Der Mann mit schwarzen Haaren und Bart, der mir auf Instagram zuwinkt, spricht mit norddeutschem Akzent: "Moin, Friedrich Merz! Sie fragen sich bestimmt, wieso kann der kleine Pascha so gut Deutsch und sieht nicht aus wie ein Talahon?* Ich komme aus dem Emsland und bin extra auf Land gefahren, um das Stadtbild nicht zu stören!" Die sozialen Medien sind voll mit solchen Beiträgen. Und das ist gut so!
Bundeskanzler Friedrich Merz brachte vergangene Woche die Themen Migration und "Probleme im Stadtbild" in einer Weise miteinander in Verbindung, dass man nur den einen Schluss ziehen konnte: Migranten stören, machen Probleme, trüben das Bild. In dieser Woche legte der Kanzler nach. Man frage doch die eigenen Töchter, "was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort." Einzig logische Quintessenz: Der Kanzler glaubt, Migranten stellen deutschen Frauen und Mädchen nach.
Eigentlich ist das Thema viel zu ernst, um lustige Instagram-Reels darüber zu machen. Auch Friedrich Merz hat erkannt, wie gefährlich die rechtsextreme AfD ist. Sie wolle seine Partei, die Union, vernichten, sagte der Kanzler, der auf derselben Pressekonferenz so tat, als wüssten alle, dass es spätestens nach Einbruch der Dunkelheit in Städten zu gefährlich für Frauen sei. Welch ein Widerspruch, einerseits vor der AfD zu warnen, andererseits aber ihre Rhetorik zu übernehmen! Denn die Bundestagswahl zeigte, dass Rechtsaußenparteien profitieren, wenn Migrationspolitik in der öffentlichen Debatte mit sicherheitspolitischen Debatten verknüpft wird.
Seht her, auch wir sind Teil dieses Landes!
Wer der Bundesregierung vorsteht, sollte bei der Schilderung von Problemen differenzieren und nicht mit pauschalen Aussagen spalten. Aber ein Gutes hat die Aufregung: Friedrich Merz hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, in dem sich auch mehr und mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu Wort melden und ihre Geschichte erzählen, manche ernst, andere mit viel Humor. Wie der junge Mann aus dem Emsland. Tenor: Seht her, auch wir gehören dazu! Auch wir haben eine Geschichte! Wir sind Teil dieses Landes! Diese selbstbewussten Stimmen haben wir lange überhört, zu oft wird über Zuwanderung hierzulande nur pauschal als Problem geredet. Das ist wertvoll. In diesem Sinne: Danke, lieber Friedrich Merz!
*Auszug aus dem Wörterverzeichnis der Neuen deutschen Medienmacherinnen: Der Begriff "Talahon" (arabisch "Ta’al La’hon" = "Komm her"; feminin: Talahina) wurde ursprünglich durch TikTok bekannt und wird zunehmend als rassistische und klassistische Beleidigung benutzt. Als Fremdbezeichnung wertet der Begriff arabisch oder muslimisch gelesene junge Menschen ab und fördert das rassistische Stereotyp des "gefährlichen muslimischen Mannes". 2024 landete "Talahon" unter den Top 3 für das Jugendwort des Jahres, Rechtsextreme haben zum Voting aufgerufen.