chrismon: Glauben Sie an Gott
Jan Assmann: Das frage ich mich oft. Als Ägyptologe bin ich weit weg von der Kirche.
Friederike von Kirchbach: Ich habe das Glück, dass meine in der Kindheit entstandene Gottesbeziehung mich immer durch Krisenzeiten getragen hat. Ich kann mich an keinen Zeitpunkt erinnern, an dem ich so von Zweifeln geplagt war, dass ich nicht an Gott geglaubt habe. An meine Kirche habe ich durchaus meine Fragen.
Assmann: Schön! Im Lichte Ihrer Antwort möchte ich meine nuancieren. In meinem Lebensgefühl gibt es irgendwie einen Gott. Nicht den Gott der Bibel, der ist mir zu mythologisch. Dabei liebe ich die Texte und Traditionen sehr. Wer möchte schon auf die Matthäuspassion verzichten? Die ganze Passionsgeschichte steckt mir in den Knochen. Meine Mutter hat mich als Drei-, Vierjährigen während des Krieges in Lübeck in Konzerte mitgenommen. Babysitter gab es nicht. Ich habe mir die Bilder in der Kirche angeguckt. Lübecker Gotik, ein einziges Blutbad: Die Kruzifixe, die Märtyrerbilder haben meine kindliche Fantasie beschäftigt. Fast würde ich sagen: mich traumatisiert. Auf der anderen Seite habe ich sehr stark ein Gefühl des sich Getragenwissens.
von Kirchbach: Erinnerungen an gewalttätige Bilder habe ich auch – aus Meißen, wo ich ab dem zwölften Lebensjahr aufgewachsen bin. Meinen Gottesglauben hatte ich allerdings schon früher. In der ersten Klasse hatte ich einen Blinddarmdurchbruch, aus der Zeit erinnere ich mich an das Kinderlied „Meinem Gott gehört die Welt“. Eine Strophe heißt: „Lieber Gott, du bist so groß, und ich lieg in deinem Schoß wie im Mutterschoß ein Kind. Liebe deckt und birgt mich lind.“
Assmann: Ich kenne das gar nicht.
von Kirchbach: Wunderschön, von Arno Pötzsch. Mein Glaube hat mit dem Bild vom Mutterschoß und dem Wort „lind“, also „zärtlich“, angefangen. Die gewalttätigen Bilder, die ich später in Meißen sah, hatten wenig mit diesem weiblichen Gottesbild zu tun.
Woher kommt denn das Gewalttätige in der Religion?
Assmann: Ich sehe drei Quellen: den Heiligen Krieg, die Loyalitätsforderung, die aus dem Bund Gottes mit den Menschen erwächst, und den Fundamentalismus. Heiligen Krieg gab es überall im Alten Orient: Mit Feinden darf man keine Verträge machen, ihre Töchter nicht heiraten, man muss sie bekämpfen, vertreiben, ausrotten. Solche Texte haben in der heutigen Religion nichts zu suchen. Dann der eifersüchtige Gott, der die Sünde der Väter bis ins dritte und vierte Glied straft, aber denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis ins tausendste Gnade erweist. Über die Gefahren, die von dieser Loyalitätsforderung ausgehen, sollte man nachdenken. Der Fundamentalismus schließlich kommt daher, dass man Gottes Willen verschriftlichte und dieser Schrift absolute Autorität zumisst. Texte aus der Eisenzeit bekommen eine unhinterfragbare Geltung.
von Kirchbach: Im Theologiestudium haben wir gelernt, Texte historisch-kritisch zu erschließen und Bezüge zu anderen altorientalischen Quellen herzustellen. Da verbietet es sich, Begründungen für gewalttätiges Handeln aus biblischen Texten abzuleiten. Auf der Predigtkanzel kann man durchaus sagen: „Ich bin nicht derselben Meinung wie der biblische Autor! David war nicht der bessere König, weil er soundsoviele Philister mehr erschlagen hat als Saul.“
Assmann: David und die Philisterkriege, auch so eine schreckliche Geschichte.
von Kirchbach: Gleichzeitig bin ich dankbar dafür, wie unverstellt und derb die Bibel von Gewalt erzählt, manchmal geradezu unerträglich derb. In unserer Kultur wird das nicht getan. Ich bin Pfarrerstochter in vierter Generation. Ich bin in einer Kirche aufgewachsen, die so tut, als hätten wir alle nötigen Schritte auf dem Weg zur Nächstenliebe schon fast hinter uns. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat zwischen 2000 und 2010 eine Dekade zur Überwindung von Gewalt ausgerufen. Wie naiv wir da bei manchen Äußerungen waren! Gewalt ist ein Teil unseres Menschseins. Ich finde enorm wichtig, Herr Assmann, wie Sie sich gegen diese Naivität stellen. Auch dass die Bibel manchen Fundamentalisten als Rechtfertigung zur Gewalt dient, schließe ich nicht aus. Aber die Texte sind doch niedergeschriebene Erfahrung, nicht Ursache von Gewalt!
