Andererseits: Aus-geliefert
Kati Szilagyi
Aus-geliefert
Stefanie Schardien, Pfarrerin in Fürth und "Wort zum Sonntag"-Sprecherin, beantwortet für chrismon jeden Monat kniffelige Lebensfragen.
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26.05.2021

Patrick S. aus Leipzig fragt: 

"Gerade in der Corona-Zeit ist es für uns als Familie eine Erleichterung, Essen über einen Lieferdienst zu bestellen. Wir haben natürlich von den schlechten Arbeitsbedingungen dort gehört und den Boten deshalb bewusst großzügig Trinkgeld gegeben. Zum Beispiel fünf Euro bei einem Betrag über 30 Euro. Macht das die Bestellung besser?"

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Stefanie Schardien

Stefanie Schardien wurde 1976 in Dortmund geboren und wuchs in der Herzlichkeit des Ruhrgebiets auf. Studium und Beruf führten sie an mehrere Orte: nach Heidelberg, Toronto und Bochum, zum Vikariat nach Hattingen/Ruhr, mit einer Juniorprofessur für Systematische Theologie an die Universität Hildesheim und als Kindergottesdienstpfarrerin nach Nürnberg Als Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern arbeitet sie seit 2016 im Team der Kirchengemeinde St. Michael in der Fürther Altstadt. Für Stefanie Schardien verbinden sich an diesem Ort die besten Eigenschaften von "Citykirche und Dorfgemeinde": "Die Gemeinde hat einen fröhlichen weiten Geist, der viel Kreativität ermöglicht; und gleichzeitig kennt man sich und kümmert sich umeinander." Den Sinn ihrer Arbeit sieht sie darin, gemeinsam den religiösen Fragen nachzugehen und die Antwortversuche des Glaubens zu übersetzen. Und dabei immer wieder auch von der christlichen Freiheit zu erzählen. "Denn die kann es mit all der Angst aufnehmen, die im Moment geschürt wird." Schardien ist überzeugt, dass viele Menschen großes Interesse an Themen haben, mit denen sich Theologie und Kirche beschäftigen. Darum verlässt sie auch gern einmal die Kirchenmauern: Seit langem ist sie für das Radio tätig, aktuell mit Evangelischen Morgenfeiern auf BR 1, und engagiert sich als Präsidiumsmitglied beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.

Stefanie Schardien antwortet:

In der Theorie haben wir ein gutes Gespür: Was sind faire oder unfaire Löhne? Welche Arbeitsverhältnisse sind anständig oder prekär? Und in der Theorie sind wir auch gern diejenigen, die für die gute Seite der Macht streiten, niemanden ausnutzen, fair kaufen und angemessen zahlen. Nur leider ramponiert allzu oft der Alltag diese schöne Theorie und unser Selbstbild. So wie bei Ihnen, wenn im Homeschooling-Stress die hungrige Familie doch Lieferdienste nutzt. Die Lücke zwischen Ihren moralischen Ansprüchen und der pandemischen Erschöpfung versuchen Sie nun mit fünf Euro zu füllen.

Je nachdem, von welcher Seite Sie auf Ihr Tun schauen, entdecken Sie unterschiedliche Nuancen: Von den Ansprüchen her betrachtet fördert die Bestellung bei Lieferdiensten, Trinkgeld hin oder her, prekäre Arbeitsverhältnisse und belastet die abkassierte Gastronomie. Von den Bedingungen der ­Realität her gedacht, lindern Sie neben Ihrem Hunger mit dem Trinkgeld zumindest geringfügig den schlechten Verdienst der Mitarbeitenden und signalisieren Ihren guten Willen. Die ­Moral von der Geschicht haben Sie vermutlich auch schon im Gespür: So wenig Lieferdienst wie möglich und stattdessen beim Abendspaziergang selbst beim Wirt des Vertrauens abholen. Und zur Not im anderen Fall so viel Trinkgeld wie möglich für den Kurier.

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