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Bereits in der ersten Klasse, während meiner Schulzeit im Iran, musste ich lernen, dass es etwas Schlechtes ist, aus Afghanistan zu stammen. Das Wort Afghani wurde verwendet, um jemanden schlimm zu beleidigen. Ich war da keine Ausnahme und beschimpfte meine afghanische Mitschülerin einmal mit diesem Wort, als ich wütend war. Am nächsten Tag wurde ich von ihrer Mutter konfrontiert, die mich schließlich fragte, woher ich denn komme. Für ein siebenjähriges Mädchen war das kaum zu ertragen.
Einmal während des Schulunterrichts kam eine Gruppe von Lehrern in den Klassenraum und sie sagten: „Alle Afghanen Hand heben!“. Ich hob meine Hand. Die entstandene Stimmung, nachdem sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatten, werde ich nie vergessen und gibt mir noch heute Gänsehaut. Alle iranischen Mädchen flüsterten plötzlich miteinander und schauten uns verächtlich an.
Meine Banknachbarin sagte: „Du bist wirklich Afghanin? Du siehst gar nicht so aus.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen sollte. Damals wusste ich noch nichts über verschiedene Ethnien in Afghanistan. Nach iranischer Auffassung entsprach das typische Aussehen eines Afghanen dem der Hazara. Wegen ihres andersartigen Erscheinungsbildes konnte sie schnell erkannt werden und wurden daher am stärksten diskriminiert.
Ich hatte nichts zu bieten
Mit der Zeit wurde ich immer einsamer. Die Pausen mochte ich besonders wenig, weil niemand mit mir reden oder spielen wollte. In meiner Klasse gab es nur ein weiteres afghanisches Kind. Sie kam aus einer reichen Familie und trug immer schöne Kleidung, was ihr half, im Iran Respekt und Anerkennung zu bekommen. Mein Vater war fast nie bei uns und konnte uns kaum finanziell unterstützen. Ich hatte also nichts dergleichen zu bieten, genau wie die meisten anderen Geflüchteten.
Als wir später in Kabul lebten, trafen wir uns manchmal mit Freunden und Familien, die ebenfalls zeitweilig im Iran gelebt hatten. Wir erzählten uns Geschichten aus dieser Zeit, von denen eine schlimmer als die andere war. Von den vielen Erzählungen ist mir vor allem die meines Onkels in Erinnerung geblieben. Er zuckte nur zusammen, wenn jemand den Iran erwähnte und war nie gewillt, uns die Geschichte seiner Abschiebung zu erzählen. Doch eines Nachts, nachdem wir immer wieder darauf gedrängt hatten und er allen anderen zugehört hatte, fing er schließlich an zu erzählen:
Gewaltsam entführt und abgeschoben
„Ich ging eine kleine Straße entlang, als ein Polizist mich anhielt und nach meinem Ausweis fragte. Ich hatte keinen. Daraufhin fesselten sie gewaltsam meine Hände und steckten mich in ihren Wagen. Sie beschimpften mich ununterbrochen und brachten mich in ein Gefängnis, in dem schon viele weitere Afghanen waren. Schon am nächsten Tag mussten wir in einen Bus, mit dem sie uns in eine Abschiebehaftanstalt in Sang-e Sefid brachten. Dort angekommen, rasierten sie uns die Haare ab und zwangen uns wiederholt zu sagen, dass wir nie wieder zurück nach Iran kommen würden. In meinem Zimmer gab es weder einen Teppich noch eine Decke. Es war fürchterlich kalt. Einmal täglich schmissen sie ein Stückchen Brot vor mich hin und befüllten die metallene Schüssel mit dreckigem Wasser.“
Als Flüchtlink gebrandmarkt für immer
Obwohl mein Onkel immer sehr hart arbeiten musste, zuerst in einer Schneiderei und später auf dem Bau, nahm er sich manchmal die Zeit, Gedichte zu schreiben. Einmal gewann er sogar einen Literaturpreis, den er später aber wegschmiss. Seine Erfahrungen teilen heute viele afghanische Männer im Iran, die jeden Tag in Angst und Schrecken leben. Aus Hungersnot und um ihr Leben zu retten, fliehen viele von Afghanen noch immer in den Iran. Über den gewaltsamen und rassistischen Umgang mit afghanischen Geflüchteten wurde in letzter Zeit öfter in den Nachrichten berichtet. Der Hass zwischen den beiden Ländern wird immer weiter geschürt.
Diskriminierung und Rassismus sind tief im politischen und gesellschaftlichen System verankert. Egal, ob im Iran oder in Deutschland, die Diskriminierung von Geflüchteten hat verheerende und irreparable Auswirkungen auf die Betroffenen. Das Resultat ist eine Generation unterdrückter, entmutigter Menschen, die zum Teil riesige Mengen angestauter Wut in sich tragen.
Meine Erfahrungen im Iran haben mich tief geprägt. Auch heute noch bekomme ich ein furchtbares Gefühl, wenn mich jemand fragt, woher ich komme.Was mich am Allermeisten trübt, ist die Tatsache, dass es immer noch Kinder in Schulen gibt, die ihre Hand heben müssen, weil sie Afghanen sind.