Assmann: Sie sind beides. Die Überlieferung aufzuschreiben ist das eine, der Niederschrift absolute Autorität zuzusprechen, das andere. Sie gilt nun als Heilige Schrift, als unantastbar, Gottes Wort, Offenbarung. Diesen zweiten Schritt halte ich für problematisch.
Weil der Gläubige behauptet, er wisse, was wahr und was falsch ist?
Assmann: Ja.
Erleben Sie Rechthaberei unter Theologen, Frau von Kirchbach?
von Kirchbach: Dass sich jemand als etwas Besseres fühlt und vermeintlich etwas besser weiß – ja, das erlebe ich. Ich erliege dieser Haltung vielleicht auch, ohne es zu merken. Deswegen bin ich mit meiner Kritik an Ihren Thesen auch vorsichtig, Herr Assmann. Nun lebe ich in Berlin. Dort sind Christen in der Minderheit, alle Konfessionen zusammen etwa 30 Prozent, Wilmersdorf und Dahlem eingeschlossen. Die Zahl derer, die in Glaubensfragen nicht nur gleichgültig, sondern aggressiv reagieren, ist überwältigend. Dann passiert, was ich schon in der DDR negativ empfand: Man schließt sich in einer Nische zusammen. „Schließet die Reih’n, treu lasst uns sein, trifft uns auch Spott, treu unserm Gott.“ So kann auch ein Gefühl der Abwehr und Überlegenheit entstehen.
Assmann: Aus der Minderheitensituation entstanden auch die Loyalitätsforderung der Bibel und ihr absoluter Geltungsanspruch. Mose führte die neue Religion gegen die murrende Mehrheit ein, er setzte sie zum Teil gegen mörderischen Widerstand durch. Auch die biblischen Propheten trafen auf solchen Widerstand. Jesus von Nazareth warnt vor frommer Selbstgefälligkeit, ruft zu Feindesliebe auf und wird als Gotteslästerer an die Römer ausgeliefert. Wie konnten Christen trotzdem Kreuzzüge führen, Ketzer verbrennen und Juden verfolgen?
von Kirchbach: Mich macht sprachlos, dass man Gewalt sogar mit dem Christentum begründete
von Kirchbach: Ich weiß es nicht. Mich macht sprachlos, dass man Gewalt sogar mit dem Christentum begründete. Das passt gar nicht zu Jesus. Die Kreuzritter hatten das Kreuz auf die Mäntel ihrer Rüstungen gestickt. Auf den Koppelschlössern des Ersten Weltkriegs stand „Gott mit uns“. Ebenso gab es den SS-Kommandanten von Auschwitz, der die Matthäuspassion hörte. Wir müssen uns kritisch mit Vernunft und Glauben von Traditionen lösen, die so etwas möglich machten und förderten.
Assmann: Papst Johannes Paul II. hat für die Kreuzzüge um Vergebung gebeten, auch für die Judenpogrome und Ketzerverbrennungen. Dieses Kapitel ist überwunden. Jetzt stehen Schmierereien an christlichen Institutionen. Ich war entsetzt zu lesen, dass die Dormitio Abbey in Jerusalem, an der ich ein paar Mal gelehrt habe, mit Parolen beschmiert war. „Jesus ist ein Affe“ und anderes stand da. Auch Christenverfolgungen in Indien und Ägypten
erfüllen mich mit großer Unruhe.
Liberale aller Religionen sagen, verschiedene Offenbarungen könnten nebeneinander bestehen. Leuchtet Ihnen das ein?
Assmann: Ja, sofort. Darüber bin ich mit einem sehr klugen jüngeren katholischen Fundamentaltheologen aus Wien im Gespräch. Wir waren weit gekommen. Nun beteiligt er sich an der Debatte um Monotheismus und Gewalt und ist in meinen Augen ein wenig rückfällig geworden. Auf einmal gibt es doch nur eine Wahrheit. Von der absolut und universal geltenden Offenbarung Jesus Christus will er nicht abgehen. Aber ist es nicht ehrlicher, von einem Gott zu sprechen, der sich auf viele Weisen offenbaren kann?
von Kirchbach: Für mich ist es eine Frage der Toleranz. Jeder kann zwischen dem christlichen, jüdischen, muslimischen und buddhistischen Weg wählen. Trotzdem kann ich sagen: Für mich gibt es diesen einen Weg, und darüber kann ich euch etwas erzählen.
