Sie piepsen und scharren, gucken neugierig, was passiert. 800 flauschig-gelbe Küken, vor wenigen Stunden geschlüpft, sie haben schon eine Reise hinter sich. Es ist der 17. September 2012, 16 Uhr, Markus Roth, Inhaber eines Biogeflügel-Mastbetriebs im nordhessischen Witzenhausen, nimmt seine Lieferung entgegen, wie immer, alle drei Wochen. Die Fracht ist verteilt auf zehn rote und gelbe Plastikkisten, wie die Brötchenkisten beim Bäcker, darin die Küken der Linie ISA JA 757: extensive Freilandmasthähnchen und -hühnchen, robust, weißes Gefieder, etwa 40 Gramm das Stück. Kosten: 85 Cent pro Tier, inklusive Steuern und Transport.
Markus Roth, 47 Jahre, Agraringenieur und seit 17 Jahren Biobauer, hockt mit weißen Überziehern über den Schuhen im warmen Stall und lässt die Küken Kiste um Kiste in ihr neues Zuhause purzeln.
Sie verteilen sich schnell auf den 25 Quadratmetern. Über ihnen hängen zwei Wärmelampen, auf dem Boden liegt Einstreu, darauf stehen Schalen mit Futter, Wasserspender, es riecht nach frischem Stroh. Die Küken fressen und trinken zum ersten Mal, rennen herum, suchen etwas zum Unterstellen. Ihr helles Piepsen schmerzt in den Ohren.
Wie leben und sterben die Tiere? Kann ich das vertreten?
Zwölf Wochen lang begleiten wir diese Herde nun, wir werden die Hühner aufwachsen sehen – und sterben.
Wer Fleisch isst, das sind rund 90 Prozent der deutschen Bevölkerung, akzeptiert, dass Menschen Tiere aufziehen, um sie später schlachten zu lassen. Es geht hier also um Fragen wie diese: Wie leben und sterben die Tiere? Kann ich das vertreten? Würde ich dieses Fleisch meinen Kindern vorsetzen?
Geflügelfleisch ist beliebt, es gilt als gesund, weil es fettarm ist. Die Deutschen essen immer mehr davon, 2010 wurden in Deutschland 1,4 Millionen Tonnen Geflügelfleisch erzeugt, 81 Prozent mehr als im Jahr 2000.
Bio boomt, von 2010 auf 2011 stieg der Umsatz mit Bioprodukten um neun Prozent, bei Fleisch und Geflügel um 40 Prozent, meldet der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Das klingt nach viel – allein: Nur sechs Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland wirtschaften ökologisch. Der Anteil von Biogeflügelfleisch am Gesamtmarkt beträgt ein Prozent.
Warum so wenig? Und sind Biohühner glückliche Hühner? Oder ist das romantischer Quatsch? Schließlich geht es allen Masthühnern am Ende gleich, auf sie wartet der Schlachter.
„Die ersten ein, zwei Tage piepsen sie viel, sie suchen instinktiv nach der Mutter“, sagt Roth, drahtig der Körper und hoch die Stirn, inmitten seiner wuselnden Neuankömmlinge. Doch die Mutter haben sie nie gesehen. Nur im Kinderbuchidyll brütet die Henne ihre Küken aus, um sie dann großzuziehen. In der modernen Landwirtschaft brüten Maschinen – auch bei Biogeflügel.
Geschlüpft sind die Küken vor wenigen Stunden bei Gregor Overmeyer im westfälischen Hopsten-Halverde. Sein Bioland-Familienbetrieb hat sich aufs Brüten und Aufziehen von Biomastküken spezialisiert. Immer in der Nacht von Sonntag auf Montag schlüpfen dort 6000 bis 10 000 Küken nach 21 Tagen Brutzeit.
Gregor Overmeyer und sein Sohn Christian öffnen frühmorgens die Türen der Schlüpfapparate, sieben Quadratmeter groß, 37 Grad Celsius, ein Klima wie unter einem Hennenpopo. Sie schieben Stapel von grauen Kisten an einen langen Tisch. Die beiden heben die Küken vorsichtig von ihren Schalen in neue Kisten mit Pappunterlage, immer 80 Stück, alles Handarbeit. Die Luft ist staubig von den Federn und dem Kalk der Schalen.
