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Vor wenigen Wochen habe zumindest ich seinen 50. Todestag gefeiert. In der „Süddeutschen Zeitung“ durfte ich in einem Gedenkartikel an ihn erinnern. Der Essayist und Kritiker Ludwig Marcuse ist heute fast vergessen. Aber er war ein Einzelgänger, der schon zu Lebzeiten von der Aufmerksamkeit der vielen nicht sonderlich etwas hielt. Da er Abstand hielt, sah er klarer als die meisten anderen. Ein Satz, der mich seit längerem begleitet, belegt dies. In ihm beschreibt er, warum gerade die Mitglieder seines eigenen Milieus, der Intellektuellen, so häufig irren, im Unterschied zu den Nicht-Intellektuellen:
„Wer nicht gezwungen ist, über alles eine Meinung zu sagen, hat sie in der Regel nicht. Erst im Bezirk der höheren Bildung und der feineren Gesellschaft tauchen die unverantwortlichen Urteile in Massen auf. Nichtintellektuelle werden weniger als Intellektuelle provoziert, sich über die Quantentheorie und Russlands Beziehungen zu China ein Urteil zu bilden. Wer nicht zur Beantwortung von Rundschreiben <von Zeitungen oder Radiosendern> aufgefordert wird, kommt nicht in Versuchung: sich munter durchs Leben durchzuprophezeien, mit immer neuen falschen Voraussagen.“
Leider muss ich etwas anfügen: In Zeiten unsozialer Netzwerke sind längst viele Nicht-Intellektuelle zu Meinungsmachern geworden. Das führt zu einer Egalisierung mit zum Teil schädlichen Folgen. Umso wichtiger ist es heute für intelligente (das ist etwas anderes als „intellektuelle“) Menschen, sich in Meinungsdiät zu üben.
P.S.: Mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, habe ich vor kurzem ein Interview gegeben, in dem wir über eine gemeinsame, prägende Lebenserfahrung gesprochen haben: Wir haben als Kinder und Jugendliche gestottert. Wer es lesen möchte, klicke hier.