Patrick S. aus Leipzig fragt:
"Gerade in der Corona-Zeit ist es für uns als Familie eine Erleichterung, Essen über einen Lieferdienst zu bestellen. Wir haben natürlich von den schlechten Arbeitsbedingungen dort gehört und den Boten deshalb bewusst großzügig Trinkgeld gegeben. Zum Beispiel fünf Euro bei einem Betrag über 30 Euro. Macht das die Bestellung besser?"
Stefanie Schardien
Stefanie Schardien antwortet:
In der Theorie haben wir ein gutes Gespür: Was sind faire oder unfaire Löhne? Welche Arbeitsverhältnisse sind anständig oder prekär? Und in der Theorie sind wir auch gern diejenigen, die für die gute Seite der Macht streiten, niemanden ausnutzen, fair kaufen und angemessen zahlen. Nur leider ramponiert allzu oft der Alltag diese schöne Theorie und unser Selbstbild. So wie bei Ihnen, wenn im Homeschooling-Stress die hungrige Familie doch Lieferdienste nutzt. Die Lücke zwischen Ihren moralischen Ansprüchen und der pandemischen Erschöpfung versuchen Sie nun mit fünf Euro zu füllen.
Je nachdem, von welcher Seite Sie auf Ihr Tun schauen, entdecken Sie unterschiedliche Nuancen: Von den Ansprüchen her betrachtet fördert die Bestellung bei Lieferdiensten, Trinkgeld hin oder her, prekäre Arbeitsverhältnisse und belastet die abkassierte Gastronomie. Von den Bedingungen der Realität her gedacht, lindern Sie neben Ihrem Hunger mit dem Trinkgeld zumindest geringfügig den schlechten Verdienst der Mitarbeitenden und signalisieren Ihren guten Willen. Die Moral von der Geschicht haben Sie vermutlich auch schon im Gespür: So wenig Lieferdienst wie möglich und stattdessen beim Abendspaziergang selbst beim Wirt des Vertrauens abholen. Und zur Not im anderen Fall so viel Trinkgeld wie möglich für den Kurier.