Manche Küken sind nicht ganz geschlüpft oder nicht so vital. Die sortieren sie aus, um sie selbst aufzuziehen. „Bei konventionellen Unternehmen werden solche Tiere vergast“, sagt Gregor Overmeyer. Der Landwirt, 54, schwarzer Rollkragenpulli, Mundschutz gegen den Staub, in jeder Hand zwei Küken, hält beim Zählen inne: „Ich bedauere, dass es keine Naturbrut mehr gibt, aber das würde keiner bezahlen können.“ Auch in der Biolandwirtschaft muss man wirtschaftlich denken, wenn man kein Hobbybauer ist.
Am Tisch daneben beginnen zwei Helfer, die Tiere zu impfen: gegen die Marek’sche Krankheit, eine oft tödlich verlaufende Virusinfektion. Sie greifen ein Küken nach dem anderen, ein Pieks in den Oberschenkel; dann sind die Küken transportbereit. Drei Stunden dauert die Fahrt nach Witzenhausen.
Für Roth sind Bio und Öko nicht Marketingstrategie, sondern Lebenshaltung
Auch der Hof von Markus und Susanne Roth gehört zu Bioland, einem der strengeren Bio-Verbände. Seit März 2012 füttert Roth freiwillig einhundert Prozent Biofutter, Getreide, Erbsen, Sojakuchen, Rapskuchen, Sonnenblumenkuchen, Luzerne, Sojaöl – „weil ich es wichtig finde, Dinge richtig zu machen“, sagt er. Erlaubt ist in Ausnahmen ein konventioneller Anteil von bis zu fünf Prozent. Für Roth sind Bio und Öko nicht Marketingstrategie, sondern Lebenshaltung.
Wer ökologisch produziert, schützt die Gewässer vor Pflanzenschutzmitteln, verzichtet darauf, gentechnisch veränderte Organismen einzusetzen, hält seine Tiere artgerecht. Landwirte, die sich einem Verband wie Bioland, Demeter oder Naturland angeschlossen haben, unterliegen strengeren Vorgaben als die, die sich an der EU-Ökoverordnung orientieren – sie müssen ihre Betriebe etwa komplett auf Bio umstellen.
Doch was ist artgerecht? Eine gesetzliche Definition gibt es nicht. Professor Gerold Rahmann, Leiter des Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau in Trenthorst bei Lübeck, sagt: „Artgerecht ist, wenn es dem Tier von der Geburt bis zum Tod so geht, wie es ihm in der Natur gehen würde.“ Wenn ein Huhn zum Beispiel picken und scharren kann, im Freien Licht, Luft und Niederschläge erlebt, auf einer Stange schlafen kann, sich sicher fühlt.
Pro Jahr mästen die Roths 16 000 Hähnchen. Im Schnitt leben auf dem Hof ständig 4000 Tiere, verteilt auf drei feste Stallgebäude und sieben mobile Außenställe. Für einen Biohof ist der von den Roths mittelgroß.
In konventionellen Betrieben sind Ställe mit 40 000 Tieren nicht selten. Sie produzieren, was die Kunden wollen: sehr preiswertes Fleisch; es geht um Kostenminimierung und Effizienzsteigerungen. Alles ist automatisiert, Lüftung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Futtersteuerung, Tageslicht gibt es kaum. Tierwohl? Nicht überall entscheidend. Die deutsche Hähnchenhaltungsverordnung erlaubt im Stall eine maximale Besatzdichte von 39 Kilogramm pro Quadratmeter; bei Bioland sind es 21 Kilo. Je enger und kürzer die Tiere gehalten werden, desto günstiger ist es für den Fleischproduzenten.
Nach zwei Wochen sind in Markus Roths Herde sieben Tiere gestorben. Zwei bis fünf Prozent Verlust über die Zeit sind bei ihm normal, das wären 16 bis 40 Tiere. Die Küken sind noch gelb, aber nicht mehr so flauschig. Ihnen wachsen Schwänzchen, bei den männlichen Tieren sieht man schon den Kamm. Sie wiegen jetzt 120 bis 130 Gramm – und brauchen mehr Platz.
