Am 25. April 1986 sitzt sie auf der Anklagebank. Vor ihr auf dem Tisch liegt eine Rose, ein Sympathiezeichen von Friedensaktivisten. In diesem kleinen Saal des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd sind vor ihr schon viele andere aus demselben Grund verurteilt worden: Nachrüstungsgegner, die an Sitzblockaden vor der benachbarten Pershing-2-Basis in Mutlangen teilgenommen hatten, nach damaliger Rechtsauffassung eine versuchte Nötigung. Fünf Minuten lang hatte Sölle mit etwa 15 anderen Demonstranten acht Militärlaster und ein Baustellenfahrzeug an der Durchfahrt zum Raketenlager gehindert. Dann trugen Polizisten sie weg. Vor Gericht, das sie mit dem „Gmünder Maß“ – 20 Tagessätze, insgesamt 2000 Mark – bestrafte, spricht sie vom „Projekt des Todes“, von „Kriegsvorbereitungen mit Präzision und Brutalität“, während in den armen Ländern doch Menschen verhungerten.
Eine der prominentesten Aktivistinnen der Friedensbewegung
Die heftigen Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluss zerreißen Anfang der Achtziger die Kirche. Dass der Westen den Warschauer Pakt mit zusätzlichen Atomraketen zu Abrüstungsverhandlungen zwingen will, erscheint den einen als Gebot der Vernunft, anderen als unverantwortliches Spiel mit dem Tod. Sölles Argument: Nach einem atomaren Super-GAU ist jedes Leben unmöglich. Sölle ist eine der prominentesten Aktivistinnen der Friedensbewegung. Wütende Kritik erhebt sich in der Kirche gegen ihre polarisierenden öffentlichen Auftritte. Ob sie heute den Satz von 1983 während der Nachrüstungsdebatte wiederholen würde, die westdeutsche Kirche sei „eine der reichsten und substanzlosesten der Welt“?
Zehn Jahre ist es her, dass Dorothee Sölle an den Folgen eines Herzinfarktes starb, am 27. April 2003. Sie trägt ein Leben lang die Politik in den Glauben und den Glauben in die Politik. Sie hat eine besondere Begabung, in der Begegnung mit Menschen, in der Schönheit der Natur oder in einem literarischen Text den tiefen Sinn des Lebens und das Wirken des Schöpfers zu sehen. Und sie gibt sich nicht mit diesen klugen Einsichten zufrieden, sondern folgt unbeirrt dem Weg, den sie als richtig erkannt hat. Sie kann durchaus ungehalten sein, wenn richtige Erkenntnisse nicht zum Handeln führen, und mutmaßt, dass ein Zuviel an Information das eigene Handeln auch blockieren kann. Das klingt intellektuellenkritisch, ist es aber nicht.
Eine Theologin, die Menschen begeistern kann
Sie hat sich hoch qualifiziert im akademischen Betrieb, erst fürs Lehramt Theologie, Philosophie und Literaturwissenschaft studiert, dann eine Doktorarbeit geschrieben, sich 1971 habilitiert mit einem Thema zwischen Theologie und Dichtung. Sie ist Privatdozentin in Köln – in dieser Zeit veranstaltet sie auch ihre „politischen Nachtgebete“ (1969 bis 1972). Von 1975 bis 1987 lehrt sie als Professorin für Systematische Theologie in New York. Sie besucht Regionen der Welt, in denen es hoch hergeht: 1972 das kriegszerstörte Nordvietnam, 1984 – als Wahlbeobachterin – das sandinistische Nicaragua. Sie schreibt dreißig Bücher und Gedichtbände. Ihre Titel zeigen etwas von der Grammatik ihres Lebens: „Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem ‚Tode Gottes‘“ (1965), „Aufrüstung tötet auch ohne Krieg“ (1982), „Mystik und Widerstand: ‚Du stilles Geschrei‘“ (1997).