Wenn eine Offenbarung Feindesliebe fordert und die andere: „Bringt Andersgläubige um“, muss dann nicht eine falsch sein?
Assmann: Oder sie wurde missverstanden. Um Missverständnisse auszuräumen, haben sich die Vertreter der drei großen Religionen schon immer zu Religionsgesprächen zusammengesetzt. Im neunten und zehnten Jahrhundert in Bagdad zum Beispiel, unter der Ägide eines Kalifen. Eine Religion war federführend, aber es waren Gespräche, kein Krieg.
Zum Glauben an einen Gott gehört die Überzeugung, dass Gottes Gebote für die ganze Welt gelten, nicht nur für ein Volk.
Assmann: Einen gewissen Universalismus gab es aber schon vor dem Monotheismus und unabhängig von ihm.
In Afghanistan wollte der Westen die universellen Menschenrechte schützen und hat am Ende den Streit zwischen den Konfliktparteien im Lande verschärft. Beschert uns der Anspruch, über universelle Gebote zu verfügen, heute noch Probleme?
Assmann: Da prallen tatsächlich zwei Monotheismen aufeinander, der des Westens und der der Taliban. Als radikaler Pazifist war ich immer gegen den Afghanistankrieg. Ich finde es schrecklich, was die Taliban machen, auch generell die Unterdrückung der Frau in islamischen Ländern, die ich als Ägyptologe mitbekomme. Trotzdem halte ich es für falsch, da einzumarschieren und die Menschenrechte mit Drohnen durchzusetzen.
von Kirchbach: Ich wünschte, ich hätte da so viel Klarheit wie Sie, Herr Assmann. Ich erlebe, dass die Politik für Afghanistan strategische Entscheidungen trifft, die leider viel zu säkular sind, viel zu weit weg von den wichtigen theologischen Auseinandersetzungen hierzu. Damit müssen wir Theologen uns abfinden. Politik und Militär fragen nicht nach Gott, nicht nach Wahrheit, sondern sie handeln eher nach politischen und wirtschaftlichen Interessen. Aber hat wirklich eine repräsentative Gruppe der afghanischen Gesellschaft 2001 gewollt, dass sich dort eine Demokratie entwickelt, und deshalb um Hilfe gefleht? Und war ihre Situation vergleichbar mit der Lage der Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern, die verzweifelt auf das militärische Eingreifen der Alliierten gewartet haben, auf ihre Befreiung?
Assmann: Ja, auch diese Frage müssen sich Pazifisten stellen.
War es die Religion, die Terroristen wie Mohammed Atta und Anders Breivik aggressiv gemacht hat?
von Kirchbach: Wir haben alle aggressive Elemente in uns, manche mehr, manche weniger. Grausam ist ja auch, wer Menschen in Angst und Verzweiflung treibt. Aber was Breivik und die Attentäter des 11. September taten, das sind extreme Gewaltexzesse.
Jan Assmann: "Die Attentäter des 11. September eiferten für einen beleidigten Gott"
Assmann: Die Gewalt ist nicht Teil des Menschen, sondern Teil der Kultur. Ich unterscheide zwischen Irren wie Breivik und den Attentätern des 11. September. Bis heute können wir ja nicht so recht nachempfinden, dass diese Attentäter von einer tödlichen Beleidigung ausgegangen sind. Sie hielten Saudi-Arabiens Bündnis mit Amerika und die US-Militärpräsenz an den heiligen Stätten für obszön und für eine Beleidigung Gottes und empfanden es als heilige Pflicht, sich als willige Vollstrecker für einen beleidigten Gott einzusetzen. Genau das brauchten die alten Götter Ägyptens, Griechenlands und Roms nicht. Die halfen sich selbst.
Wäre das mit der Abschaffung des Monotheismus zu beenden?
Assmann: Nein, ich fürchte nicht.
Kann man Ihren Gott beleidigen, Frau von Kirchbach?
von Kirchbach: Man kann versuchen, meinen Glauben an Gott zu beleidigen. Meinen Gott beleidigen kann man nicht.
Sind Fundamentalisten humorfrei?