Der Stall muss größer werden. Roth öffnet eine Wand, nimmt zwei Bretter heraus, dann drei. Die ersten Hähnchen hören auf zu picken oder zu fressen, hoppla, da passiert ja was, sie kommen herbei, gucken, erkunden den neuen Raum, flattern auf Strohballen, wälzen sich in einem großen schwarzen Eimer mit Sand. Manche dösen unter der Wärmelampe. Ein paar Chefs gibt es schon in der Herde, sie testen aus, wer wem aus dem Weg geht, drohen: Sie stellen dann am Hals die Federn auf, picken, am liebsten am Kamm, um den Gegner herunterzuziehen.
Hat ein Landwirt eine emotionale Beziehung zu seinen Tieren? „Natürlich mag ich meine Tiere“, sagt Roth, „aber ich kann sie nicht auseinanderhalten.“ Er könne nicht sagen, ob da immer die gleichen zehn um seine Beine laufen, wenn er den Stall betritt. „Bei einem kleinen Rinderbetrieb ist das etwas anderes – wenige Tiere, mit denen man viel länger zu tun hat.“ Nur eines der Küken kennt er heraus, es ist kleiner als die anderen, hat einen Storchengang. „Ich muss beobachten, wie es sich entwickelt“, sagt Roth.
Antibiotikafreie konventionelle Geflügelmast ist eine Ausnahme
Drei-, viermal am Tag schaut er nach seinen Tieren, ist alles in Ordnung, genug Futter, genug Wasser? Und was macht das Klima im Stall? Ist es feucht? Stinkt es auffällig nach Ammoniak? Das würde auf eine Infektion der Hähnchen hindeuten, Kokzidiose, blutiger Durchfall, sehr ansteckend.
In der intensiven Hühnermast erhalten die Tiere oft Medikamente, ohne krank zu sein – auch Antibiotika. Im vergangenen Sommer zeigte eine Studie des nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzministeriums, dass antibiotikafreie konventionelle Geflügelmast eine Ausnahme ist. Man kompensiert schlechte, enge Haltung mit Arzneien und fördert das Risiko, dass Keime im Hühnerfleisch resistent werden.
Auch Bioland-Bauern dürfen ihren Hähnchen Antibiotika geben, wenn es sich nicht vermeiden lässt. „Aber normalerweise sind meine Tiere so robust, dass das höchstens einmal im Jahr vorkommt“, sagt Roth. Husten behandelt er mit Pfefferminzöl, das er mit einer Verneblerflasche versprüht. Bei Magenproblemen hat er es schon mit Pfefferminztee oder Brottrunk im Trinkwasser probiert, mit Gewürzen, gekochten Eiern oder Kartoffeln; aber zufrieden ist er mit den Ergebnissen nicht. Demnächst versucht er es mit Kräutermischungen.
Markus Roth stammt aus dem Badischen, er wuchs auf einem Nebenerwerbsbauernhof auf, ein paar Milchkühe, Ziegen, Getreideanbau. Seine Eltern nahmen ihn mit zu Anti-AKW-Demonstrationen – Roths Wurzeln sind grün. An der Universität Kassel studierte er Ökologische Agrarwissenschaften. 1996 pachtete Roth einen Hof in der Nähe von Witzenhausen, seine ersten Tiere waren 50 Hähnchen.
Noch während des Studiums heiratete er Susanne, sie bekamen drei Söhne, heute 13, 18 und 21 Jahre alt. Der Mittlere, Olli, könnte sich vorstellen, den Hof einmal zu übernehmen. Nur schlachten, das möchte er nicht.
Die Schlachterei ist das zweite Standbein von Markus Roth, seine Hofstruktur sei so klein, dass er das Fleisch besser vermarkten könne, wenn er selbst schlachte. Neben dem Wohnhaus, das er 2003 kaufte, steht die Fleischerei, dahinter Stallgebäude. Er kauft Geflügel von anderen Biolandwirten hinzu, schlachtet es und verkauft es weiter; 15 Voll- und Teilzeitkräfte unterstützen ihn.
Fünf Wochen nachdem unsere Herde geschlüpft ist, passiert – gar nichts. Nur anderes Futter steht auf dem Plan, weniger Eiweißergänzer, mehr Weizen. Konventionell gemästete Hähnchen würden jetzt schon geschlachtet, ihr Gewicht: 1,5 bis zwei Kilo, Gewinn pro Tier: durchschnittlich sechs Cent. Das muss über Masse gehen.
