Nehmen wir die Klimakrise oder den Nahostkonflikt oder eine beliebige andere Großlage unserer Tage. Wie kann man da nur gelassen sein? Das ist eine berechtigte Frage, und trotzdem sehnen sich viele Menschen nach innerer Ausgeglichenheit. Auch weil diese Welt so ist, wie sie ist.
Könnte der Ausweg vielleicht ein christlicher Blick auf die Welt sein?
Eigentlich scheint ja eher Aufgeregtheit oder Anspannung der passende seelische Zustand zu sein. Weltberühmt geworden ist das Zitat der Klimaaktivistin Greta Thunberg, die im Januar 2019 vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos über den Klimawandel sprach und sagte, sie wolle keine Hoffnung, sondern: "Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Angst fühlt, die ich jeden Tag fühle. Und dann will ich, dass ihr handelt."
Thunberg ruft zum Handeln auf, und genau darin trifft sich die nach Panik verlangende Klimaaktivistin mit vielen hoffnungsvollen Christinnen und Christen, die diese Welt besser machen wollen. Denn klar ist: Die Krisen dieser Welt fordern dazu auf, zu handeln und nicht die Hände in den Schoß zu legen. Nur wie? Und woher soll man die Kraft dazu nehmen?
Hektik und Panik helfen hier nicht. Schlimme Situationen werden durch sie nur noch unerträglicher oder gar gefährlich. Man denke nur an Massenpaniken bei Großevents: Niemand denkt mehr richtig, alle rennen in die gleiche Richtung, und oftmals werden sogar Menschen totgetrampelt. Gerade herausfordernde Situationen verlangen nach Überblick und überlegtem Handeln. Das gelingt viel eher, wenn sich die handelnden Menschen ruhig und selbstbewusst an ein Problem machen. Das ist ein gutes Argument für Gelassenheit.
Die Religion kommt ins Spiel, wenn man fragt, woher die innere Ruhe und das Selbstbewusstsein kommen sollen. Wir Menschen handeln auf der Grundlage von Voraussetzungen, die wir uns nicht selbst gegeben haben. Religiös gesprochen: Unser Leben, unsere Fähigkeiten sind ein Geschenk Gottes. Gott hat diese Welt und uns geschaffen, und auch wenn wir nicht wissen mögen, warum und wozu, in Gott liegt der Sinn des Ganzen. Ein religiöser Mensch, der das im Bewusstsein hat, kann gelassener auf die Aufgaben und Herausforderungen blicken, die vor ihm liegen. Auch deswegen, weil Gott als dem Schöpfer nicht nur die erste, sondern auch die letzte Verantwortung obliegt.
Aber ist christliche Gelassenheit dann nicht doch genau die Einstellung, vor der Thunberg und ähnlich denkende Aktivisten weltweit verzweifeln: eine obskure Hoffnung auf einen höheren Sinn, die vertröstet und damit gleichgültig gegen das Leid macht und nicht aktiviert?
Die christliche Theologin Dorothee Sölle hat das anders gesehen. Für sie hat religiös begründete Gelassenheit noch einen zweiten Effekt: Sie beschreibt eine tiefe, die ganze Person einnehmende Gelassenheit als Moment der mystischen Gottesschau. Wer es schafft, wirklich gelassen zu sein, sich selbst ganz zurückzunehmen, den eigenen Willen fahren zu lassen und auch die eigenen Ängste, hat eine andere Verbindung zur Welt. In dieser Erfahrung geht dem Menschen auf, wie begrenzt und angewiesen er ist. Und dass er oder sie diese Eigenschaften mit allen Menschen, ja sogar allen nichtmenschlichen Gegenständen der Schöpfung teilt. Diese Erfahrung des Einsseins mit allen Dingen aber lässt den Menschen, der sie erlebt, gerade nicht tatenlos und relaxt sein.
Im Gegenteil: Nach Sölle gibt es sogar einen direkten Weg von der Gelassenheit zum Widerstand. Wenn ich mich mit allen Dingen verbunden fühle, dann lasse ich es auch nicht zu, dass es einem Teil schlecht ergeht, dann lässt mich das Schicksal der anderen nicht kalt. Dann setze ich mich für eine bessere Welt ein und dafür, dass Gottes Schöpfung bewahrt wird.
Gelassenheit in diesem christlichen Sinne ist also gerade nicht Gleichgültigkeit. Dann wäre sie wirklich noch schlimmer als die von Thunberg geforderte Panik. Eine christliche Gelassenheit führt zum Mitgefühl für andere – und damit zum Handeln.

