Mit dem Kirchenasyl stellen Sie sich gegen das gültige Recht. Wie geht es Ihnen damit?
Rainer Schell: Zwischen den Kirchen und dem Innenministerium gibt es eine Art Vereinbarung über das Kirchenasyl. Wenn wir uns daran halten, habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich gegen das Recht stelle. Im schlimmsten Fall bewegt man sich in einer Grauzone.
Sigrid Düringer: Wenn ich über die Flüchtlingspolitik lese, finde ich das so beschämend und furchtbar. Dann möchte ich keine Deutsche sein und auch keine Europäerin. Als in den 1980er Jahren Atomwaffen in Deutschland stationiert wurden, hat der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter sinngemäß gesagt: Wer nicht verrückt werden will angesichts der Verhältnisse, muss etwas tun, um sich selbst vor dem Verrücktwerden zu schützen. Kirchenasyl ist zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es ist zumindest etwas.
Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach tun?
Düringer: Die große Lösung weiß ich auch nicht. Inzwischen würde ich auch sagen: Nicht alle Menschen, denen es schlecht geht, können hierherkommen. Aber man muss einen Weg finden und der darf nicht heißen, sie durch fürchterliche Behandlung abzuschrecken, im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder an den Außengrenzen in Lager zu stecken. Das ist ja die neueste Idee. Die sollen in zwölf Wochen durch ein geordnetes Asylverfahren. Wie soll das gehen? Das klappt doch schon seit Jahren nicht! Auch wenn es wenig ist, aber für die Menschen, die in dieser Kirche ankommen, sind wir da.
Wer lebt gerade bei Ihnen im Kirchenasyl?
Düringer: Wir haben seit kurzem eine junge Äthiopierin hier, die über Saudi-Arabien gekommen ist. Sie war Dienstmädchen dort und hat furchtbar schlechte Erfahrungen mit dem Arbeitgeber gemacht. Wir wissen auch alles noch nicht so genau.
Schell: Im Laufe der Zeit kriegt man ein stückweit die Fluchtgeschichte und manchmal auch die Gründe für die Flucht raus. Aber wir insistieren da nicht.
Wie geht es ihr?
Düringer: Sie ist sehr ungern allein und kann nicht gut schlafen, wenn sie allein ist. In den letzten Tagen haben wir gesehen, dass sie zu wenig isst und trinkt und Kopfschmerzen kriegt. Und so habe ich ihr gesagt, dass ich heute dieses Interview habe und sie gefragt, ob sie für uns kochen möchte. Sie hat gerade ein 3-Gänge-Menü serviert aus Salat, Reis, Hähnchen, gebackenen Kartoffeln und einer Platte mit verschiedenem Gemüse – wunderbar hergerichtet. Menschen im Kirchenasyl sind so froh, wenn sie irgendwas tun können für uns.
Aus welchen Ländern kommen die Geflüchteten?
Schell: Meistens aus Afghanistan, Eritrea, Äthiopien, Somalia und Guinea. Wir versuchen, Menschen, die von der Abschiebung bedroht sind, die Möglichkeit zu verschaffen, dass ihre Fluchtgründe noch mal überprüft werden. Bisher waren bei allen die Gründe so massiv, dass sie hinterher anerkannt wurden oder zumindest einen Duldungsstatus bekommen haben.
Aber zum Beispiel nach Afghanistan wird doch gerade gar nicht abgeschoben.
Düringer: Im Augenblick haben wir es fast nur noch mit sogenannten Dublin-Fällen zu tun. Die werden nicht in ihr Herkunftsland, sondern in das europäische Land zurückgeschickt, in dem sie zuerst registriert wurden. Aber viele haben dort grauenvolle Erfahrungen gemacht. Das ist auch der Grund, warum wir ihnen Kirchenasyl anbieten.
Was sind das für Erfahrungen?
Düringer: In Kroatien gab es viele sogenannte Pushbacks. Den Geflüchteten wurden die Papiere weggenommen, die Schuhe geklaut und dann wurden sie zurück über die Grenze gedrängt.
Schell: Eine hochschwangere Frau wurde von offiziellen kroatischen Stellen drei Mal zurück über die Grenze gepusht! Inzwischen werden Pushbacks von der EU offiziell gerügt und dokumentiert.
