Atemtechnik
Jetzt mal richtig Luft holen!
Wer richtig atmet, kann Stress abbauen und Krankheiten vorbeugen, sagt der Physiotherapeut und Yogalehrer Stefan Grunwald - und hat Tipps zum Üben
Den Blick nach innen wenden
Den Blick nach innen wenden, sich auch im Alltag aufs Atmen konzentrieren, kann helfen
damircudic/Getty Images
Tim Wegner
11.03.2025
5Min

Ich bin mit dem Rad schnell zu diesem Interview gefahren, Hilfe, wie komm ich wieder zu Puste?

Stefan Grunwald: Erstmal wäre es gut, auch auf dem Rad und auch bei Anstrengung, immer durch die Nase zu atmen. In den Nebenhöhlen wird Stickstoff gebildet, das erweitert die Blutgefäße, die Sauerstoffversorgung wird besser im ganzen Körper. Man wird dann nicht so schnell kurzatmig. Außerdem ist Stickstoff gut gegen Entzündungen und Viren.

Okay, nächstes Mal. Und jetzt?

Nicht hektisch ein- und ausatmen, davon wird man nur noch aufgeregter. Sondern lange ausatmen. Das kann man steigern. Selbst wenn Sie denken, es ist wirklich alles ausgeatmet – es geht immer noch was. Das Einatmen beschleunigt den Herzschlag, es gehört zum System, das Kampf und Flucht ermöglicht. Beim Ausatmen arbeitet das Nervensystem in Richtung Ruhe und Verdauung. Die meisten Menschen atmen zu viel ein, so viel Sauerstoff braucht man aber gar nicht. Es gibt mehrere Methoden, mit denen man üben kann, weniger zu atmen, am bekanntesten ist die Buteyko-Atmung.

Stefan Grunwald

Stefan Grunwald, Jahrgang 1965, arbeitet als Osteopath, Physiotherapeut und Yogalehrer in Frankfurt. Er gehört als Opernsänger zum Chor des Staatstheaters Darmstadt und gibt auch Gesangsunterricht.

Buteyko? Nie gehört …

Konstantin Buteyko war ein russischer Arzt, dessen Methoden in den 1980er Jahren große Verbreitung fanden, gerade wird er wiederentdeckt. Er hatte erforscht, dass zu viel atmen den Stoffwechsel aus dem Takt bringt und viele Krankheiten verschlimmern kann, von Asthma bis Bluthochdruck. Wir atmen fast alle zu viel, genauso wie wir zu viel essen! Man muss die Buteyko-Atmung mindestens vier Wochen lang üben, am besten dreimal eine halbe Stunde am Tag.

Lesetipp: Ursula Ott sucht die Stille.

Gibts auch was Einfacheres?

Schlichtes Luftanhalten hilft auch schon bei Stress. Eine einfache Übung ist außerdem das Box Breathing, Box wie Viereck: Man atmet auf vier Zeiten ein, also 1-2-3-4. Hält auf vier Zeiten den Atem an, atmet auf vier aus, macht dann vier Zeiten Pause. Also einmal im Viereck. Darauf kann man sich gut konzentrieren.

Aber mein Atem funktioniert doch auch so, automatisch …

Ja, aber viele von uns atmen nur in den oberen Lungenabschnitten, in der Lungenspitze, und heben noch die Schultern dabei. Da oben findet aber gar kein Gasaustausch statt. Dazu kommt: Durch diese Schlüsselbeinatmung verspannt man die Halswirbelsäule und die Schulter. Diese Art von Atmung bringt überhaupt nur etwas, wenn man beim Marathonlauf die letzten Meter schaffen will. Aber nicht im Büro. Da bringt sie nur Spannungskopfweh.

Also versuche ich, so tief zu atmen, dass mein Zwerchfell aktiviert wird.

Genau. Der Gründer der Osteopathie, Andrew Taylor Still, sagte über das Zwerchfell: "Durch seine Tätigkeit leben wir und wenn es versagt, sterben wir."

Na ja, das kann das Herz auch von sich sagen. Durch seine Tätigkeit leben wir …

Der Herzbeutel ist ja auch mit dem Zwerchfell verbunden. Beim tiefen Zwerchfellatmen wird das Herz auseinandergezogen. Es bleibt elastischer, es ist ja ein Muskel. Wenn das Zwerchfell gut arbeitet, massiert es das Herz, die Leber, die Verdauungsorgane.

