Foto: Dorothee Hörstgen
Suizid: keine Hilfe von Ärzten. Was nun?
Viele Schwerstkranke haben Angst vor einem qualvollen Tod. Sie wünschen sich, dass Ärzte und Ärztinnen ihnen dabei helfen, schon vorher durch eigene Hand aus dem Leben zu scheiden. Das hat der Ärztetag nun untersagt. Bleibt da nur noch die Reise in die Schweiz? Nein, es gäbe Alternativen
Tim Wegner
22.06.2011

Jetzt ist das letzte Schlupfloch für Schwerstkranke, die sich das Leben nehmen wollen, dicht: Ärzte und Ärztinnen dürfen definitiv nicht bei einer Selbsttötung assistieren, etwa indem sie tödliche Medikamente besorgen. So steht es in der neuen Berufsordnung, die der Ärztetag gerade beschlossen hat.

Bleiben dann nur noch die Varianten Schweiz, Strick, Schusswaffe, Vergiftung mit irgendwelchen gehorteten Medikamenten? Oder auf Essen und Trinken verzichten, damit man nach rund zwei Wochen endlich an Austrocknung stirbt?

Wer lässt wen im Stich? 

Jemandem beim Suizid zu helfen, ist den Deutschen eigentlich nicht verboten, solange die „Tatherrschaft“ beim Suizidenten selbst liegt. Doch die Ärzte und Ärztinnen geben sich Regeln, die strenger sind als das Strafgesetzbuch. Rein formal ist das in Ordnung. Nur, wie finden wir das moralisch? Werden da nicht schwerstleidende Patienten im Stich gelassen?

Stopp, halt! Vorher müssen wir noch was anderes klären: Gibt es tatsächlich Kranke, die derart gepeinigt sind, dass sie sich einen Suizid wünschen? Ja, sagen Palliativmediziner, es gibt körperliche Pein, die einem jeden Lebenswillen raubt. Beispielsweise permanentes Erbrechen oder ein Krebs, der einen aufzehrt wie etwa der Mundbodenkrebs. Aber, sagen die Fachleute meist im selben Atemzug, es gibt keine Kranken, denen man nicht anders helfen könnte als durch Assistenz beim Suizid. Wörtlich zum Beispiel der Arzt Thomas Sitte von der Deutschen Palliativstiftung: „Wir können jedem so helfen, dass er nicht mehr leiden muss.“

Für den seltenen Fall, dass alle anderen symptomlindernden Methoden nicht schnell genug helfen oder zu viele Nebenwirkungen haben, kennt Sitte noch eine hochwirksame Strategie: die palliative Sedierung. Das ist eine durch Medikamente herbeigeführte Bewusstseinsdämpfung, wenn nötig sogar ein Dämmerschlaf. Das Leben wird hier nicht verkürzt oder gar beendet, vielmehr lässt man der Krankheit ihren Lauf, dämpft aber die Wahrnehmung der Symptome.

Das Problem: Es gibt noch immer nicht flächendeckend solche Palliativangebote. Liebe Leute in Bundestag, Regierung, Krankenkassen und sonstigen Institutionen, die vor sich hin zaudern: Macht hinne! Sonst wird immer noch vehementer die aktive Sterbehilfe gefordert. Aus Angst und zu Recht.

