Foto: Michael Ondruch
Luthers Hexenjagd
Soll die Kirche die Hexen rehabilitieren? Allein in Deutschland wurden 25 000 Frauen und Männer nach frag würdigen Gerichts­verfahren zu Tode gebracht – ein Thema fürs Lutherjahr 2017
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
21.02.2012

Der Vorschlag liegt auf dem Tisch. Ein Arbeitskreis Hexenprozesse, in dem viele engagierte Protestanten zusammengetroffen sind, wirbt seit Monaten bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und den evangelischen Landes­kirchen um die Rehabilitierung der Hexen. Der Wunschtermin: das Reformationsjubiläum 2017. Martin Luther, der Reformator, dessen Thesenanschlag vor 500 Jahren dann gedacht werden wird, habe die Hexen­prozesse in Europa massiv befürwortet und darin seien ihm viele Pfarrer gefolgt.  

Luther selbst will in Wittenberg Dämonen gesehen haben

Tatsächlich ging Luther mit vermeintlichen Satansanhängern nicht zimperlich um. Als im Juli 1537 in Erfurt ein angeblicher Zauberer, obwohl er die ihm unterstellten Umtriebe bereut hatte, auf dem Scheiterhaufen brannte, kommentierte das Luther bei Tisch so: „Johannes tat rechtschaffen Buße und brachte mit seinem ­Exempel viele Leute zur Gottesfurcht, und starb mit fröhlichem Herzen.“ Die Exis­tenz des Satans, der Dämonen und ihrer Ge­hilfen, der Hexen, stand für Luther überhaupt nicht in Frage. Hinter der Props­tei von Wittenberg will er persönlich Dämonen gesehen haben. 


Das Thema Hexenprozesse ist und bleibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der kirchlichen und staatlichen Gerichte und ein Thema für weitere Forschung. Da ist Unrecht in großem Stil geschehen, auch wenn es dem damals geltenden Recht entsprach. Viele der Urteile kamen nur aufgrund von „Geständnissen“ unter Folter zustande. 25 000 Frauen und Männer verloren allein in Deutschland ihr Leben. Es waren die Richter und ihre Gehilfen, die die Angeklagten zu Hexen gemacht haben. Nur deshalb gab es sie.   

Der Arbeitskreis Hexenprozesse spricht wahlweise von einer theologischen be­ziehungsweise moralischen oder sozialethischen Rehabilitierung. Ihm geht es nach eigenem Bekunden darum, dass die Hexen ihre Ehre zurückerhalten, dass „die Schuld von den Seelen der Opfer“ genommen werde, um die Rolle Martin Luthers und der Kirche bei der Hexenverfolgung. Und der Arbeitskreis verknüpft es mit einem aktuellen Anliegen: Die Hexenverfolgung soll als eine der Ursachen für Ausgrenzung und Gewaltanwendung bis ­heute deutlich werden. Die Glaubwürdigkeit der Kirche stehe auf dem Prüfstand, sagt der Arbeitskreis. Denn eine Kirche, die sich heute gegen Gewalt in jeder Form wendet, solle sich konsequenterweise auch gegen solche historischen Verirrungen ­stellen. Eine Rehabilitierung ist mithin ­eine „historische Chance, ein symbolisches Zeichen gegen körperliche und geistige ­Gewalt zu setzen“.

Eine Rehabilitierung im juristischen Sinn bringt nichts

Wie werden Kirche und Staat diesem Thema gerecht? Wahrscheinlich nicht durch eine Rehabilitierung im juristischen Sinn, also mit einer Aufhebung der Urteile und einem Schadensausgleich. Rechtlich waren viele Verfahren nach den Maß­stäben ihrer Zeit korrekt. Dass sie – gerade im Blick auf die Folter – die heute anerkannten Menschenrechte grob verletzten, steht außer Frage. In den wenigsten Fällen lässt sich der Rechtsnachfolger der damaligen kirchlichen und staatlichen Tribunale benennen, nicht anders ist es bei den Opfern. Wann Justizmorde verjähren, ist eine weitere Frage. Für eine Rehabilitierung im eigentlichen Sinn fehlen die rechtlichen Voraussetzungen, aber die moralische Verantwortung von Staat und Kirche bleibt.

