der Gefäßmedizin vorstellen", sagt der Arzt. Er schaut mit zusammengekniffenen Augen durch die Lesebrille, fährt mit der Sonde auf dem Oberschenkel entlang. Der Patient, ein hagerer Mittsechziger, angelt und räuchert selbst, die Fische verschenkt er, auch an den Doktor. "Das muss operiert werden, ein Stent, dann haben Sie Ruhe." – "Deshalb tut mir die Wade weh?" – "Na klar, da kommt nicht genug Blut durch. Man nennt das Schaufensterkrankheit, weil die Leute beim Spazieren­gehen oft stehen bleiben müssen. Ich melde Sie gleich an im ­Krankenhaus." "Danke, Doktor", sagt Happelt. "Ich bitte Sie, ich bitte Sie." Ein Abschiedsgruß, und raus ist er.

Amin Ballouz, 55, weißes Hemd, Nadelstreifenhose, Budapes­ter Schuhe, rote Krawatte, Facharzt für Allgemeinmedizin in Schwedt an der Oder. Das Wartezimmer ist voll, Ballouz eilt mit großen Schritten in den nächsten Behandlungsraum. Zettel, ­Bücher, Mappen liegen auf dem Schreibtisch, in den Regalen stehen Trabimodelle und Fotos seiner vier Kinder, auf den Fensterbänken Orchideen, weiße und rosafarbene Phalaenopsis.

Als Nächstes ist die Blutzuckerpatientin Meier dran, Jahrgang 1935. "Ihre Nierenwerte sind super, Langzeitblutzucker super, da bin ich total stolz auf Sie!" Die Dame lächelt verschämt wie ein Teenager. "Jetzt möchte ich Ihren Blutdruck messen und Ihre schönen Füße angucken. Sie haben doch heute Ihre Füße ge­waschen?" Ballouz grinst, er weiß, wie er seine Patienten bei Laune hält. Er betrachtet die Füße von jeder Seite, testet mit einer Stimmgabel, ob die Hautnerven der Patientin intakt sind. Sind sie. "Zucker in Ordnung, Druck in Ordnung, da gehen wir heute Abend tanzen", ruft er.

Das möchte er: mit den Leuten reden, nicht sie hopp, hopp abfertigen. Aber draußen sitzen so viele, es nicht leicht, die Balance zu finden. In Schwedt und Umgebung fehlen statistisch 4,5 Haus­ärzte, im Land Brandenburg fast 60. In den vergangenen fünf ­Jahren haben sich sieben Ärzte aller Fachrichtungen von außerhalb in der Uckermark niedergelassen, Ballouz ist einer von ihnen. Um zwölf Uhr hat er in fünf Stunden 60 Patienten behandelt. An manchen Vormittagen sind es auch 90, 100 Leute; aber heute ist das Wetter schlecht. Hinter seinem Schreibtisch hängt eine große Holzarbeit an der Wand, Zypressen, ein Hirte mit Kühen – eine Erinnerung an den Libanon. Dort ist Amin Ballouz geboren, in Beirut, als Sohn eines Fernmeldeingenieurs und einer Mode­designerin. Amin, das bedeutet der Gewissenhafte.

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Die Welt ist kurios und mit meinem beschränkten Dasein allein nicht zu begreifen. Deshalb danke ich Gott, dass er mich dennoch alles das erkennen lässt. Was kann es schöneres geben, als einen echten Freund gewonnen zu haben, ohne mich selbst aufwerten zu müssen ?

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Der Doktor malt! Ein sympathischer Mensch. Jeder Mensch kann malen und ist ein Künstler. Das weiß jedes Kind. Das Malen hilft, innere Konflikte zu bewältigen, das ästhetische Empfinden herauszubilden, Schönheit auszudrücken. Was sagt Ricarda Huch dazu ( 1864- 1947 ) ?
"Was Luther vom Dichter unterscheidet, ist nur das, dass er niemals absichtlich gestaltet, es kam ihm nur auf Wahrheit , nie auf Schönheit an. Zwar sind seine Werke überreich an Schönheit, aber nur an zufälliger; er schüttet Edelsteine, Gold und Perlen aus unerschöpflichem Füllhorn, aber ein Geschmeide macht er nicht daraus. Luther war ganz und gar christlich insofern, als er Dichter nicht Künstler, dass er Genie war; so wie umgekehrt manche Künstler nur Künstler, nicht auch Dichter und darum keine Genies sind. Das gestalten macht den Künstler ´; im allereigentlichsten Sinn gibt es deshalb nach Christus überhaupt keine Kunst mehr; denn in allem, was Form, Gestalt betrifft sind die nachchristlichen Menschen Schüler der Alten, und zwar Schüler, die ihr Vorbild nicht erreichen. Die Beseelung der Form durch die Persönlichkeit ist unser höchstes Ziel und das, was wir an Luther bewundern. (...) Geist zu sein und doch Chaos in sich zu haben, das ist eben das Geheimnis des Genies. " Die weniger schöne Kritik an der Gestalt Luther erspare ich hier dem Leser, wobei es mir auch nur um den Künstler im künstlerischen Menschen geht.

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Warum bekommen die Uckermärker und viele andere deutsche Gemeinden keine neuen Ärzte mehr und die Originale -wie hier geschildert- sterben langsam aus ? Weil sie auf einen simplen Trick ihrer Krankenkassen hereinfallen ! Diese gaukeln ihnen vor , sie seinen auch außerhalb der Klinik krankenversichert. Sind sie aber nicht wirklich. Und das verschweigt auch Ihr Beitrag arglistig: die WAHRE URSACHE der Misere. Die Kranke Kasse kassiert zwar üppige Beiträge, aber eine Rechnung bezahlt sie nur der Klinik. Reicht der Patient eine Rechnung seines Arztes ein, schüttelt der Sachbearbeiter den Kopf und lügt :wir zahlen dem Arzt das alles über die KV Brandenburg. In Wirklichkeit hat die Kranke Kasse die ambulante Versicherung zur KV ausgelagert und zahlt hierfür einen Jahresbeitrag von meisten 0 (Null !), seltener ca. 250 Euro (bei Vollzeitjob). Aus diesem Mini-Beitrag folgt : der Pat. ist nicht real versichert , sondern erhält im Krankheitsfall einmal 10-40 Euro im Vierteljahr pro Arzt. Ein echter Witz, wenn es nicht so schändlich wäre. Statt der von Ihnen propagierten Naturalienbezahlung (Aal, Schokolade) , sollten es die Uckermärker einfach mal mit Ehrlichkeit versuchen: sie verbieten ihrer Krankenkasse, sie zur KV Brandenburg auszulagern und reichen der Kasse ihre Arztrechnung zur Erstattung ein, nach Paragr. 13 , SGB V. Dann bekommen sie auch wieder einen Arzt in die Gemeinde !