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Ich weigere mich, meiner Krankheit irgendeinen Sinn zuzusprechen, sie ist sinnlos, zerstörend und bitter. Die unwissenschaftliche Pseudophilosophie, dass der Körper uns durch Krankheiten etwas sagen will, lehne ich ab. Diese Theorie macht Menschen nur auf perfide Weise verantwortlich für ihre Krankheit und verhilft den Gesunden zur Überzeugung, alles richtig zu machen.
Trotzdem kann Krankheit natürlich positive Nebeneffekte haben. So kann es hilfreich sein, wenn ein umtriebiger Mensch mal mit Fieber ein paar Tage Ruhe bekommt. Oder wenn ein schöner Mensch durch einen Ausschlag ins Nachdenken kommt, ob perfektes Aussehen tatsächlich so wichtig ist.
Ich habe durch meine Erkrankung sicher mehr gelernt als ich zuvor geahnt hatte. Eine Sache, die ich neu weiß, klingt vermutlich sehr banal: Ich habe durch meine Krankheit gelernt, wie wunderbar Essen sein kann. Es ist ein absoluter Hochgenuss, richtig Hunger zu haben und ein leckeres Essen kündigt sich schon durch einen Geruch aus der Küche an. Großartig.
Mein Leben lang hatte gutes Essen grundsätzlich zwei Seiten. Ich habe schon immer gerne gegessen, aber der kleine erhobene Zeigefinger war jedes Mal dabei und raunte mir zu: „Wenn der Kuchen jetzt einfach liegen bleibt, dann wäre er nicht in deinem Bauch und du würdest dünner sein.“ Es gibt eine Unmenge Spielverderber, die den Appetit gründlich verderben können. So wird auch nicht selten bei einem guten Essen mit Freund*innen mal eben so nebenbei von kleinen Fettpölsterchen und unnötigen Kalorien geredet.
Ich möchte auch ein völlig unwissenschaftliches, persönliches Wort zum Bodymassindex (BMI), der international anerkannten Bewertung des Körpergewichts im Verhältnis von Körpergröße und Gewicht, beifügen. In meinem erwachsenen Leben hatte ich nur einmal den idealen BMI, nach vielen Wochen Krankenhaus und ständiger Übelkeit. Nie zuvor habe ich mich in meinem Körper so unwohl gefühlt, nie wieder will ich dieses Gewicht haben. Jetzt habe ich entsprechend der gültigen Rechenformel wieder etwas Übergewicht und das ist gut so.
Im Nachhinein ärgere mich eher über die vielen Gelegenheiten, in denen ich mir Genuss kleingeredet und abgewertet habe. Das Wort Diät und Gewichtsprobleme würde ich am liebsten ganz aus meinem Wortschatz streichen – außer es gibt gute medizinische Gründe dafür.
…und wenn der Osterbraten nicht nachhaltig ist
Denn ganz so einfach ist es ja leider doch nicht, völlig ohne jede Verzagtheit zu essen und zu genießen. Es gibt einfach ein zu viel, zu fett, zu süß oder zu salzig. Es gibt Dinge, die ein lädierter Darm nicht mag und eine kranke Niere nicht verträgt. Und der Osterbraten ist nicht unbedingt nachhaltig.
Aus guten Gründen esse ich jetzt auch ohne den Gedanken an Übergewicht manche Dinge nicht oder weniger, etwa Ananas oder Fleisch. Aber das, was ich esse, will ich nie mehr mit schlechtem Gewissen essen, sondern ohne Bedenken, ohne auch nur den leisesten Hinweis auf den BMI, mit Genuss.
Und so freue ich mich an Ostern von ganzem Herzen über süße und fette Schokoladeneier, über Fisch und Klöße und Braten, über Fendant und Krokant, und dazwischen noch einen Kaffee zur Verdauung – ohne Reue und ohne Miesepeter. Osterfreude hat viele Gesichter, der Genuss beim Essen gehört für mich fraglos dazu.