Vor welchen EU-Ländern versuchen Sie die Geflüchteten noch zu schützen?
Düringer: Nach Ungarn wird gerade niemand zurückgeschickt, weil sie dort so furchtbar mit Geflüchteten umgehen. Aber wir nehmen auch oft junge Frauen auf, die nach Italien geschickt werden sollen, obwohl das ja kein Unrechtsstaat ist. Dort leben Geflüchtete aber meist auf der Straße und das ist gerade für junge Frauen eine Katastrophe. Wir hatten eine Frau aus Guinea, die zig-mal vergewaltigt wurde. In Polen sind zwei geflüchtete Frauen, die von Belarus eingereist sind, monatelang in einer Art Knast gelandet. Eigentlich bräuchte es uns nicht, wenn die Geflüchteten in Europa einen Platz finden würden, an dem sie unter rechtsstaatlichen Bedingungen leben können. Aber das ist leider nicht so!
Wie wählen Sie die Menschen aus?
Schell: Das macht eine Flüchtlingsberatungsstelle. Wir kämen in ein totales Dilemma, wenn wir ein Casting durchführen würden. Wir sind sehr froh, dass das getrennt ist.
Wie geht es dann weiter?
Schell: Nach sechs Monaten können Geflüchtete einen Antrag stellen, um in Deutschland zu bleiben. Das heißt, der deutsche Staat nimmt den Asylantrag entgegen, auch wenn in Italien, Polen oder sonst wo schon ein Asylantrag vorliegt.
Düringer: Das halbe Jahr ist sozusagen das heilige Datum. Die Schwierigkeit ist, dass sie nicht abtauchen dürfen, weil sich die Frist sonst auf 18 Monate verlängert. Aber sie müssen eben irgendwo sein, wo sie nicht von der Polizei abgeschoben werden. Wenn wir Menschen aufnehmen, schreiben wir den entsprechenden Behörden sofort, dass sie jetzt bei uns sind – und nicht untergetaucht.
In die Kirche kommt die Polizei nicht?
Düringer: Nein, das ist der Unterschied zur Flüchtlingsunterkunft.
Schell: In Hessen hat die Polizei noch nie in ein Kirchenasyl eingegriffen. In anderen Bundesländern schon. Oft bekommen wir Leute, denen bereits gesagt wurde, dass sie nachts unbedingt in der Unterkunft bleiben müssen. Für uns ist dann klar: Das ist die Androhung der unmittelbaren Abschiebung.
Die Geflüchteten sind also bis zu einem halben Jahr bei Ihnen?
Düringer: Mittlerweile ja. Die sechs Monate zählen ab der Mitteilung, dass sie nicht in Deutschland bleiben dürfen. Es kann sein, dass sie noch drei, vier Monate in Ruhe gelassen werden, aber immer mit dem Damoklesschwert, dass sie vielleicht abgeholt werden. Als Herr Seehofer noch Innenminister war, gab es mal eine Ausnahmephase. Da wurde die Zeit im Kirchenasyl als untergetaucht gewertet. In dieser Zeit mussten die Menschen 18 Monate aushalten. Wir hatten damals zwei junge Männer aus Eritrea für mehr als ein Jahr hier. Das war lang. Dafür braucht man viel Geduld und viele Personen, die sich kümmern, das schafft nicht jede Gemeinde.
Schell: Diese Regelung hat dazu geführt, dass etliche Gemeinden in Frankfurt am Main kein Kirchenasyl mehr ermöglichen konnten. Es gab dann nur noch uns und eine weitere Gemeinde. Vorher gab es mindestens zehn.
Düringer: Seehofers Regel wurde nach heftigen Klagen zurückgenommen. Mittlerweile gibt es wieder fünf Gemeinden in Frankfurt, die Kirchenasyl machen.
Warum hat das Kirchenasyl in Ihrer Gemeinde überlebt?
Schell: Wir haben eine sehr stabile Gruppe und gute Räumlichkeiten, aber viele haben nur die Sakristei oder einen Büroraum.
Wie viele können Sie unterbringen?
