chrismon: In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Wigald Boning: Wenn ich mit einer Tätigkeit beschäftigt bin, von der ich mir erfolgreich einreden kann, dass sie mit Leidenschaft unterfüttert sei. Das geht morgens los – ich habe drei kleine Kinder. Sind die drei im Kindergarten, gehe ich schwimmen. Im Sommer etwa zwei Kilometer, im Winter eher 200 Meter, aber ohne Neoprenanzug. Wenn ich danach schnattere, bin ich so was von lebendig.
Wigald Boning
Wer ist klüger, Kopf oder Bauch?
Bei mir der Bauch. Ich sehe große Gefahren, wenn man zu verkopft ist und alles immer wieder durchdenkt. Das erhöht nicht die Lebensqualität, sondern überspitzt das Bewusstsein für Risiken, die hinter jeder Ecke lauern könnten. Entscheidungen sind nicht klüger, nur weil sie lange durchdacht werden.
Haben Sie eine Vorstellung von Gott?
Eine ganz konkrete. Ich habe Zivildienst bei einem schwerbehinderten Herrn gemacht. Wenn ich überhaupt eine Vorstellung habe, dann taucht als Erstes dieser ältere Herr auf, mit seinen 86 Jahren im Rollstuhl. Warum? Das kann ich nicht sagen. Eine spontane Assoziation, die sich in mir über die Jahre festgezurrt hat.
Ich bete relativ häufig, ich habe das große Bedürfnis, mich zu bedanken. Entdeckt habe ich das Beten vor vielen Jahren in einer Lebenskrise, es war – grob gesagt – eine Ehekrise, der eine Scheidung folgte. Einer meiner mittlerweile großen Söhne, mit dem ich mich heute sehr gut verstehe, sprach damals nicht mehr mit mir, das machte mich fix und fertig. Ich wusste nicht mehr, an wen ich mich wenden könnte, woher noch Hoffnung kommen sollte. Da hat es mir sehr geholfen, in dieser vermeintlich ausweglosen Situation einen Ansprechpartner zu haben.
Fürchten Sie den Tod?
Momentan nicht. Aber wenn Körper- und Geisteskräfte nachlassen, das kann bitter werden, das habe ich im Zivildienst erlebt. Dieses Ende steht uns allen bevor, das muss man sich immer klarmachen. Daraus erwächst eine entscheidende Erkenntnis: die Zeit nutzen, feiern und zelebrieren. Der Genuss ist das Allerwichtigste, das habe ich als Zivi mitgenommen.
Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?
Die können mich peinigen. Ich bin aber auch des Verdrängens mächtig, Gott sei Dank. Letztlich versuche ich, alles in Ordnung zu bringen. "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich", wie man sagt. Das Leben wird nicht schöner, wenn man jemanden zum Todfeind erklärt – weder für den "Todfeind" noch für einen selber.
Das Verzeihen kann man richtig zu einer Sportart machen, in der man sich übt und zum Beispiel sagt: "Hier ist eine Flasche Wein, jetzt setzen wir uns und schlagen ein neues Kapitel auf." Ich habe so einen Fall mit jemandem, mit dem ich mich fast geprügelt hätte. Jetzt ist es wunderbar, wir haben geschafft, das in kurzer Zeit zu ändern.
Wer oder was hilft in der Krise?
Freunde und Familie. Menschen, auf die ich mich verlassen kann. Ich hatte eine Finanzkrise, da habe ich mir ein richtiges Gremium zusammengestellt, mein Papa als Bankkaufmann war natürlich super. Es gab keine Vorwürfe, nein, die habe ich mir schon selbst gemacht.
Hilfreich ist auch mein erprobtes Talent, mir jede Lebenslage schönzureden. Alles hat eine Kehrseite, einen Nebenaspekt – den kann man grotesk überbetonen. Und Sport hilft, ich freue mich, wenn ich im Wasser bin, egal was vorher war. Im Winter sorgt die Kälte dafür, dass man kurz alle Probleme vergisst – von Putin bis hin zur kaputten Kaffeemaschine. Das kann ich jedem empfehlen, der sich in Grübeleien verstrickt: rein ins kalte Wasser, das ist immer gut.
Was können Erwachsene von Kindern lernen?
Die Fähigkeit zum Spielen. Nicht kompetitiv, sondern Rollenspiele oder was auch immer. Vor zwei Jahren habe ich mir ein Vibrafon gekauft, ich kann stundenlang darauf herumspielen. Ich glaube, dass es entscheidend ist, sich für etwas Neues begeistern zu können, eine Flamme der Leidenschaft zum Lodern zu bringen.



