Viele bunte Servietten liegen bei Frau Breit-Kessler auf dem Tisch.
privat
Der Bär pflückt Blumen
Papier- oder Stoffservietten filigran falten – das erinnert unsere Autorin an den verhassten Geometrieunterricht. Sie probiert es trotzdem.
05.10.2022

Gäste kommen. Welche Servietten nehmen wir? Die Auswahl bei denen aus Papier, Vlies und Zellstoff ist groß – bei vielen Gelegenheiten bekommen wir welche geschenkt. „Oh happy day“ steht zum Beispiel drauf oder „Lieblingsgast“ und „Kaffeeklatsch“. Botticelli-Engel schielen mit verschränkten Armen gen Himmel und Gustav Klimts Liebespaar gibt sich den berühmten Kuss. Robben tummeln sich am Meer, ein Bär überreicht bildlich eine eben gepflückte Rose oder schaut auf einer anderen Serviette ernst aus seinem herbstlichen Strickpullover.

Und dann gibt es solche, die sozusagen Unikate sind. Ein Golden Retriever ist drauf, der sieht aus wie mein Kumpel Henry, der hinreißende TV-Hundestar vom Bayerischen Fernsehen. Unmöglich, diese Serviette jemals zu verwenden. Sie wird natürlich aufgehoben – genauso wie die kostbaren schweren in Gold und Schwarz, die mit festlichen Bordüren verziert sind. Die haben uns unsere Freunde Martin und Juri überreicht. Zu schön zum Verwenden. Abstrakte Darstellungen in Hell und Dunkel sind eher zum Verbrauch geeignet. Sie passen sehr gut zum Geschirr und der Tischdecke.

Serviette – das ist die kleine Dienerin. Die, die einem dezent hilft, sich nicht vollzukleckern oder den Mund unauffällig abzuwischen. In groß kann man sie einsetzen, um sie wie ein Kellner einsatzbereit über den Arm zu legen. Auf diese Weise macht man dann keine Tapper auf Teller und Gläser oder gießt geschickt aus Weinflaschen ein. Aber das würde am heimischen Esstisch etwas merkwürdig wirken. Ich entscheide mich für unifarbene Stoffservietten. Diese Servietten sind à la longue ökologischer, weil sie nicht nach einmaligem Gebrauch weggeworfen werden, sondern gewaschen und gebügelt wieder auf dem Tisch erscheinen können.

Jetzt käme die eigentliche Herausforderung: Falten! Servietten brechen nennt man das eigentlich und diese Formulierung kommt meinen Gefühlen sehr nahe. Denn ich kann das nicht. Ich verstehe auch keine Beschreibungen und Zeichnungen. Sie erinnern mich fatal an meinen Geometrieunterricht. In diesem Fach haben sich selbst die gütigsten Lehrer an mir die Zähne ausgebissen. Alle freundlichen und langwierigen Erklärungen habe ich hoch interessiert, aber vollkommen verständnislos verfolgt.

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Und jetzt das: Gestrichelte und durchgehende Linien, Pfeile … Ich lese mit Staunen: „Die obere Hälfte der Serviette nach unten falten. Die rechte untere Ecke zur linken unteren Ecke falten und dabei die rechte obere Ecke zur Mitte der unteren Kante führen. Die linke Ecke des Dreiecks nach rechts falten. Die linke obere Ecke zur Mitte der unteren Kante falten. Die linke Hälfte des Dreiecks nach rechts falten. Jetzt kann der dreifache Tafelspitz aufgestellt werden.“ Bitte was? Dreifacher Tafelspitz. Kann ich ohne Probleme kochen, aber nicht falten.

Es gibt Abhilfe, die mir jedwede Blamage erspart. Niemand will die Konstruktionen sehen, die ich zusammenknülle, wenn ich Servietten falte. In einer Schublade bewahre ich Serviettenringe auf. Ganz alte aus Silber, von den Großeltern meines Mannes zum Beispiel. Oder Entwürfe von einem italienischen Designer – und lustige mit einem Entchen drauf. Die sollten nur nicht mit hungrigen Bären oder Robben kombiniert werden …. Ich nehme also schöne Ringe statt zu „brechen“, was mir von der Wortwahl her sowieso viel besser gefällt. Waschen und faltenlos Bügeln vermag ich auch – und schon liegt La Serviette elegant auf dem Teller. Geht doch.

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Kolumne

Susanne Breit-Keßler

Essen und Trinken hält Leib und ­Seele zusammen. Und darüber Neues zu lesen, macht den Geist fit. Viele Folgen lang hat Susanne Breit-Keßler Ihnen Woche für Woche ihre Gedanken dazu aufgeschrieben und guten Appetit gewünscht. Im Sommer 2024 endete die Kolumne. Die Texte sind weiter im Archiv abrufbar.