Nutztiere werden seit Mitte der 1960er Jahre optimiert, Zuchtkonzerne schaffen Masthähnchen, die ihr Futter besser verwerten können, deren Brustfleisch schneller wächst und die schneller schlachtreif werden. Zu schnell. Die Folgen: Die Tiere aus konventioneller Produktion können sich oftmals kaum bewegen, ihr eigenes Gewicht kaum tragen, ihre Gelenke entzünden sich, ihr Herz-Kreislauf-System ist überlastet.
Bei Bio dürfen maximal 4800 Hähnchen pro Stall gehalten werden
Auch ISA JA 757, das auf vielen Biohöfen gemästet wird, ist eine Mischung aus zwölf Rassen, ein Hybridhuhn aus dem Labor des Biotech-Konzerns Hubbard. Bio-Schmäh, wie der österreichische Agrarbiologe Clemens G. Arvay es nennt? „Biogeflügelfleisch ist ethisch nicht perfekt, aber die Wettbewerbsbedingungen lassen keine Alternative zu, es sei denn, der Kunde verzichtet darauf, Fleisch zu essen“, sagt Agrarprofessor Gerold Rahmann. „Die Biogeflügelhalter bemühen sich nach bestem Wissen und Gewissen.“
Es gibt auch im Biosektor Massentierhaltung, so dürfen maximal 4800 Hähnchen pro Stall gehalten werden. Aber nur weil ein Betrieb groß ist, vernachlässigt er nicht automatisch die Biorichtlinien. Und nur weil jemand sich Biobauer nennt, bedeutet das nicht zwingend, dass er auch ehrlich ist.
So soll etwa der Geflügelmäster F. aus Nordrhein-Westfalen konventionelles Geflügelfleisch als Bioware verkauft haben. 2009 verlor er seine Ökolizenz, die Branche war erschüttert, ein Gerichtsprozess steht noch aus.
In der Regel gehe es nicht um die Motivation der Betriebsleiter, sondern ums Können, sagt Rahmann. Aber wie findet man als Verbraucher heraus, welcher Hof gute, ehrliche Ware produziert? „Nachfragen, welche Ausnahmen von den Richtlinien erteilt wurden. Das muss man nämlich nicht transparent machen. Und: hinfahren und sich den Betrieb angucken.“ Oder den Landwirt bitten, Webcams zu installieren, dann kann man sich Bilder übers Internet anschauen.
Für die Roths brachte das Aus von F. höhere Absätze, offenbar sank das Vertrauen der Verbraucher nicht so wie befürchtet. Bioland verstärkte die Kontrollen. Von zweien im Jahr ist eine unangemeldet, dann muss Roth sofort Ställe, Futter oder Grünauslauf zugänglich machen. „Ich kann höchstens sagen: Kann ich bitte fertig essen?“, sagt der Landwirt.
Es ist Ende Oktober, tagsüber etwa acht Grad, nachts null. Unsere Tiere sind sechs Wochen alt, sie wiegen 800 bis 1000 Gramm, ihr Gefieder ist weiß, aber noch nicht an allen Stellen vollständig. Sie sind nun Jungmasthühner und reif für den Mobilstall: Häuschen von 30 Quadratmetern, drinnen Sitzstangen, Strohballen, Futterspender, Wassertränken, draußen jeweils 800 Quadratmeter Auslauf, Wiesen, Büsche, Sträucher – und gespannte Netze obendrüber, wegen der Habichte. Hühner sind schreckhaft, sie trauen sich sonst nicht raus.
Die sieben Häuschen stehen auf einem hinzugepachteten Gelände acht Kilometer außerhalb von Witzenhausen, für jede neue Herde bewegt Roth sie an eine andere Stelle, so schont er Boden und Grundwasser.
20 Hähnchen unserer Herde sind zwischenzeitlich an Kokzidiose gestorben, dem blutigen Durchfall. Höchste Zeit, die Herde zu verkleinern: In Gruppen von 200 Tieren verbringen sie nun den Rest ihres Lebens in Mobilställen. „Das bedeutet mehr Handarbeit“, sagt Roth, „aber das Krankheitsrisiko ist geringer.“ Schon vor einer Woche hat er den alten Stall um einen kühleren Raum erweitert, damit die Hähnchen sich an die Temperaturen gewöhnen.