Und vor allem die der Geschichtswissen­schaft. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Hexenprozesse ist weit gediehen. Auf sie sollte sich die Kirche konzentrieren. Dass Martin Luthers Reden und die Predigten von Pfarrern zur Ausbreitung des Hexenwahns beitrugen, ist gut zu wissen und vielfach beschrieben. Auch dass in evangelischen wie in katholischen Terri­torien Hexen verfolgt wurden, ist aufschlussreich und bedrückend. Auch die Rolle der einfachen Leute liegt zutage, die teilweise um persönlicher Vorteile willen andere Menschen beschuldigten.
Es gibt niemanden in oder außerhalb der Kirche, der diese Prozesse noch rechtfertigen würde. Ein öffentlicher Rechtsakt könnte diese Selbstverständlichkeit nur unterstreichen. Aber weitere Forschung bringt vielleicht noch neue Erkenntnisse zutage.

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Im obigen Zusammenhang möchte auf die kürzlich im Bautz-Verlag lateinisch und deutsch erschienen "Hexenpredigten" des Weihbischofs von Bamberg, Friedrich Förner, von 1626 hinweisen (7 von 35). Aus ihnen gewinnt man einen deutlichen Eindruck von dem, was von den Leuten damals als wahr und tatsächlich geschehen geglaubt wurde.
http://www.bautz.de/neuerscheinungen-2011/9783883095837.html. Titel:

"Magie - Krankheit der Seele"

Interessant dürfte für eine heutige Bewertung der damaligen Hexenverfolgung die automatisch zugeschaltete Werbung auf http://www.schmanck.de/magie.htm im Kontext der Werbung für obiges Buch sein. Auch heute noch ist die Welt und selbst das moderne Internet voller Aberglauben.

Guten Tag,
ich halte die symbolische Rehabilitierung der Opfer der Hexenprozesse in 2012 durch die jeweiligen Stadträte für mehr als angebracht. So können Städte individuell ihre Geschichte aufarbeiten. Bitte nicht vergessen, das oft noch Nachfahren der Opfer heute noch leben. Unsere Bevölkerung weiß viel zu wenig über die Hexenprozesse. Zudem zieht sich der rote Faden der Diffarmierungen, Gewalt , bis in unsere Gegenwart. Daher kann ein deutliches Zeichen einer jeden betroffenen Stadt nicht schaden.
Es geht ja nicht um eine juristische Rehabilitierung, sondern um eine sozialethische, symbolische Rehabilitierung in Verbindung mit nachhaltigen Aktionen in der Region ( Vortragsveranstaltungen, Straßenbennenungen, Erinnerungstafeln, Ausstellungen ).

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Ich beschäftige mich als Schriftstellerin seit über 30 Jahren und in zahlreichen Veröffentlichungen (Homburger Hexenjagd oder Wann ist morgen? VAS Verlag, Frankfurt 2000) mit dem Thema "Hexenverfolgung". Dieser Tage hat - auf meine Anregung hin - das Stadtparlament Bad Homburg die 75 Opfer der Hexenverfolgung in der Landgrafschaft Hessen-Homburg rehabilitiert. Es ist die 14 Stadt in Deutschland, die so etwas in die Wege geleitet hat, und viele weitere sind auf dem Weg dorthin.
Da es weltliche Gerichte waren, die diese Urteile sprachen, scheint es mir sinnvoll, wenn es auch weltliche Institutionen sind, die heute die Rehabilitierung betreiben.
Aber die Kirchen haben entschieden den ideologischen Boden für diese Urteile bereitet, siehe Luthers Hexenpredigten. Darum wäre eine Entschuldigung sehr sinn- und wirkungsvoll. Soweit ich weiß, hat dies bisher nur die Evangelische Kirche von Bayern getan.