Schell: Vier Leute sind schon viel. Obwohl wir in der Gemeinde eine neunköpfige Gruppe sind. Aber wir müssen die Geflüchteten mit Essen versorgen, zu Ärzten begleiten, in psychischen Krisen da sein. Zweimal hatten wir Frauen mit sehr großen psychischen Problemen hier, bei denen wir Angst hatten, dass sie sich was antun. Da kamen wir an unsere Grenzen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Düringer: Die erste haben wir mit Hilfe ihrer Schwester, sehr intensiver Betreuung und auch mit von Ärzten verordneten Medikamenten einigermaßen über die Zeit bekommen.
Wie ging es mit der Frau weiter?
Schell: Sie hat eine Ausbildung zur Fußpflegerin angefangen, obwohl sie noch keinen Duldungsstatus hatte, und war plötzlich psychisch stabil – so weit sich das am Telefon einschätzen lässt.
Düringer: Die andere Frau mussten wir in eine psychiatrische Einrichtung bringen lassen und dort ist sie drei Wochen gewesen. Das war zu Beginn schwierig, weil wir uns Sorgen machten, dass sie dort von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden könnte. Aber jetzt hat sie eine Duldung und es geht ihr besser. Hin und wieder schreibt sie uns.
Wie sieht Kirchenasyl in der Gemeinde Cantate Domino genau aus?
Düringer: Wenn die Geflüchteten aus ihrer Unterkunft zu uns kommen, erklären wir ihnen erst mal, was Kirchenasyl bedeutet. Das heißt, dass sie in unseren Räumen und auf dem Gelände willkommen sind, Besuch von Freunden oder Verwandten empfangen können, aber sie eigentlich nicht allein rausgehen sollen. Denn sie haben ja keine gültigen Papiere – und können Pech haben.
Schell: Die Versorgung läuft zum Teil über die Tafel, den Rest kaufen wir ein. Und sie bekommen fünf Tage in der Woche eine Stunde Deutschunterricht. Das ist gut für die Integration und gibt dem Tag Struktur. Außerdem bekommt man so mit, wie es ihnen gerade geht. Viele kämpfen mit starken psychischen Schwankungen. Gerade wenn sie das Gefühl von Sicherheit bekommen, kommt oft erst hoch, was alles schiefgelaufen ist. Viele werden dann erst mal richtig krank.
Wie verbringen die geflüchteten Menschen sonst ihre Tage?
Schell: Sie schlafen viel, schauen Filme, spielen oder machen etwas anderes zusammen. Es gab auch welche, die genäht haben. Aber der Tag ist meist relativ leer und unstrukturiert.
Düringer: Manchmal holen wir sie zu Spaziergängen ab, laden sie in die Familien ein oder bringen ihnen schwimmen bei. Viele würden gerne irgendwas helfen. Richtig arbeiten dürfen sie aus Versicherungsgründen nicht. Aber sie freuen sich riesig, wenn wir sie fragen, ob sie uns mal bekochen möchten. Manche helfen auch bei der Tafel mit.
Wie machen sich Kulturunterschiede bemerkbar?
Düringer: Da gibt es eine nette Geschichte von unserem "Vorzeige"-Eritreer. Der konnte nicht kochen und musste zu Hause nicht mal seine Teetasse wegräumen, weil das die Frauen gemacht haben. Also haben wir ihm Kartoffelbrei, Pizza usw. beigebracht. Einmal stand er in der Küche neben mir und sagte: "Manchmal ist Kultur einfach nur scheiße." Das wurde dann unser Running Gag. Er war einer von denen, die das sofort gerafft haben und das auch lernen wollte.
Was macht er heute?
Schell: Er hat eine Ausbildung zum Altenpfleger gemacht und einen Job gefunden. Mit der Frau, die ihn immer besucht hat, ist er mittlerweile verheiratet.
Düringer: Er wohnt um die Ecke und schaut öfter nach den Leuten, die im Kirchenasyl sind.
Wer sind die Helfer?
Düringer: Wir sind neun Rentner*innen, darunter drei Lehrer*innen. Ich koordiniere zum Beispiel die Gruppe und halte den Kontakt zum Kirchenvorstand. Die anderen machen Unterricht, andere sorgen für Verpflegung. Wir alle machen auch Besuche, gehen mit zu Ärzt*innen und so weiter. Nicht alle Helfer*innen gehören auch zur Gemeinde. Gehörst du eigentlich zu uns, Rainer?
