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Aber Mangel und Überfluss braucht es schon, um eine gute Unterhaltung zwischen Menschen möglich zu machen. Zu viel zu tun für zu wenig Geld ist doch ein gutes Thema. Oder: Drei Nächte durchgefeiert und zu wenig geschlafen! In unserem Alter, Augenzwinkern, in unserem Alter, stöööööhn, schafft man das nicht mehr. Zu viel ist zu viel! Leise: Aber schön war es trotzdem.
Zu viel Regen! Die Himbeeren werden gar nicht reif. Zu viel Sonne, der Rasen wächst wie blöd. Der Kaffee zu stark – kann nicht schlafen. Entkoffeiniert? Deshalb komme ich nicht auf Touren!
Der Chef labert mich zu. Jeden zweiten Tag höre ich: „Das haben Sie wieder großartig gemacht!“ Super! Dafür kann ich mir nix kaufen. Soll mal mehr Geld rüberwachsen lassen! Oder: Ich verdiene zwar ganz gut, aber mein Boss kriegt die Kiemen nicht auseinander. Würde mich schon mal freuen, so ein Wort der Anerkennung, wenigstens ein klitzekleines. Aber der Kerl ist evangelisch. Da gilt die Formel: Nicht geschimpft ist genug gelobt.
Dafür hatten wir aber einen schönen Urlaub. Nur: viel zu kurz. Die Leute in Oberitalien sind ja wirklich nett, aber die Preise! Hotel, Essen – alles viel zu teuer.
Nichts ist langweiliger als: Alles okay, genau richtig!
Wie langweilig wäre es, wenn man immerzu sagen müsste, alles sei genau so gewesen wie erwartet, genau richtig. Alles in Ordnung, alles gut. Kann gar nicht sein, würde in der Denkblase über den Kopf der Gesprächspartnerin erscheinen. Da stimmt doch was nicht! Immer alles genau richtig? Entweder spinnt der, oder er ist ein ganz seltsamer Kerl, oder er will mir irgendetwas verschweigen. Da ist wohl alles vollständig schiefgegangen! Kennen wir doch. Ist doch meistens so, wenn jemand auf Nachfrage erklärt: „Danke. Nee. Alles super, alles okay.“
Das Erzählenswerte ist die Abweichung. Nur das Auffällige lohnt das Schreiben von Geschichten, gebiert Mythen und Sagen. Wobei es die Angewohnheit guter Erzähler ist, den Kern ihrer Geschichte immer noch größer und toller zu verpacken, immer dicker einzuhüllen in atemberaubende Übertreibungen.
Stellen Sie sich vor, wer Jung-Siegfried wirklich war. Ein netter Nachbarsjunge, der mal einen etwas größeren und stärkeren Burschen im Ringkampf besiegt hat. Mit jeder Neuerzählung wuchs der Bursche, bis er schließlich Drachengröße erreicht hatte. In der „Odyssee“ brachte er es gar zum Zyklopen.
Na gut. Ich habe viel zu wenig Zeit, mich mit solchem Quatsch zu beschäftigen, denken Sie, verehrte Leserin, lieber Leser. Wann kommt er denn endlich zum Punkt? Irgendetwas will er doch, der Typ, mit dieser ellenlangen, blöden Geschichte vom maßlosen Glück oder Elend? Wann kommt er denn endlich zur Sache? Dafür kriegt er sein Geld, dass er diesen Quatsch hier präsentiert? Unglaublich! Unsereins arbeitet Tag und Nacht. Und keiner schaut hin. Genau. Keiner! Niemand!
Liebe Leserin, verehrter Leser. Ich will Ihnen keine Weisheit vorspiegeln, über die ich nicht verfüge. Ich habe nur gerade mit ein paar Kindern darüber diskutiert, warum sie Omas Geschichten lieber hören als die von Tante Gerti. Und eines der Kinder, der Maxi, hat es auf geniale Weise erklärt: „Bei Oma spürst du, wie die Drachen Feuer speien, und sie kann ganz schrecklich laut Kikeriki machen, miauen, bellen und wiehern, wenn sie die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten erzählt.“ Die zwei Jahre ältere Schwester Mary ergänzt ebenso genau: „Das ist zwar total übertrieben, viel zu viel, aber deshalb ist es auch so toll.“ Danke!