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Ferientage in Österreich. Über Tage hinweg beschäftigen die Zeitungen sich mit dem Unfall des greisen Wiener Kardinals König. In einem Hotel war er über einen Teppich gestolpert; ein Oberschenkelhalsbruch war die Folge. Wenige Tage vor seinem 98. Geburtstag wurde dem Kardinal ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. In wenigen Wochen werde er sich wieder frei bewegen können, so hieß die Prognose. Niemand bezweifelte, dass das Geld für das neue Hüftgelenk richtig eingesetzt war.
Nach Hause zurückgekehrt. Ein Sturm im Sommerloch. Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union, hat ihn ausgelöst. "Alte konsumieren auf unsere Kosten" heißt die Schlagzeile. Keine künstlichen Hüftgelenke für 85-Jährige, so heißt seine Lösung. Ein richtiges Thema falsch angepackt.
Das Verhältnis zwischen den Generationen in Deutschland gerät in eine bedrohliche Schieflage. Immer weniger junge Erwerbstätige sollen Renten und Gesundheitsvorsorge für eine wachsende Zahl von Älteren aufbringen. Heute kommen auf 100 erwerbstätige Menschen in Deutschland 48 Rentner, im Jahr 2050 werden es wahrscheinlich 78 sein. So weit können die Gehälter gar nicht steigen, wie es nötig wäre, um das heutige Rentenniveau dann noch zu halten. Aber es ist falsch, auf ein solches Dilemma im Geist des Sozialneids zu antworten statt im Geist der Solidarität.
Als ob unser Gesundheitssystem dadurch wieder finanzierbar würde, dass alte Menschen endlich wieder am Krückstock gingen, statt ein neues Hüftgelenk zu erhalten. Wenn Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit bewahrt oder wiederhergestellt werden, so dient das nicht nur der Lebensqualität älterer Menschen, sondern es rechnet sich auch volkswirtschaftlich. Wenn alte Menschen für sich selbst sorgen können, ist das allemal besser, als wenn sie am Krückstock gehen müssen oder immobil werden. Entscheidend ist doch, dass sich alle auf die gesundheitlichen Maßnahmen konzentrieren, die nötig und effektiv sind. Das gilt für die Jungen wie für die Alten. Eine Altersgrenze für künstliche Hüftgelenke dagegen ist einfach nur absurd.
Am Verhältnis zu den Älteren zeigt sich, wie eine Gesellschaft es insgesamt mit der Würde des Menschen hält. Das vierte der biblischen Gebote heißt: "Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest im Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird." In diesem Gebot geht es nicht um den Gehorsam heranwachsender Kinder gegenüber ihren Erziehungsberechtigten, es geht vielmehr um den Respekt und die Fürsorge für die alt gewordenen Eltern oder allgemeiner: um den Respekt und die Fürsorge für die ältere Generation.
Eine Gesellschaft, die älter wird, kann dem Thema der Generationengerechtigkeit nicht ausweichen. Ihre Zukunftsprobleme lösen sich nicht von allein, wir müssen sie selber angehen. Den Jungen möchte man bewusst machen, dass es einen Weg gibt, sich gegen die Überalterung der Gesellschaft zu stemmen: Sie müssten den Mut zu Kindern und die Freude an ihrem Aufwachsen (wieder) entdecken. Den Älteren möchte man raten, den Sorgen der Jungen Gehör zu schenken. Das wird ihnen freilich leichter fallen, wenn diese Sorgen anders vorgebracht werden, als es im Sommerloch geschehen ist.