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Sehr geehrte Frau Holch, Ihren Artikel empfinde ich als sehr oberflächlich und, viel schlimmer, er weckt in mir unangenehme Empfindungen. Schwerkranke und sich im Sterbeprozess befindende Menschen, die, das sagen Sie ja selbst, nicht das Glück haben palliativmedizinisch versorgt zu werden, sterben nach wie vor einsam und qualvoll. Die Sterbewilligen unter ihnen genauso, wie jene, die bis zur letzten Sekunde leben wollen. Das ist eine Konsequenz, die Sie bei Ihrer notwendigen Forderung nach mehr Palliativangeboten am Ende Ihres kleinen Artikels verschweigen und an dem die Oberflächlichkeit Ihrer Zeilen sichtbar wird. Die unangenehmen Empfindungen entstehen schon einen Absatz vorher. Denn dort tun Sie ja gerade so, als wären Schmerzen überhaupt kein Problem. Es gibt ja die palliative Sedierung, die Bewusstseinsdämpfung, den Dämmerschlaf. Aber auch hier verschweigen Sie wieder eine Seite der Medaille, denn Bewusstseinsdämpfung bedeutet im gleichen Moment verringerte Lebensqualität. Der Patient hat zwar keine Schmerzen mehr, kann aber auch nicht wirklich am Leben teilnehmen. Davon bekommt er ja gar nichts mehr mit, denn mit dem Dämpfen der Wahrnehmung von Symptomen wird auch die allgemeine Wahrnehmung gedämpft. Der Patient ist während der Sedierung schlicht und ergreifend ein Zombie. Mit Leben hat so ein Zustand nicht viel zu tun. Es ist falsch, wenn Sie die immer vehementer werdenden Forderungen nach Sterbehilfe allein mit Angst der Sterbewilligen begründen. Angst, auch die von Ihnen geschilderte, spielt sicher eine Rolle. Aber es gibt auch ganz pragmatische Gründe für den Wunsch zu sterben. Wenn man nur die Wahl zwischen Qual und Dämmerschlaf hat, dann ist der selbstbestimmte Freitod eine Option. Kranke, die sich dafür entscheiden bis zum letzten möglichen Augenblick am Leben zu bleiben, sollten jede erdenkliche Hilfe bekommen, derer die Medizin und die Gesellschaft habhaft werden können. Ich unterstütze audrücklich Ihre Forderung nach mehr Palliativangeboten. Aber Kranke die aus gutem Grund sterben wollen, die für sich beschließen, dass es Zeit für sie ist zu gehen, sollten das nicht nur tun dürfen, sondern auch dabei unterstützt werden. Und zwar von Ärzten. Von wem denn auch sonst? Es geht bei der Sterbehilfe nicht um das Eine oder das Andere. Es geht um Beides. Nebeneinanderher. Es geht um die Möglichkeit zur Wahl und das Recht auf den freien Willen. Es geht um Selbstbestimmung. Und um Freiheit. Ich bitte Sie, diese Aspekte in Zukunft mehr zu brücksichtigen, wenn Sie über das Thema schreiben. Mit freundlichen Grüßen Olaf Sander
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Olaf Sander (nicht überprüft) schrieb am 29. Juni 2011 um 13:00: "Es geht um die Möglichkeit zur Wahl und das Recht auf den freien Willen. Es geht um Selbstbestimmung. Und um Freiheit." ------------------------------- "Recht auf", "Freiheit" und "Selbstbestimmung" sind die prächtigen Edelsteine des Wertehimmels, der unangefochten über den führenden, modernen Gesellschaften thront. Mit Berufung auf diese Titel werden die Verhältnisse am Laufen gehalten, die einen Normalmenschen zwingen, sich von der Wiege bis zur Bahre in den als selbstverständlich geltenden Zwängen einzurichten. Zugriff auf Dinge hat er nur, wenn er das Geld hat, die Preise zu zahlen, die die Geschäftswelt kalkuliert hat. Geld hat er nur soviel, wie der Lohn oder das Gehalt hergibt, das die Firma zu zahlen bereit ist. Ob einer überhaupt einen Job hat, bestimmt nicht er, sondern andere. ------------------------------- Was erlaubt und verboten ist, darf der freie Bürger sein ganzes Leben lang den Gesetzbüchern entnehmen. Und dann soll er am Ende seines Lebens plötzlich sagen dürfen, dass ihm Ärzte helfen sollen, weil er sterben will? Wieso denn plötzlich das?