Roths Sohn Olli, einer seiner Freunde und der Praktikant fangen die Hähnchen ein. Im Stall riecht es nach Ammoniak. Normalerweise dunkeln sie vorher ab, dann bleiben die Tiere sitzen, und man kann sie vom Boden pflücken. Für uns sammeln sie bei Tageslicht. Da merken die Hähnchen, dass etwas los ist, sie gackern und rennen herum. Die drei Jungs stehen wie Fußballer, die einen Ball abwehren, breitbeinig nach vorn gebeugt, packen eins nach dem anderen an den Beinen, setzen immer 13 in eine Kiste. Nach weniger als 30 Minuten sind 200 Tiere verstaut, die Kisten stehen auf dem Transporter, die Fahrt zu den Außenställen dauert zehn Minuten.
Weniger Stress, weniger Krankheiten, weniger Medikamente
Stall Nummer vier ist ihr neues Zuhause. Heraus aus den Kisten drängen sich die Hähnchen in die Ecken, sie gucken konsterniert. Alles anders hier. Eine Woche brauchen sie etwa, um sich einzugewöhnen, lümmeln im oder um den Stall herum, bis sie sich trauen, das gesamte Gelände zu erkunden. Sie nehmen Sandbäder, die sind gut gegen Milben und Parasiten. Sie picken, scharren, flattern, laufen herum, was Hühner eben gerne machen. So haben sie weniger Stress, sind weniger anfällig für Krankheiten, benötigen weniger Medikamente.
Was einem Biomasthähnchen zum Glück fehlt, ist, dass es nicht von einer Glucke großgezogen wird, dass es nicht mit unterschiedlich alten Artgenossen zusammenlebt und dass es sich nicht vermehren kann. „Wenn man damit grundsätzlich leben kann, ist die Bioaufzucht derzeit die beste, die es für Masthähnchen gibt“, sagt Professor Rahmann. Sie sind glücklicher als konventionelle Hähnchen.
Noch am selben Tag machen Roth und sein Sohn den alten Stall fertig für die nächste Herde Eintagsküken: ausmisten, fegen, mit dem Hochdruckreiniger ausspritzen, den Boden abflammen, um mögliche Erreger abzutöten.
Es liegt Schnee in Witzenhausen, morgens früh um halb acht stehen Markus und Olli Roth dick angezogen am Außenstall Nummer vier, es ist noch dunkel; aus dem Stall hört man ruhiges Bokbokbok. Einer der Hähne kräht. In diesem Alter beginnt so etwas wie der Stimmbruch, sie werden langsam geschlechtsreif.
Die Männer fangen 200 Hähnchen; die mögen es nicht, wenn man sie anfasst, und fangen an, laut zu gackern. Wie beim Umstallen kommen sie in die Transportkisten, diesmal passen nur noch fünf Tiere hinein, die Weibchen wiegen etwa 2700 Gramm, die Männchen drei bis dreieinhalb Kilo. Am Schlachthaus, zehn Minuten Fahrtzeit, wartet Tierarzt Josef Kenter, er macht die Lebendbeschau: Sind die Tiere munter, können sie sich erheben, sind die Gelenke schlank, ihre Augen klar? Sind sie.
Im Nachbarraum schleift jemand Messer. Dort steht ein kreisrundes Metallgestell mit Wanne, darüber zwölf Trichter. Roths Leute, weiße Hosen, Schürzen, Hauben, Plastikhandschuhe, Gummistiefel, beginnen zu schlachten. Einer der Metzger legt die Hähnchen kopfüber in die Trichter, betäubt sie mit einer Gleichstromzange, die er ihnen an die Schläfen hält. Dann ein Schnitt an den Hälsen, die Tiere bluten aus; ihre Augen schließen sich. Die Schürze des Schlachters ist voller roter Spritzer. Ein anderer trennt die Füße ab, legt die Hähnchen 18 bis 20 Sekunden in den Brühkessel, damit sich die Hautporen öffnen. Schließlich lupft er immer acht Tiere mit einer großen Schaumkelle in die Rupfmaschine. Sie klingt wie ein großer Häcksler. Die Luft ist dick, eine Melange aus Wasserdampf, Federn, Blut, Kot.
„Die Hähnchen merken nicht, was ihnen blüht“, ist Markus Roth überzeugt
Hinter einer Glasscheibe mit Durchreiche stehen drei Frauen und ein Mann, sie nehmen die Tiere aus, spülen sie ab, sammeln die Lebern, Mägen, Herzen in Kisten.
