Seit 2014 war Heinrich Bedford-Strohm Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hat die öffentliche Wahrnehmung der evangelischen Kirche entscheidend geprägt. Diese Woche gibt er sein Amt ab, und die Synode der EKD, das höchste Kirchenparlament, entscheidet am Dienstag und Mittwoch über die Nachfolge. Damit geht nicht nur eine turbulente Ratsperiode zu Ende mit dem Reformationsjubiläum 2017, den Herausforderungen durch Migration, Klimawandel und Pandemie, sondern auch eine Ära.
Claudia Keller
Heinrich Bedford-Strohm war auch chrismon-Herausgeber, und viele Leserinnen und Leser kennen seine Kolumnen und wissen, dass er politisch kein Blatt vor den Mund nimmt. Wenn es um Migration, Klimapolitik, Rechtspopulismus, soziale Ungerechtigkeit oder die Spaltung der Gesellschaft geht, bezieht er klar und deutlich für die Menschlichkeit Stellung - oft mit erkennbarer parteipolitischer Färbung. In seinem letzten Rechenschaftsbericht als Ratsvorsitzender forderte er am Sonntag, in der Klimapolitik "grundlegend" umzusteuern, bei der Bekämpfung der Pandemie die afrikanischen Staaten nicht zu vergessen und den Geflüchteten an der belarussisch-polnischen Grenze zu helfen. Sie müssten Zugang zu einem regulären Asylverfahren erhalten und menschenwürdig untergebracht werden.
Dass sich ein Bischof und noch dazu der höchste Repräsentant der Kirche so politisch positioniert, gefiel nicht jedem. Bedford-Strohm wurde mit Hass und Häme überschüttet, besonders als die EKD auf seine persönliche Initiative hin ein Schiff zur Rettung von Ertrinkenden ins Mittelmeer schickte. Er hielt das alles aus, stand zu seiner Meinung, mahnte und ermutigte unermüdlich. "Frommsein und Politischsein hängt eng zusammen", betonte er am Sonntag noch einmal. "Was auf den ersten Blick nur als politische Diskussion erscheint, ist in Wirklichkeit ein Ringen um gelebten Glauben, um gelebte Liebe, um gelebte Hoffnung." Wie sein Mentor, der frühere Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, tritt Bedford-Strohm für eine "öffentliche Theologie" ein und versteht die Kirche als selbstverständlichen Player in der öffentlich-politischen Arena.
Profilierter Sozialethiker
Auch seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird öffentlich intervenieren, wenn Menschenrechte verletzt werden, und sich für Klimaschutz engagieren. Aber unter den Kandidatinnen und Kandidaten ist niemand sozialethisch so profiliert, wie es Bedford-Strohm ist. Außerdem nimmt die Bedeutung der Kirchen ab, je mehr sich die Gesellschaft säkularisiert und die Kirchen Mitglieder verlieren. Was die Kirchen wollen und denken, interessiert die Politik und die Medien längst nicht mehr in dem Maße wie zu Beginn von Bedford-Strohms Amtszeit. Während der Pandemie wurde kaum wahrgenommen, was leitende Geistliche zu sagen hatten - was auch, aber nicht nur an den Kirchen lag.
Die Kirchen werden nach wie vor für ihr karitatives und soziales Engagement geschätzt. Sie sollen in existenziellen Krisen trösten und ihren Segen geben, wenn es etwas zu feiern gibt. Was genau die evangelische und die katholische Kirche unterscheidet, ist vielen Menschen kaum noch zu vermitteln, die Zukunft der Kirche wird ökumenisch sein. Das zeigen auch die neuen Gruppierungen und Gemeinschaften, die sich in allen Landeskirchen um die traditionellen Gemeinden herum bilden und "Erprobungsräume" heißen. Viele verstehen sich als christliche Initiativen und nicht mehr als dezidiert evangelisch, wie ein Studie des EKD-Forschungsinstituts midi ergeben hat.
Gewachsene Ökumene
Wie gut, dass der Ratsvorsitzende die Idee hatte, das Reformationsjubiläum 2017 als "Christusfest" zu feiern - zusammen und nicht in Abgrenzung mit den Katholiken. Das Jubiläumsjahr habe gezeigt, dass man Sperren und Abgrenzungen überwinden könne, sagte Bedford-Strohm am Sonntag. Die gewachsene Freundschaft zur katholischen Kirche gehöre zu den Höhepunkten seiner Amtszeit.
Zu den Tiefpunkten zählt wohl die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in der Kirche. Bevor Bedford-Strohm am Sonntag seinen Ratsbericht hielt, kritisierten Betroffene eerneut, dass die EKD ihnen nicht auf Augenhöhe begegne. Im Mai hatte die Kirche den Betroffenenbeirat aufgelöst, eine neue dauerhafte Form der Zusammenarbeit gibt es bisher nicht. "Wir sind manchen Schritt vorangekommen, aber nicht so weit, wie wir wollten", sagte Bedford-Strohm am Sonntag. Der Weg sei noch lang und man hoffe "verstärkt auf die Unterstützung von außerhalb der Kirche". Auf der Synode wird am Montagnachmittag über das Thema diskutiert - auch Betroffene werden teilnehmen.
Tiefgreifende Reformen
Wer Bedford-Strohms Nachfolge antritt, wird tiefgreifende Veränderungen in der Kirche vorantreiben müssen. Die Zahl der Kirchenmitglieder geht weiter zurück und damit das Kirchensteueraufkommen. Die Kirche muss sparen. Die Kirche müsse "da präsent sein, wo sich das Leben der Menschen abspielt, anstatt darauf zu warten, dass die Menschen sich in die vorgegebenen Strukturen begeben", rät Bedford-Strohm. Die Kirchengemeinden müssten vielfältiger werden, sich weiter öffnen und mit anderen zusammenarbeiten. Der 61-Jährige bleibt Landesbischof in Bayern und wird dort an seinen Worten gemessen werden.
Manche Zeitgenossen nervt es, dass Heinrich Bedford-Strohm so fröhlich und zuversichtlich ist. Die Fröhlichkeit ist nie aufgesetzt, seine Zuversicht nie billiger Optimismus. Beides speist sich aus einer tiefen Frömmigkeit, aus der christlichen Hoffnung, dass "mit Gott zu rechnen ist". Die Kirche wird noch viel Fröhlichkeit brauchen, damit das Sparen nicht in böse Verteilungskämpfe ausartet, das Wenigerwerden nicht nur als Abschied gesehen wird. Könnte sein, dass Heinrich Bedford-Strohm bald auch seinen Kritikern fehlen wird.