Hallo Iwan, da spannen Sie aber einen großen Bogen, den ich recht gut nachvollziehen kann, der aber vom eigentlichen Thema, der ärztlich assistierten Suizidhilfe, wegführt. Dennoch will ich gerne auf Ihre Argmentation eingehen, weil Sie gewiss in Teilen nicht Unrecht haben und weil Sie etwas Grundsätzliches ansprechen, das wichtigig für das Verstehen in dieser Debatte ist. Das Leben der meisten Menschen ist stark von den existierenden politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Reglements beeinflusst. Das ist einerseits gut, denn ohne Regeln geht es nicht und andererseits schlecht, weil diese Regeln, wie von Ihnen beschrieben, sehr oft viele Menschen einschränkt. Es geht nicht darum Regeln einfach nur abzuschaffen, sondern darum Regeln zu hinterfragen und sie auf den Prüfstand zu stellen. Selbstverständlich wird es immer Menschen und Gruppen geben, die an den bestehenden Reglements, aus welchem Grund auch immer, profitieren und deshalb kein Interesse an einer Änderung haben. Der Feind des Neuen ist immer der, der am Alten profitiert. Aktuell fällt mir da der Ausstieg vom Ausstieg aus dem Ausstieg bei der Atomkraft ein, der hier als ein Paradebeispiel für das Hinterfragen und Festhalten von aufgestellten Regeln gelten kann. Aber eben auch dafür, dass solche Regeln nicht gottgegeben, sondern von Menschen gemacht sind und deshalb auch von Menschen verändert werden können. Man muss ja nicht immer erst auf Schlüsselerlebnisse warten, z. B. bis die ach so sicheren Atommeiler, wie in Fukushima, nachhaltig unsere Welt verstrahlen. Man kann den als "selbstverständlich geltenden Zwängen" entkommen. Denken Sie nur an den Mauerfall. Wären die Ossis Ihrer Logik gefolgt, wäre Egon Krenz heute Staatsratsvorsitzender und die DDR vielleicht ein zweites Nordkorea - mit Erich Honecker im Heldengrab. Gut, dass die Ossis gegen die damals bestehenden Regeln rebelliert haben. Die Probleme mit der Arbeit und dem Geld existieren doch nur wegen der bestehenden Reglements. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bspw., würde die bestehenden Regeln, und damit die Verhältnisse, von Grund auf verändern und Freiheit zur Selbstverwirklichung schaffen. Ihre Ansicht, Iwan, versucht die Menschen zum Kadavergehorsam zu verpflichten. An entscheidender Stelle hören Sie meiner Meinung nach auf zu Ende zu denken. Nur weil etwas schon immer so war, heißt das ja noch lange nicht, dass es gut oder zeitgemäß ist. Oder, wie es Kurt Tucholsky so treffend sagte: "Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen." Dieser Aphorismus lässt sich nämlich auch leicht auf Regeln und Gesetze ummünzen. Unserer Freiheit besteht (noch) darin, diese aufgestellte Regeln zu hinterfragen und zu schauen, ob sie mit der Realität und den Anforderungen im Einklang stehen. Diese Freiheit ist auch eine Pflicht. Denn sie verlangt von den Hinterfragenden, Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel für sich selbst. Womit wir bei der Selbstbestimmung wären. Es ist grundsätzlich unerheblich, ob jemand die Entscheidung trifft leben oder (aus gutem Grund) sterben zu wollen, denn diese Entscheidung liegt allein in seiner Verantwortung. Das Gleiche gilt für Ärzte. Ich finde es legitim und verständlich, wenn Mediziner für sich selbst die Sterbehilfe ausschließen. Aber genauso sollten Ärzte, die in der assistierten Suizidhilfe ihre Aufgabe sehen, nach einem klaren und abgegrenzten Reglement tätig werden können. Denn so viel ist klar; es wird immer Menschen geben die sterben wollen und Ärzte, die sich ihrer annehmen. Und das tun