Assmann: Das kann sein. In Sachen Humor ist die Bibel aber großartig. Etwa die Geschichte vom Seher Bileam, den der König von Moab beauftragt, Israel zu verfluchen. Seine Eselin will nicht weitergehen, weil sie etwas sieht, was der Seher nicht sieht: Ein Engel steht im Weg. Und als er seine Flüche aussprechen will, bringt er nur Segenssprüche heraus. Darüber haben die Leute früher doch sicher schallend gelacht. Diesen Humor empfinde ich als Ehrentitel des Judentums.
von Kirchbach: Humorvoll gemeint ist doch sicher auch, wie Jesus und die Jünger auf dem Berg der Verklärung in einer Erscheinung Mose und Elia sehen. Und was will Petrus? Hütten bauen! Vielleicht sind Fundamentalisten humorlos. Vielleicht haben sie auch eine andere Art Humor. Rückblickend kommt mir das angeblich marxistische System, in dem ich aufgewachsen bin, humorlos vor.
Humorlos streng war auch das protestantische Preußen.
von Kirchbach: Das mag sein. Ich liebe meine Kirche auch deshalb, weil sie sich ständig infrage stellt und neu konzipiert. Die Kirche meiner Kindheit ist nicht mehr die Kirche von heute. In 20 Jahren wird da wieder eine andere Kirche sein. Zum Beispiel bei Frauenrechten. Meine Großmutter war eine hervorragende Theologin und hat – solange mein Großvater im Krieg war – wie andere Frauen pfarramtliche Dienste wahrgenommen. Als er
zurückkam, hat sie den Platz für ihn wieder geräumt. Ich kann heute Pröpstin sein. Dass Frauen geistliche Leitungsämter wahrnehmen, ist weltweit ein Alleinstellungsmerkmal der Protestanten.
Wenn es heute in Deutschland zu Ausschreitungen aus Fremdenhass käme, auf welcher Seite stünden die Christen?
Assmann: Sie sollten dem entgegenwirken. Ist es denn wirklich die fremde Religion, die den Fremdenhass hervorruft? Die Schweizer haben auch aus religiösem Widerwillen gegen Minarette votiert. Aber Xenophobie funktioniert unabhängig davon. Nicht wenige Deutsche haben leider nur geringe Sympathie für Afrikaner, die ja sehr oft Christen sind.
von Kirchbach: In gewissen Gegenden meiner Landeskirche Berlin, Brandenburg und schlesische Oberlausitz gibt es No-go-Areas. Darüber wird leider kaum berichtet. Schwarzhäutige Menschen fahren aus gutem Grund dort nicht gern hin, vor allem nie allein. Es gibt sehr viele Netzwerke gegen Rechtsextremismus, immer sind die Kirchengemeinden dabei. Als Hauptakteure gegen rechts sind wir Christen oft Ziel von Angriffen, von Farbschmierereien. In der Kirchenleitung bekommen wir häufig Meldungen darüber. Gleichzeitig legen Umfragen nahe, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unter religiösen Menschen stark ausgeprägt sei: Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung der Homosexualität, ein Chauvinismus Frauen gegenüber. Wir sind eben eine Volkskirche mit sehr unterschiedlichen Mitgliedern.
Was schätzen Sie am meisten am Gott der Bibel?
Assmann: Die Bibel.
von Kirchbach: Ja, ich auch. Sie ist meine Heimat. Ich bin mit den Texten vertraut, sie gehören zu meiner Familiengeschichte.
Den abrahamitischen Religionen ist die Aggressivität immanent
Judentum, Christentum und Islam haben eine aggressive Wurzel. Man denke z.B. an die mystische Geschichte von der Zerstörung Sodoms und Gomorrhas durch den abrahamitischen Gott. Heute würde man so einen "Gott" mit Interpol suchen und Sicherungsverwahrung anordnen. In der Gedankenwelt der Hirtenvölker war Aggressivität an der Tagesordnung.
Ich bin gerne bereit, gegenüber Print- und Internetmedien, zum Vorteil einer rationalen Weltsicht Stellung zu nehmen, religiöse Weltbilder sind anachronistisch.
Joachim Datko - Physiker, Philosoph
Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
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" Glauben Sie an Gott? "
" Glauben Sie an Gott? " Meine schlichte Antwort lautet : Nein.
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Das mit den agressiven Hirtenvölkern...
Das mit den agressiven Hirtenvölker kam vieleicht von den Rangeskämpfen der Stämme um eine Frau zu haben mußte man drum kämpfen oder eine Mitgift bringen eine Ziege schlachten oder 7 J. arbeiten für Schwiegerelten oft wurde sich um Schöpfrechte gestritten
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