Amar und Abouda
Anne-Sophie Stolz
25 Jahre chrismon
Was wurde aus . . .
... den vielen chrismon-Geschichten der vergangenen 25 Jahre? Wir haben ein paar Protagonisten und Projekte noch einmal angefragt, wie es ihnen ergangen ist. Hier sind die Antworten!
24.10.2025
5Min

. . . den Stuttgarter Geflüchteten, die sich T-Shirts mit dem Spruch "du armer nicht mal marke" drucken ließen?

Im Frühjahr 2021 begleitete chrismon den Stuttgarter Streetworker Simon Fregin, der mit seinem Team der Mobilen Jugendarbeit jungen Menschen eine Perspektive bietet. "du armer nicht mal marke" druckten damals Ammar und Abouda auf T-Shirts. Die beiden syrischen Jungs waren beim Kicken angemacht worden, weil sie keine teuren Turnschuhe trugen. Mit dem Spruch wollten sie vermitteln: "Auch wenn ich scheiße Klamotten habe, kann ich dich beeindrucken."

Was hat der Artikel in chrismon bewirkt?

Fregin: "Wir be­kamen T-Shirt-Bestellungen aus der ganzen Republik. Ammar und Abouda waren stolz: zwei Syrer, über die positiv berichtet wird. Fernsehen und Radio kamen. Der Spruch "du armer nicht mal marke" ist ein Türöffner, um Schicksale zu zeigen. Gerade hat ein politisch verfolgter irakischer Junge den Spruch auf T-Shirts und Aufkleber geschrieben. Er ist Analphabet, das Schreiben war schwer. Wir verkaufen die Soli-T-Shirts auf Stadtfesten und finanzieren davon mal eine Jugendfreizeit im Allgäu. Durch chrismon ist aus dem Spruch eine richtige Kampagne geworden."

Und heute?

Ammar hat geheiratet und wurde Vater, auch Abouda heiratet im Herbst. Er ist Store Manager im Turnschuhladen. Im Mai 2025 hat er seinen deutschen Pass bekommen. "Diese Urkunde ist das Wertvollste in meinem Leben", sagt er. Nach der Einbürgerung gabs Maultaschen.

. . .  den Deutschtürkinnen, die voller Tatendrang nach Istanbul zurückgingen?

2013 war Ciğdem auf dem Titel von chrismon: "Hallo, Istanbul" – wie junge Frauen, die in Deutschland geboren sind, jetzt polyglott und super ausgebildet in die Türkei ziehen.

Was hat der chrismon-Artikel bewirkt?

Ciğdem: "Ich war kurz vor dem chrismon-Artikel in Unfrieden aus meinem Hamburger Architektur­büro ausgeschieden und nach Istanbul gezogen. Kurz nach chrismon brach der Gezi-Protest aus. Und ich bekam ­einen Anruf von den Hamburger Kollegen: ‚Dein Bild auf dem chrismon-Titel hängt hier im Büro. Können wir dir helfen, bist du in Gefahr?‘"

Und heute?

Ciao Istanbul. Ciğdem lebt mit Mann und Kind in Köln, auch um ihrem Sohn eine gute Zukunft zu bieten. Beruflich hat sie sich auf nachhaltige Architektur und Sanierung spezialisiert. Durch den Abstand der Jahre in der Türkei, sagt sie, falle ihr der Rassismus jetzt viel mehr auf. Die im westfälischen Halver geborene, top ausgebildete junge Frau wollte neulich in Berlin bei einem medizinischen Notfall helfen. Da nahm ihr eine Passantin das Telefon aus der Hand und sagte: "Das mach ich mal besser auf Deutsch."

. . . "Freiberg für alle"?

"Das wird ein Marathon" stand über der Reportage aus Freiberg in Sachsen, die zum Jahreswechsel 2022/23 erschien. Damals veranstalteten "Querdenker" in der Stadt Montagsspaziergänge. Das Netzwerk "Freiberg für alle" wollte dem etwas entgegensetzen – und nicht nur gegen, sondern für etwas sein: für Demokratie und Vielfalt.

Was hat der Artikel in chrismon bewirkt?