diese Leute selbstbestimmt. Egal ob die Regeln und Gesetze dafür oder dagegen sind. Damit wird deutlich, dass die Reglements nichts mit der Realität zu tun haben, sie aber Menschen mit realen Wünschen, Schmerzen und Tätigkeiten, wie z. B. die ärztlich assistierte Suizidhilfe, nicht nur allein lässt, sondern sogar noch ächtet, diskreditiert und kriminialisiert. Wenn Sie das für sich akzeptieren können und freiwillig ihre Selbstbestimmung an den Nagel hängen, dann ist das allein Ihre Sache. Ich persönlich werde niemals Regeln und Gesetze akzeptieren, die sich über meine geistige und körperliche Selbstbestimmung legen. Nur ich bestimme über mich. Mit freundlichen Grüßen Olaf Sander P.S. Um Absätze zu machen, einfach zwei Mal "Enter" drücken. Das hilft der Leserlichkeit ungemein. ;o)
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Olaf Sander (nicht überprüft) schrieb am 30. Juni 2011 um 13:29: "Nur ich bestimme über mich." -------------------------- Wenn das so einfach durch trotzigen Willensentschluss zu bewerkstelligen ist, dann gibt es keinen Grund zur Aufregung. Dann soll der Sterbenswillige eben auch einfach über sich bestimmen. Die traurige Wahrheit ist aber, dass weder Sie über sich bestimmen, noch ich über mich und der todkranke Kerl schon gleich gar nicht über sich. Wir alle sind freie Bürger, was die an Schönfärberei kaum mehr zu überbietende Ausdrucksweise dafür ist, dass wir uns alle an die Gesetze zu halten haben. Der Staat bestimmt über uns, nicht wir. -------------------------- Der Arzt, der einem sterbenswilligen Kranken mit seinem Fachwissen hilfreich sein will, hat ganz schnell die Vorladung der Staatsanwaltschaft auf dem Tisch oder massiven standesrechtlichen Ärger am Hals. Der Arzt bestimmt also auch nicht über sich. -------------------------- Zitat: "Wenn Sie das für sich akzeptieren können und freiwillig ihre Selbstbestimmung an den Nagel hängen, dann ist das allein Ihre Sache." -------------------------- Einen Mantel. den ich nicht besitze, kann ich nicht an der Garderobe abgeben. Noch schlimmer um mich bestellt wäre es allerdings, wenn ich keinen Mantel besäße, mich aber dahingehend täuschen würde, dass ich einen an hätte. Dann könnte es mir nämlich glatt passieren, dass ich auf die leere Garderobe verweise und mit stolzgeschwellter Brust verkünde, ich hätte im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen meinen Mantel nicht an der Garderobe abgegeben. Da schiene es mir doch geratener, mir einzugestehen, dass ich keinen Mantel besitze. Das würde nämlich den Kopf frei machen für die Frage, woran das liegt. Und erst die richtige Antwort auf diese Frage enthält den Hinweis darauf, wie ich überhaupt zu einem Mantel gelangen könnte. ------------------------- An einer Fortsetzung dieser Diskussion bin ich interessiert. Falls auch Sie, lieber Herr Sander, Lust darauf haben, muss ich Sie allerdings um Geduld bitten, da ich den ganzen Monat Juli höchst angenehm an der Teilnahme in diesem Forum verhindert bin. Gegebenenfalls also eine Fortsetzung im August. ------------------------- Zitat: "Um Absätze zu machen, einfach zwei Mal "Enter" drücken. Das hilft der Leserlichkeit ungemein." ------------------------- Leider nicht. Die für die Leserlichkeit notwendige Leerzeile zwischen den Absätzen bekommt man auch dadurch nicht her, wie ich aus früheren Versuchen weiß. Meine diesbezügliche Anfrage und Bitte an die Redaktion blieb ohne Reaktion. Ich bestimme also nicht einmal über die Leerzeilen in meinen eigenen Beiträgen. Deshalb meine eigenartigen Trennzeilen mit den Strichen.