Die Verzweiflung muss ja groß sein, wenn man eine Quatschkünstlerin wie mich ins Flugzeug setzt, dachte ich mir. Dem Sea-Watch-Medienteam ging es darum, den katastrophalen Auswirkungen europäischer Abschottungspolitik Aufmerksamkeit zu bringen. Und mir? Neugierde treibt Schriftstellerinnen an und der Erfolg sorgt für schlechtes Gewissen, also sagte ich sofort zu, als das Sea-Watch-Medienteam mich fragte, ob ich bei einem Luftraumüberwachungsflug mithelfen möchte. Eine Künstlerin einzuladen, sei ein Experiment, und man dachte, ich wäre dafür zu haben. Ein Flug mit der "Seabird 1", einem zweimotorigen Flugzeug, in das sechs Personen passen. "Okay, bin dabei", sagte ich, ohne groß darüber nachzudenken.
Etwas mulmig wurde mir doch, als es darum ging, vor der Reise einige Formulare zu unterschreiben. Ich müsse zur Kenntnis nehmen, dass wir uns bei Flügen entlang der libyschen Küste in der Nähe eines der gefährlichsten Lufträume der Welt aufhalten würden. Als ich auch noch Sicherheitsfragen für den Fall einer Entführung durch libysche Milizen beantworten sollte, wurde mir direkt etwas schlecht. Das sei aber alles nur für den Worst Case, der so noch nie eingetreten sei, erklärte man mir, und so blieb ich bei dem Plan.
Via Videocall wollte mich eine Psychologin auf den Einsatz vorbereiten. Es müsse mir bewusst sein, sagte sie, dass ich möglicherweise mit Bildern konfrontiert werde, die mich nicht mehr loslassen werden. Das Bezeugen eines Schiffbruchs und der Untätigkeit von Behörden könne traumatisch sein. Ich könnte Menschen beim Ertrinken sehen. Die größte Angst, die ich habe, sage ich ehrlich, ist die, einen falschen Witz zu machen, etwas Unsensibles zu sagen oder prinzipiell Verantwortung zu übernehmen. Ich meide die ernsten Seiten des Lebens so gut, wie es geht. Wie privilegiert von mir, dieses Privileg freiwillig aufgeben zu können.
Spätabends komme ich nach einer komplizierten Anreise in mediterranem Klima auf Lampedusa an und fahre mit der Medienbeauftragten L., die ich im weiteren Text "Betreuerin" nennen werde, in das Crew House. Hier sind die Leute des Airborne-Teams untergebracht, also alle, die an Flugzeugeinsätzen vor Ort mitarbeiten. Schüchtern betrete ich mit meinem Reiserucksack die Küche. Drei, vier Leute sitzen da an einem großen Esstisch, begrüßen mich, und man stellt sich vor. Ich schreibe meinen Freunden eine erste Nachricht: "Arg, das ist hier wie eine linke WG. Hoffentlich bin ich nicht zu rechts."
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