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Zitat aus dem Artikel: "Das Thema Hexenprozesse ist und bleibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte der kirchlichen und staatlichen Gerichte" An den Hexenprozessen ist überhaupt nichts dunkel. Das war stinknormale Justiz, also kodifizierte Gewaltanwendung der Herrschaft gegenüber Untertanen, die entweder nicht taten, was sie sollten oder zumindest in diesem Verdacht standen. Nur weil es heutzutage erlaubt ist, mit dem Besen auf den Brocken zu reiten und dort mit den Teufeln eine Party zu feiern, hat sich nichts daran geändert, dass auch die aktuelle Justiz gesetzmäßig und gewaltsam gegen alle vorgeht, die heutige Gebote nicht einhalten. Die Bezeichnung der damaligen kirchlichen und staatlichen Gewaltausübung als dunkel ist nur eine alberne Form, die heutige staatliche Gewaltausübung und deren regelmäßige kirchliche Rechtfertigung als begrüßenswerte Errungenschaft darzustellen. Wer also allen Ernstes Hexen rehabilitieren will, möchte die moderne Gewalt loben. Welch Freude sowohl für die damaligen Hexen wie für die heute die Gefängnisse regelmäßig überfüllenden Übeltäter.

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Im südthüringischen Schmalkalden ist derzeit eine große Sonderausstellung mit dem Titel "Luther und die Hexen, Hexenverfolgung südlich des Thrünger Waldes" zusehen. Diese Ausstellung wird hochgelobt (siehe www.historischeausstellungen.de). In ihr wird ein neue Sichtweise auf Luther gezeigt und der Frage nachgegangen, ob es in protestantischen Gebieten mit Martin Luther eine Massenverfolgung von Hexen gegeben hätte. In der Ausstellungen werden hunderte von Einzelfällen dargestellt. Eine absolut sehenswerte Schau, welche zudem den Bogen zur Morderne schlägt.
Und die Ausstellungsmacher haben viele Städte und Gemeinden in Südthüringen - auch reichsweit eine negative Hochburg der Hexenverfolgung - aufgefort die Opfer aus ihren Orten zu rehabilitieren.

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Die Ehrlichkeit des Artikels über Luthers Hexenwahn hat mich sehr beeindruckt. Auch bei einer verehrten historischen Figur sollte man die Schattenseiten nicht verschweigen.

Das bringt mich  zu der Frage,  ob nicht auch Luthers Einstellung zu den Juden eine Erwähnung wert sein könnte. Dazu verweise ich auf eine 1543 in Jena erschienene Streitschrift des Reformators mit dem Titel „Von den Juden und  ihren Lügen“.  In ihr liest man Erschreckendes. Die Juden seien „1400 Jahre unser Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen“, und er nennt sie „rechte Teufel“, die „zur Hölle verdammt“ seien. Sie hätten auf den Straßen nichts zu suchen, sie sollten auf den Feldern hart arbeiten , man solle ihnen ihr Hab und Gut wegnehmen, ihre „Synagoga oder Schulen“ mit Feuer anstecken, und er fordert weiter „dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre“. Da wundert es nicht, dass in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen der üble Nazi Julius Streicher sich ausdrücklich auf Luther berief. Was  in der sogenannten „Reichkristallnacht“ geschah, wird von Luther  gefordert. Er ist, so könnte man sagen,  der protestantische Vater des Antisemitismus.

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Die Ehrlichkeit des Artikels über Luthers Hexenwahn hat mich sehr beeindruckt. Auch bei einer verehrten historischen Figur sollte man die Schattenseiten nicht verschweigen.

Das bringt mich  zu der Frage,  ob nicht auch Luthers Einstellung zu den Juden eine Erwähnung wert sein könnte. Dazu verweise ich auf eine 1543 in Jena erschienene Streitschrift des Reformators mit dem Titel „Von den Juden und  ihren Lügen“.  In ihr liest man Erschreckendes. Die Juden seien „1400 Jahre unser Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen“, und er nennt sie „rechte Teufel“, die „zur Hölle verdammt“ seien. Sie hätten auf den Straßen nichts zu suchen, sie sollten auf den Feldern hart arbeiten , man solle ihnen ihr Hab und Gut wegnehmen, ihre „Synagoga oder Schulen“ mit Feuer anstecken, und er fordert weiter „dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre“. Da wundert es nicht, dass in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen der üble Nazi Julius Streicher sich ausdrücklich auf Luther berief. Was  in der sogenannten „Reichkristallnacht“ geschah, wird von Luther  gefordert. Er ist, so könnte man sagen,  der protestantische Vater des Antisemitismus.

Prof. Dr. Heribert Rück, Biebertal