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Der Filmemacher Rüdiger Sünner hat über Dorothee Sölle einen Film gedreht: "Mystik und Widerstand"
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Dorothee Sölle kann Menschen begeistern. Sie bläst in die Glut unter der Asche, an der die bürgerliche Gesellschaft zu ersticken droht. Vor allem ihr Nachdenken über den Holocaust treibt sie um. Ihre Mutter, Pazifistin seit dem Ersten Weltkrieg, ist ihr Vorbild: „Sie hasste Hitler und den Militarismus, das habe ich regelrecht geerbt“, sagt Dorothee Sölle. Die Frage, ob es nach Auschwitz überhaupt noch einen christlichen Glauben geben kann, bestimmt ihr ganzes Leben. Die Vorstellung, im Himmel säße ein Gott, der die Naziverbrechen mitverantwortet, ist für sie unzulässig. Es sind die Menschen, die für gerechte Verhältnisse, für Freiheit und Frieden verantwortlich sind und kämpfen müssen.
Die politischen Auseinandersetzungen sind leiser geworden. Der Kalte Krieg ist beendet. Selbst die Bankenkrise geht ohne größere politische Unruhen vonstatten. Armutwanderungen nehmen zu. NSU-Morde, Waffenexporte: Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Themen Dorothee Sölle heute aufgreifen würde.
Glut unter der Asche !
Wirklich mutig, diese westdeutschen Friedensaktivisten von damals ! Trotzten der Staatsgewalt und gingen heldenhaft in die nächste Instanz, solange bis das Verfassungsgericht mit einer Stimme Mehrheit die ach so harten Urteile aufgehoben hatte...
Die wirklich Mutigen saßen währenddessen in Bautzen oder hatten sich bereits selbst verbrannt.
Die Verteidigungsrede von Walter Jens vor dem Gmünder Amtsgericht (FAZ v.12.11.1986) verwundert heute noch durch ihre arrogante Selbstgerechtigkeit, ihre ideologische Enge und ihrer dürftigen Argumentationsbasis. Für Frau Sölle trifft dies in dieser Angelegenheit nicht minder zu ...Sie hat mit ihrer links-pharisäerhaften Polemik höchstens das damalige politische Klima vergiftet.
Mit der Glut, welche sie entfachte, hat sie erheblich an der politischen Kultur gezündelt.
Wie schon Gottfried Keller über dergleichen christliche Eiferer meinte:
"Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche tut.
..."
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Benzin sparen!
Peter Rietze schrieb am 28. April 2013 um 17:16: " ...die ach so harten Urteile...... Die wirklich Mutigen saßen währenddessen in Bautzen oder hatten sich bereits selbst verbrannt." Klar, Opposition im Reich des Guten gehört sich nicht, sondern ist böse. Opposition gegen das Reich des Bösen ist hingegen gut. Da muss sogar der sonst übliche Appell verstummen, man möge doch kein Benzin verschwenden. Gut und Böse haben diese durchschlagende Eigenschaft, die überdies so handlich ist, dass sie auch von Kindern locker gedanklich zu bedienen ist. _______________________ Weil das so ist, erhebt sich allerdings eine Frage. Frau Prof. Dr. Sölle hat, wie manch anderer Theologe auch, gesellschaftskritische Einsichten, mögen sie so partiell oder umfassend sein, wie sie es eben sind, verbunden mit der glühenden Liebe zum Guten schlechthin, dem lieben Gott nämlich. Soll man darüber nun in Begeisterung verfallen, da immerhin Kritik vorkam, die ansonsten auf der roten (typisch!) Liste der vom Aussterben bedrohten Gedanken steht? Oder soll man sich die ausgefallenen Haare raufen, weil sich diese Kritik selber ad absurdum führt, wenn sie nicht die Kritik an Gott einschließt, sondern immer nur die Kritik an angeblich falschen Gottesvorstellungen?