Markus Roth ist Baptist, er gehört einer evangelischen Freikirche an. Wie er seine Arbeit mit dem Glauben vereinbart? „Ich kann das vertreten, weil ich so schlachte, dass die Tiere gut betäubt sind und gut ausbluten.“ In seiner kleinen Schlachterei gibt es kein Sterben im Akkord, kein Fließband. „Die Hähnchen merken nicht, was ihnen blüht“, ist Markus Roth überzeugt.
Der größte – und sehr umstrittene – Geflügelschlachthof Europas steht in Wietze in Nieder-sachsen. Dort können, wenn der Betrieb einmal voll ausgelastet läuft, 27 000 Tiere pro Stunde geschlachtet werden. Im Jahr 135 Millionen, alles maschinell. Bei Roth sind es 100 Hähnchen in der Stunde.
Tierarzt Kenter kommt um halb eins wieder zur Fleischbeschau. Er steht mit weißem Kittel im Kühlraum, in dem an Deckenhaken die nackten Hühner hängen. Er dreht sie hin und her, beurteilt Fleischfarbe, Gewicht, Gelenke; alles in Ordnung. Nachmittags zerlegen Roths Mitarbeiter die Tiere, sie stülpen sie auf Zerlegekegel, dann Schnitt für Schnitt: Flügel links, Bein links, Flügel rechts, Bein rechts, schließlich die Bruststücke, die so beliebt sind. Im Radio läuft „Over the Rainbow“ von Israel Kamakawiwo’ole.
Viele kaufen ihre Lebensmittel so günstig wie möglich ein
Fleisch in Deutschland ist billig, das ist nicht gut. Für die Tiere nicht, für den Geschmack nicht, für die Verbraucher nicht. Die sagen zwar oft, sie würden gern Fleisch von Tieren essen, die ein gutes Leben hatten. Trotzdem kaufen viele ihre Lebensmittel so günstig wie möglich ein. Bei Roths zahlt man für ein ganzes Huhn 9,90 Euro das Kilo, bei Rewe 4,79 Euro, bei Aldi Süd, tiefgefroren, 2,16 Euro.
Roths beliefern Biometzgereien, kleine Biosupermärkte und Naturkostläden in Kassel und Göttingen. Etwa zehn Prozent ihres Fleischs verkaufen sie im eigenen Hofladen, der immer freitags geöffnet hat; Susanne Roth führt ihn. Beim Schlachten mag sie nicht dabei sein, sie hält das Töten und den Geruch nicht aus. Aber sie verkauft das Fleisch gerne und steht dann immer von zehn bis 18 Uhr hinterm Tresen, weiß gekleidet mit Haube auf dem Kopf.
Die Leute stehen Schlange, trotz der stolzen Preise. Frau Riedel, sechs Keulen, 27,30 Euro, schwört auf den Geschmack. Herr und Frau Koch- Liebmann, Hähnchenbrüste und ein Gerippe für Suppe, haben eine Hofführung mitgemacht, „Wir wissen, wie die Tiere leben“. Frau Diete und Frau Lott sind 15 Kilometer mit dem Auto gefahren, sie nehmen vier Brüste, Keulen, Filet und ein ganzes Huhn, der Preis ist unwichtig. „Antibiotika bekommen wir beim Arzt, das wollen wir nicht noch in der Nahrung haben.“ Herr Schnell, ein Huhn, drei Hälse, ein Gerippe, 21,50 Euro, sagt: „Ich esse lieber weniger Fleisch.“
Hähnchenmast
Es werden männliche und weibliche Hühner gemästet und die Schlachtung erfolgt vor der Geschlechtsreife der Tiere, im Fachjargon spricht man daher auch von der so genannten Hühnermast. Den Tieren wird lediglich eine Lebenszeit von vier Wochen zugestanden, die sie auf einem Quadratmeter mit bis zu 25 Artgenossen absitzen.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie essen.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir an ihnen experimentieren.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie anziehen.
Tiere sind nicht dazu da, dass sie uns unterhalten.
Tiere sind nicht dazu da, dass wir sie ausbeuten.
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Bibel lesen tut not.
Anmerkung zum widerlichen Cartoon über Hühner
Ich empfehle den Menschen, die sich als Christen bezeichnen, dringend mal die Genesis zu lesen.