Ist das nicht ein bisschen übertrieben, dass jetzt alle übers Atmen reden …

Ich finde, das Bewusstsein fürs richtige Atmen ist nicht besonders ausgeprägt. Da haben unsere Eltern mehr drüber geredet. In den 60er Jahren war die Begründerin der Atemlehre "der erfahrbare Atem" bekannt: Ilse Middendorf. Bei Bhagwan im Ashram wurden auch Leute mit Atmen in Trance versetzt. Und die Pranayama-Übungen, Teil vieler Yogakurse, sind fast 3000 Jahre alt. Das ist überhaupt kein moderner Hype.

Also, in meinem Freundeskreis gibts schon einen Hype: die "Wim-Hof-Atmung" …

... Wim Hof, der Eismann. Bei dem habe ich auch einen Kurs gemacht, ich finde ihn okay. Klar, er ist medienwirksam, weil er fast zwei Stunden im Eiswasser aushält. Dafür setzt er Atemtechnik ein. Die Methode ist simpel: Man atmet 30 Mal tief ein und kurz aus. Danach kommt die Herausforderung: tief einatmen und die Luft anhalten, so lange es geht. In einer Zeit, in der wir ständig mit dem Außen beschäftigt sind, mit Handys und Netflix und Lärm und Krach, ist mir jeder willkommen, der unseren Blick nach innen wendet, um den Geist auf – ja, sagen wir es ruhig: das Göttliche in jedem von uns zu konzentrieren. Fast alle Weltreligionen praktizieren Atmung. Die Navajo nennen die Menschen "Wind child", das ist ja nicht so viel anders als unsere Vorstellung aus der Bibel, aus der Genesis: Der Mensch wurde aus Lehm geformt und dann mit dem Atem Gottes beseelt.

Das Wim-Hof-Atmen ist aber auch eine Gruppensache, oder? Man hält die Luft länger an als der Nachbar – was soll dieser Wettbewerb?

Wettbewerb ist völlig nutzlos beim Atmen. Aber ich wäre da nicht so streng, das Gruppending macht halt auch Spaß, und mit Spaß sinnvolle Sachen machen, ist völlig okay. Und wenn man sich steigert, wenn man durch Üben erst die Luft 30 Sekunden anhalten kann, später dann 2 Minuten 30, das bringt schon was. Dann erträgt man länger das CO₂ im Blut, man bringt mehr Sauerstoff in den Körper.

Im Yogakurs summt man beim Ausatmen. Oder singt ein Om. Was bringt das?

Man verlängert durch das Summen das Ausatmen und bringt wieder Stickstoff aus den Nasennebenhöhlen ins Blut. Und durch das Summen – oder Ommen oder Seufzen – wird der Vagusnerv aktiviert, das baut Stress ab. Der Vagusnerv hilft dem Immunsystem und der Verdauung.

Lesetipp: Wie viel Achtsamkeit tut uns gut?

Kann das jeder, gut atmen?

Nein, eben nicht. In der Physiotherapie lässt man Patienten erst mal tief in den Bauch atmen. Und mindestens ein Drittel streckt zwar den Bauch raus, aber da passiert gar nichts. Es gibt auch paradoxe Atmung: Menschen atmen ein und ziehen dabei den Bauch ein. Also genau falsch rum.

Was ist das Mindeste, das jeder tun kann?

Eine extreme Atmung am Tag, das schafft man. Einmal so viel einatmen, wie geht, bis man denkt, man platzt gleich. Und dann ausatmen - und wenn man denkt, man ist leer, weiter ausatmen. Es geht immer noch was. Erst dann ist das Zwerchfell in einer entspannten Ruheposition. Es ist ja ein Muskel, es will bewegt werden. So massiert man auf jeden Fall einmal alle seine inneren Organe. Und die Lymphe wird abtransportiert.

Wer einen Schritt weitergehen will: lernen, nur durch die Nase zu atmen. Das filtert, befeuchtet und erwärmt die Luft. Nachts den Mund zukleben, damit man wirklich durch die Nase atmet.

Den Mund zukleben? Wie im Tatort?

Es gibt hautfreundliche Pflaster dafür. Ich mach das seit Jahren. Reine Gewohnheitssache.

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