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Es ist vielleicht eine besondere Eigenschaft großer Kunstwerke, dass sie durch die Darstellung von Trauer auch Trost vermitteln. In diese Riege gehört zweifellos die berühmte Pietà von Michelangelo. Über Jahrhunderte schon hilft die Skulptur der um ihren vom Kreuz genommenen Sohn weinenden Maria selbst Nichtgläubigen dabei, den Verlust eines liebgewonnenen Menschen zu verarbeiten. Selten ist die Art der Totentrauer in der Kunstgeschichte so würdevoll dargestellt worden.
Wobei Renaissance-Genie Michelangelo sich ja dem schlimmsten Eltern-Alptraum widmet, der Sorge nämlich, das eigene Kind zu überleben. Im Fall der modernen Pietà hier ist in gewisser Weise die natürliche Abfolge des Sterbens wiederhergestellt: Ein Sohn trauert um seinen Vater.
Der australische Künstler Sam Jinks, dem laut Selbstaussage "die Gabe des Glaubens" fehlt, ist ein großer Bewunderer Michelangelos. Dessen berühmte Pietà hat Jinks mit seinem Werk "Still Life" von 2007 bis ins Kleinste nachempfunden – zumindest was die Haltung der Figuren und ihre Mimik anbelangt. Nur die Figurenkonstellation ist eine andere. Sam Jinks hat verblüffend echt wirkende Figuren geschaffen. Die Skulpturen sehen so aus, als könnten sie jeden Moment die Augen aufschlagen und aufstehen. Sein Handwerk hat der Hyperrealist Jinks bei Film und Fernsehen gelernt, wo er Figuren für die Requisite knetete. Silikon und Echthaar sind seine favorisierten Materialien.
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Mit denen arbeitet er sich aber nicht nur an der Passionsgeschichte ab, sondern zeigt auch Menschen in alltäglichen Situationen, oft in den Grauzonen zwischen Leben und Tod: eine kniende Frau, einen schlafenden Jungen, frisch geborene Säuglinge – oder, fast schon witzig, überlebensgroße Insekten, einen Mistkäfer etwa, der eine goldene Kugel rollt.
Zu seiner Pietà hat den Künstler der Tod der eigenen Großmutter inspiriert. Was im Bild hier nicht zu sehen ist, bei der unmittelbaren Begegnung mit den Arbeiten von Sam Jinks aber gleich auffällt: Die Skulpturen sind etwas kleiner als Lebensgröße, also nicht im 1:1-Maßstab angefertigt. Das macht es einerseits leichter, sich – wie in diesem Fall – einer sehr privaten Szene zwischen Vater und Sohn zu nähern. Andererseits verstärkt es die Intimität des Moments. Je größer, desto erhabener – so lautet wohl die Faustregel, die Sam Jinks meistens umgekehrt anwendet. Bei ihm ist Demut am Werk.
Deshalb weist nicht nur der Blick des betrachtenden Menschen im Museum tendenziell nach unten, sondern auch die Figuren des Künstlers selbst haben in der Regel ihre Augen geschlossen. Auch die beiden hier gehören ganz sich selbst, ihrer Trauer, ihrem Leid. Mit ihren geschlossenen Lidern riegeln sie sich vor der Außenwelt ab.
So liegt fast etwas Versöhnliches in der Darstellung dieser Totentrauer: Glücklich, wer so Abschied nehmen kann.