Da steht schon geschrieben, was der Mensch essen soll. Die Massentierhaltung, auch die biologische,
tötet den Planeten.
Wälder werden mitsamt allem Leben darin niedergebrannt (sogar Orang Utans), der Urwald als Kühlschrank der Erde vernichtet.
Nach zweimaligem Anbau von Viehfutter für unsere Tiere in Massentierzuchthäusern entsteht karge Wüstenlandschaft.
Sind 40% der Regenwälder vernichtet, dann ist der Prozess unumkehrbar.
Das "gute" Fleisch wird hierzulande verkauft, das weniger gute wird billig in der 3. Welt verkauft, dies zu niedrigsten Preisen.
Der dortigte Fleischhandel geht bankrott. Hungersnot ist die Folge, denn das Fleisch aus der 1. Welt wird dort nun als Folge unbezahlbar gemacht für die Bevölkerung.
Christen nennt ihr euch also. Eine Milliarde Menschen wissen morgens nicht, ob sie bis zum Abend etwas zu essen bekommen. Alle 5 Minuten stirbt ein Kind am Hunger.
Einen Euro in den Klingelbeutel werfen ist eure Genugtuung, wie man auch einem Hund ein Stück Wurst zuwirft.
Ach ja, der letzte Papst hat die Tiere als Sache erklärt. Hoffentlich beißt ihn nicht mal eine "Sache" in seinen Allerwertesten.
Nun wünsche ich allen selbstbeweihräuchernden Christen, die daheim mit der einen Hand ihren Hund anbeten, ihn dabei totstreicheln,
mit der anderen sich derweil das Schnitzel in den Mund stopfen, Erleuchtung. In den Kirchen ist es dafür ganz offensichtlich zu duster.
Ludger
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Hühnercartoon und "wenn ich einmal groß bin"
Ich bin vor einigen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Jetzt, wo ich den Hühnercartoon gelesen habe und den online-Artikel "wenn ich einmal groß bin", weiß ich auch, warum. Ich bin Tierschützer und froh, kein Teil mehr zu sein einer Kirche, die über Tiere so schreiben.
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Hühnercartoon
Meinen Austritt aus der Kirche habe ich einige Male bedauert und mehrfach über eine Rückkehr in die Gemeinde nachgedacht. Nun, nachdem ich Artikel und Cartoon gelesen habe, sehe ich meinen Kirchenaustritt als gute Enscheidung an. Nach meinem Empfinden ist die Heuchelei einiger "Christen" nicht mehr zu überbieten. Einfach nur widerlich. Ich schließe mich den Ausführungen des Vorposters Ludger Wilp voll und ganz an.
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Kirche und Mitgeschöpflichkeit
Das kirchliche Engagement für Mitgeschöpfe, Natur und Umwelt ist dermaßen unterentwickelt, dass der Tunnelblick-Athropozentrismus letztlich auch für das menschliche Leben in die Sackgasse führen wird. Vielleicht schon bald.
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Hühner aus Masentierhaltung vor und nach dem Tod
Abgesehen davon, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, ist die Bilderfolge nicht einmal ein Cartoon, denn ein Cartoon ist eine Grafik, die eine komische oder satirische Geschichte in Bildern, meist mit Pointen, erzählt. Nichts davon trifft hier zu, das Machwerk ist dummdreist und spiegelt die abwertende Einstellung der Kirche zu Tieren als leidensfähige Lebewesen wider.
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@ redaktion
Von welchem Hühnercartoon ist hier die Rede ?
Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um ein Carton, das nur in der Printausgabe von chrismon zu lesen ist.
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Informativer Artikel
Manche Kommentatoren scheinen den Text nicht gelesen zu haben. Dies ist ein sehr gelungener Artikel, wie ich finde.
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Es gibt keine "Hühnchen", schon der Begriff ist pervers
Schade, dass der Artikel der Tiertötungsindustrie derart auf den Leim geht. Jedem wirklichen Christen und jeder wirklichen Christin dürfte beim Anblick derartiger Tötungswerkzeuge allein schon übel werden. Herr Roth & Co. sind jedenfalls keine Christen, und ich schäme mich von ganzem Herzen für die Anmaßung dieser Schlächter, die sich mit Kirche, Bibel und & Co. schmücken wollen.
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