Schell: Ja, ich bin nur kein Kirchgänger. Kirchensteuer zahle ich trotzdem gern. Ich weiß, was ich alles damit aufrechterhalte. Die ganze Infrastruktur, die die Kirche noch trägt, ist für mich ein hoher gesellschaftlicher Wert. Wir haben auch einen katholischen Seelsorger in der Gruppe.
Sie waren Pfarrerin, Frau Düringer, und Ihr Mann war hier mal Gemeindepfarrer. Wie sehr hat das Kirchenasyl mit Ihrem Glauben zu tun?
Düringer: Es gibt so ein paar jüdisch-christliche Grundsätze, die an vielen Stellen in der Bibel stehen. Zum Beispiel: Ihr sollt Fremde nicht bedrängen, ihr sollt Arme, Witwen und Waisen nicht bedrängen. Das sind Aussagen, die zu meinem christlichen Glauben dazugehören. Das heißt nicht, dass mir das immer leichtfällt, mit Fremden umzugehen. Ich habe manchmal selbst Berührungsängste, wenn die Sprache nicht flutscht. Aber das sind Grundsätze, die müssen einfach gelten und die helfen auch in solchen Situationen.
Finden alle in der Gemeinde das Kirchenasyl gut?
Düringer: Offene Kritik kriegen wir nicht. Manchmal werden die Gemeinderäume für Familienfeste vermietet. Da kam es hin und wieder schon mal vor, dass jemand gefragt hat: Was machen die denn hier? Aber die Leute wissen, dass sie mit solchen Einstellungen kein offenes Ohr finden. Wer sich in unserer Gemeinde gegen die Geflüchteten stellt, mit dem muss geredet werden.
In den kommenden Jahren sollen drei von vier Kirchorten Ihrer Gemeinde Frankfurt-Nordwest wegfallen. Was bedeutet das für das Kirchenasyl?
Düringer: Das ist dadurch bedroht, aber mehr können wir noch nicht sagen.
Kirchenasyl und Gutmenschen
Ich bin arm und behindert, nach Impfschaden vor Jahrzehnten.
Und ich habe einen Kleingarten im Viertel der Reichen. Hier ist praktisch eine Zone ohne jeden Ausländer. Kein Südländer im Tennisverein, kein Schwarzer auf der Straße. Die können sich hier die Mieten - so wie ich auch - schlicht nicht leisten.
Hier wohnen aber die ganzen Pädagogen, Lehrer, Kirchgänger, Grünenwähler - also die ganzen Moralisten.
Und wenn die dann für die Zuwanderung sorgen, werfen die Leute in den Vierteln der Armen ab, lassen die da mit den Problemen alleine und nehmen sich dann einpaar Kirchenasylanten als Alibi und um sich selbst moralisch aufzuwerten.
Arme Leute wie ich und andere, werden systematisch weggemobbt, damit die Zone der Gutemenschen störungsfrei bleibt.
Das es nun alles ehemalige Beamte sind, die ja nicht in die Sozialsysteme einzahlen, die mit Tricks jeden reinbringen, der geht, das passt richtig gut ins Bild.
Dass auch durch die Zuwanderung, die soziale Situation der Menschen, die auf Hilfen angewiesen sind, immer prekärer wird, da ja keine Wohnungen gebaut werden und die Bereitschaft, die Sätze menschenwürdig zugestalten immer weiter sinkt, wenn die Belastungen der Kommunen und Länder immer weiter steigen.
Es stimmt schon, das mit den Kamelen und dem Nadelöhr. Im Paradies werden wir uns ganz sicher nihct treffen.
Denn es ist etwas anderes mit eigenen Mitteln anderen zu helfen, statt das Geld und die Lebenssituation anderen dafür zu verwenden und zu verschlechtern. Immer gerne den Wohlstand der anderen senken, wenn es einem richtig gut geht, bis sie nicht mehr wissen, was sie eigentlich zum essen einkaufen können, mit dem was nach Eurer Barmherzigkeit bei Leuten wie mir noch übrig ist.
Und dann sollen wir Müll und Abfall fressen, damit Ihr Euch noch mit Euren immer reicher werdenden Tafeln guttun könnt.
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können