Christoph Johannes MarkschiesThomas Meyer/OSTKREUZ
31.07.2012
12. Sonntag nach Trinitatis
„Petrus aber blickte den Bettler an und sprach: Sieh uns an. Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu, steh auf und geh umher.“
Apostelgeschichte 3,1-10

Natürlich kenne ich diese Situation: Da liegt ein Mensch vor der Kirche, aus der ich gerade komme. Seine Beine sind ausgestreckt. Neben ihm stehen Krücken, vor ihm liegt ein kleiner Hut. Ein wenig Geld liegt darin. Der Liegende versucht, meinen Blick zu fangen, ich versuche, ihn nicht anzusehen.

Und schon beginnen die Unterschiede zur biblischen Erzählung. Wohl liegt in beiden Fällen einer vor der Tür, damals vor einem der prächtigen Außenportale des Jerusalemer Tempels so wie heute vor den mächtigen Kupfertüren des Berliner Doms. Ich schaue weg, wenn er mich ansieht. Pe­t­rus und Johannes schauen hin. Wir geben alle miteinander kein Geld. Aber die Freunde Jesu reden darüber: „Silber und Gold habe ich nicht.“ Ich schließe hastig mein Portemonnaie, aus dem ich eben noch Kollekte genommen habe.

Warum schaue ich nicht hin? Warum gebe ich nichts? Weil ich einmal schlimm enttäuscht wurde. Da nahm ich einen, der so lag, an meinem süddeutschen Studienort mit nach Hause, hörte mir geduldig seine Lebensgeschichte an, gab ihm zu essen und etwas von meinem bescheidenen studentischen Monatssalär obendrein.

Geld für ein bisschen Alkohol?

Einige Tage später lag der Mann wieder auf dem Marktplatz, hatte längst vergessen, wer ich war und tischte mir eine neue Geschichte auf – ganz anders als die, die er mir zuvor so glaubhaft erzählt hatte und mit der er mein Herz erweicht hatte. Ich war, wie gesagt, schlimm enttäuscht: Ein notorischer Lügner, der sich nur Geld für ein bisschen Alkohol beschaffen wollte. Seit diesem Erlebnis gebe ich höchstens einen Essensgutschein vom nächsten Pfarramt. Und misstraue den armen Menschen, die da liegen. Obwohl ich weiß, dass sie häufig gar keine andere Wahl haben, als so zu handeln, wie sie nun eben handeln.

Petrus und Johannes geben dem Mann, der vor der „Schönen Pforte“ des Tempels liegt, kein Geld – weil sie Besseres haben als Geld. Ich schaue weg und gebe nichts, nicht einmal Geld. Das ist schon ein fast beschämender Unterschied. Denn mein Erlebnis mit dem Lügner auf dem Tübinger Marktplatz liegt schon fünfundzwanzig Jahre zurück. Es taugt eigentlich nicht mehr als Begründung dafür, dass ich immer noch wegschaue und schweige.
Zwei Christenmenschen aus der Jerusalemer Urgemeinde schauen hin. Und kümmern sich um einen, der vor dem Tempel liegen muss und als Behinderter nicht einmal hineindarf. Sie reden mit ihm und ­sagen ehrlich, was sie tun können und was nicht. „Silber und Gold habe ich nicht.“

Hinsehen!

Vielleicht sollte ich so anfangen. Anfangen, wenigstens ein Wort sagen, wenn ich vorübergehe und nichts gebe. Ein freundliches Wort. Ein Wort, das dem Menschen, der da liegt, Gelegenheit gibt, mein vor fünfundzwanzig Jahren geborenes Vorur-teil zu widerlegen. Und mich so instand setzt, den Lahmen vor der Kirchentür mehr als Individuum zu behandeln, mich wenigstens gelegentlich nach seinem Schicksal zu erkundigen, vielleicht sogar mein Portemonnaie offen zu lassen, um gelegentlich etwas zu geben.
Der geheilte Lahme von der „Schönen Pforte“ bleibt nach seiner Heilung nicht liegen, sondern betritt den Tempel, stößt zur Jerusalemer Urgemeinde und geht ein Stück seines Weges mit Petrus und Johannes.

Mir geht es zwar wie dem Menschen, den Robert Gernhardt beschreibt: „Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehen! / Doch er blieb auf Krücken stehen. / Da ward auch dem Dümmsten klar, / daß ich nicht der Heiland war.“

Aber damit, wie ich mit denen draußen vor der Tür umgehe, entscheidet sich, ob ich Menschen in die Kirche, in eine Gemeinde einlade oder sie bleibend draußen halte. Also gilt für mich, was die beiden Apostel dem Mann vor dem Tempel sagen: „Sieh uns an!“

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Ein edler Mensch, hilfreich und gut. So jemand haben die Götter gern, spricht die Ironie zur Selbstgefälligkeit .