"Die Aufmerksamkeit hat Mut gemacht, dranzubleiben", sagt Stefan Benkert von "Freiberg für alle".

Und heute?

Ein Teil von "Freiberg für alle" ist die Mitlaufgelegenheit Freiberg. Die Gruppe läuft immer noch, alle sind willkommen. "Freiberg für alle" organisiert die Reihe "Was bedeutet uns Demokratie?", zu der schon Hunderte kamen. Das Netzwerk ist mit vier Sitzen im Stadtrat vertreten, tritt Ende September mit einem ­Kandidaten bei der Oberbürgermeisterwahl an. Das Motto ist geblieben – und kann längst für ganz Deutschland gelten: "Die größte Gefahr für die Demokratie sind nicht zu viele Feinde, sondern zu wenig Freunde."

. . . Katharina, die von einem Loverboy elf Jahre in die Prostitution gezwungen wurde?

2020 berichtete Autorin Barbara Schmid in chrismon, wie die Eltern darum kämpften, ihre Tochter rauszuholen.

Was hat der Artikel in chrismon bewirkt?

Für die Eltern war es wichtig, andere Familien auf die Masche von Loverboys aufmerksam zu machen. Das Erzählen ihrer Geschichte war ein Stück Bewältigung der schrecklichen Zeit.

Und heute?

Der Zusammenhalt in der Familie ist sehr groß. Alle haben Katharina unterstützt, als sie letztes Jahr die Prüfung zur Steuerberaterin abgelegt hat. Über 50 Prozent fallen in der Regel durch, Katharina hat sie im ersten Anlauf geschafft. Die Autorin Barbara Schmid wurde nach dem vielgelesenen Artikel von Schulen eingeladen, über die Methode Loverboy zu sprechen. Sie macht solche Präventionsveranstaltungen inzwischen bundesweit.

Gerade erschienen: Barbara Schmid, Die (un)verborgene Gewalt ­gegen Frauen. Wie Prostitution den Frauenhass in unserer ­Gesellschaft fördert, zur Gefahr für jede Frau wird und was wir ­dagegen tun können. mvg-Verlag. 224 Seiten, 18 Euro.

. . . aus den gespendeten Rollstühlen?

Iceflower e. V. transportiert nicht mehr gebrauchte Medizintechnik in die Republik Moldau. 2024 stellte chrismon den kleinen Verein vor.

Was hat der Artikel in chrismon bewirkt?

Die Resonanz, sagt Ärztin und Organisatorin Marlu Verspohl (oben im Bild), "war überwältigend". Es gab Sach- und Geldspenden aus ganz Deutschland. Und viel praktische Mithilfe, etwa bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Organisation der Transporte.

Und heute?

Immer noch trudeln mit Bezug auf den chrismon- Text Spenden ein, Geld, gebrauchte Orthesen, Roll­stühle oder Windelpakete. Ein Kinderhospiz aus Münster ist fester Kooperationspartner. Im Oktober 2025 geht es mit vollen Lastwagen wieder los. Für Menschen, die dringend das ­brauchen, was hier in der Regel einfach entsorgt wird.

. . . Katrin Philippi, Physio­therapeutin, und ihrem Sohn Philipp?

Im Dezember 2023 veröffentlichte chrismon eine Fotogeschichte über ­Eltern, deren Kinder das Downsyndrom haben. Katrin Philippi erzählte darin, wie Philipps Vater die Familie verließ. Wie sie ihren Alltag bewältigt und dass sie so gern mal mit ihrem Sohn nach Schottland reisen würde.

Was hat der Artikel bewirkt?

Mehrere chrismon-Leser meldeten sich bei der Redaktion, um diese Reise zu finanzieren. Und im September 2024 waren Mutter und Sohn für acht Tage in Schottland: Sie besuchten etwa das Schlachtfeld von Culloden, das Balvenie Castle, machten Führungen in Whisky­destillerien. Sie fuhren zum Leuchtturm in Fraserburgh, sahen schottische Hochlandrinder, wanderten, aßen und tranken gut.

Und heute?

"Der Alltag hat uns mit all seinen kleinen und großen Herausforderungen wieder, aber wir sind glücklich und zufrieden. Es war ein wundervolles Geschenk!", erzählt Katrin Philippi.

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