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Blind gegenüber kommunistischer Bedrohung
Ich kann leider nicht beurteilen, was Frau Sölle als Theologin geleistet hat. Ich kann mich aber noch gut an die achtziger Jahre, die Debatte um die Nachrüstung und das Wirken der «Friedensbewegung» erinnern. Frau Sölle ist für mich ein typisches Beispiel für das weitgehende Versagen der evangelischen Amtskirche. Sie mag ehrenvolle Motive gehabt haben, aber der Protest der «Friedensbewegung» und insbesondere auch Frau Sölles richtete sich damals ausschließlich gegen die Bestrebungen westlicher Politiker wie Helmut Schmidt, Margaret Thatcher und Ronald Reagan, der massiven Übermacht der Sowjetunion und der von ihr den Staaten des Warschauer Paktes aufgezwungenen Diktaturen wenigstens etwas entgegenzusetzen. Ich kann mich leider nicht daran erinnern, daß Frau Sölle gegen die grausame und unmenschliche Unterdrückung der Menschen und vor allem auch der Christen in den kommunistischen Diktaturen protestiert oder gekämpft hätte oder gegen die uns bedrohende massive Aufrüstung dieser Staaten (die diese sich eigentlich überhaupt nicht leisten konnten). Weite Teile der evangelischen Amtskirche haben sich genauso verhalten. Kein Protest gegen die Greueltaten eines Ho Chi Min, den Völkermord eines Pol Pots oder den Krieg der Sowjetunion in Afghanistan oder auch nur gegen die brutale Unterdrückung in der DDR oder die Mauer samt Schießbefehl. Frau Sölle hat zwar in möglicherweise guter Absicht kommunistische Diktaturen besucht, aber anscheinend nicht bemerkt oder bemerken wollen, wie dort die Menschen und vor allem auch Christen grausam unterdrückt wurden. Wenn man als einfaches Gemeindemitglied auf diese Fakten hinwies, fiel man bei der Amtskirche in Ungnade. Wie seit der Öffnung der Stasi Akten der DDR bekannt ist, war nicht nur die evangelische Kirche dort sondern auch im Westen durch die Stasi unterwandert ebenso wie die «Friedensbewegung». Vieles wurde von «drüben» gesteuert und vor allem auch finanziell unterstützt. Auch der Terror der RAF und anderer linker Gruppen wäre ohne diese Hilfe rasch zusammengebrochen. Die Korruption der evangelischen Kirche wurde vor allem im Westen nie auch nur ansatzweise aufgearbeitet. Die Ergebnisse einer gnadenlosen Aufklärung wären vermutlich erschreckend, aber das wird anscheinend verhindert, weil es immer noch genug Leute in der Kirchenführung gibt, für die der Sozialismus trotz seiner Verbrechen und seines Scheiterns ein erstrebenswertes Ideal ist, und die die freiheitliche bürgerliche Gesellschaft ablehnen oder gar hassen.
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Stasimitarbeiterin Prof. Dr. Sölle?
Thorsten Maverick schrieb am 2. Mai 2013 um 16:45: "Die Ergebnisse einer gnadenlosen Aufklärung wären vermutlich erschreckend". Dann lassen wir uns doch vorsichtshalber schon jetzt gleich den Schrecken in die Glieder fahren. Aber dabei müssen Sie mir ein bisschen helfen, lieber Herr Maverick. Die Stasi hat also die evangelische Kirche, die Friedensbewegung und die RAF unterwandert. Was soll man von Kommunisten schon auch anderes erwarten als solch üble Machenschaften. Das verstehe ich. Es gibt jetzt aber verschiedene Methoden der Unterwanderung. Da Sie erfreulicherweise nicht von Blindheit gegenüber der roten Gefahr geschlagen sind, können Sie mir sicherlich Auskunft geben. War Frau Prof. Dr. Sölle also von der Stasi ausgebildete Perspektivagentin? Tat sie also nur immer so, als würde sie das meinen, was sie sagte und schrieb und wollte doch nur als die 5. Kolonne Moskaus dienen? Oder hatte sie Dreck am Stecken und ließ sich von der Stasi erpressen? Oder war sie scharf auf das Geld, das ihr die Stasi bot? Oder kommt die letzte Möglichkeit doch nicht in Betracht, da den roten Zaren in Moskau das Geld ausgegangen war? Die hatten sich sowieso eine Armee zugelegt, die sie "sich eigentlich überhaupt nicht leisten konnten", wie Sie bereits treffend bemerkten. Teure Armeen gehören in die Hände der Führer der freiheitlich bürgerlichen Gesellschaft und nicht zu den tiefroten Socken. Und überhaupt die Frechheit der Sowjetunion, in Afghanistan Krieg zu führen. Da muss die menschenrechtsliebende Bundeswehr hin und nicht die Rote Armee! Gott sei Dank ist diesbezüglich die Welt wieder in Ordnung. Die SU, die Stasi, Frau Sölle und wer sonst noch alles beim Komplott mit dabei war, haben inzwischen alle ihre wohlverdiente Höllenfahrt angetreten. Sie können also wieder etwas Luft holen und entspannen, lieber Herr Maverick.
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