Frauen in der Corona-Pandemie
Social distancing or physical distancing is a set of nonpharmaceutical infection control actions intended to stop or slow down the spread of a contagious disease. Strict new curbs on life in the UK to tackle the spread of coronavirus.
Basak Gurbuz Derma/Getty Images
"Schlaflosigkeit ist ein Warnsignal"
Frauen leiden psychisch stärker unter der Corona-Pandemie als Männer. Die Psychiatrie-Chefärztin Birgit Janssen erklärt, warum. 
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
19.05.2021

chrismon: Frauen schlägt die Pandemie auf die Seele. 2020 meldeten sich sehr viel mehr Frauen als Männer wegen psychischer Probleme krank. Ist das ungewöhnlich?

Birgit Janssen: Frauen waren auch vorher anfälliger für psychische Krankheiten, insbesondere für Depressionen. Daran erkranken sie doppelt so oft wie Männer. In der Pandemie hat sich das aber noch verschärft. Das ist kein Wunder, denn die Frauen tragen die Hauptlast. 

Inwiefern?

Sie sind in vielen Bereichen näher dran. Frauen arbeiten häufiger in Berufen, die jetzt kein Homeoffice machen können: in der Pflege, an der Supermarktkasse, beim Friseur. Sie arbeiten mit Ansteckungsgefahr, tragen dauerhaft Maske, Kolleg:innen müssen teilweise auf gemeinsame Pausen verzichten. Für viele Frauen aber ist der Austausch mit anderen sehr wichtig, gerade in so einer Krisensituation.   

Alexandra Kaschirina/LVR-Klinik Langenfeld

Birgit Janssen

Prof. Dr. Birgit Janssen, geboren 1964, ist Psychiaterin. Sie ist Chefärztin und stellvertretende ärztliche Direktorin in der LVR-Klinik Langenfeld (Rheinland), einer Klinik für Psychiatrie und Neurologie.

Was ist mit den Frauen im Homeoffice, mit Rentnerinnen und Arbeitslosen?

Die Alleinlebenden haben oft tagelang niemanden zum Reden. Sie vermissen die kleinen Begegnungen, "By the way"-Gespräche, die sich sonst auf der Arbeit, im Fitnessstudio oder beim Abholen in der Kita einfach so ergeben. Aber Frauen sind kreativ, sie nutzen Videocalls, verabreden sich zum Spaziergehen. Manche ziehen mit ihrem Computer zeitweise zu ihren Eltern oder einer guten Freundin und arbeiten von dort aus weiter.

Frauen mit Familie leiden sicher nicht an zu viel Alleinsein ...  

Na ja, eine Mutter, die mit drei Kindern zu Hause ist, vermisst auch den Kontakt zu anderen Erwachsenen. Mütter sind ohnehin diejenigen, die in der Pandemie am stärksten gefordert sind. Sie haben meist sowieso schon die Doppelbelastung, das spitzt sich jetzt zu. Die Kinder sind seit über einem Jahr nur unregelmäßig oder gar nicht in Schule und Kindergarten. Die Mütter sind dauerhaft am Organisieren, Betreuen und Unterrichten. Die Hausarbeit nimmt zu, weil alle immer zu Hause sind. Zudem haben sie oft existenzielle Sorgen: Manche haben Jobs, die ihnen jetzt wegbrechen. Gleichzeitig sind vielleicht auch die Jobs der Partner gefährdet. 

Mütter mit größeren Kindern haben es aber etwas leichter.

Nicht unbedingt. Viele von ihnen sorgen sich zurzeit sehr um ihre jugendlichen Kinder, die viel vor dem Bildschirm sitzen. Sie fürchten, dass diese vereinsamen, den Anschluss in der Schule verlieren, onlinesüchtig werden. Sie bemühen sich, das zu kompensieren. Gutes selbst gekochtes Essen, drei Mahlzeiten am Tag, intensive Gespräche, Unterstützung in der Schule.   

Das ist doch aber auch notwendig. Einer muss ja die Struktur vorgeben.

Wir müssen alle heil durch die Pandemie kommen, auch die Mütter selbst. Sie sollten überprüfen, ob ihre Ansprüche überhaupt erfüllbar sind. Wenn sie diesen nur hinterherhetzen, entwickelt sich eine ungute Dynamik, die krank machen kann. Ich sehe, was ich nicht schaffe. Es kratzt an meinem Selbstwertgefühl. Gleichzeitig strenge ich mich immer mehr an, gönne mir keine Pausen. Das Denken dreht sich immer mehr um die Probleme. Ich schlafe unruhig, wache früh auf, mit dem Gedanken: Oh je, wie sollen wir das heute wieder hinkriegen?

"Die Väter müssen mit ins Boot, wenn sie das noch nicht sind"

Führt das dann in eine Depression?

Das muss es nicht, aber es kann. Vor allem Schlaflosigkeit ist ein Warnsignal. 

Wie soll man dem vorbeugen?

Stoppen Sie die Selbstvorwürfe. Klopfen Sie sich auf die Schulter, wie Sie das alles hinkriegen, trotz dieser schwierigen Bedingungen. Wir sollten akzeptieren, dass es jetzt eben so ist: eine Ausnahmesituation, in der nicht alles so gut laufen kann wie sonst. Alle Kinder sind jetzt mehr am PC, es ist fast unmöglich, das zu verhindern. Machen Sie als Familie was Schönes zusammen, spielen Sie eine Runde, erzählen Sie sich Witze auf einem Spaziergang, das entspannt alle. Und: Planen Sie eine Stunde am Tag nur für sich ein: joggen im Wald, ein Bad in der Wanne, im Schlafzimmer ein Hörspiel hören – die Tür bleibt dann mal zu. 

Und wenn sie wieder aufgeht, muss ich doppelt so schnell kochen ...

Die Väter müssen mit ins Boot, wenn sie das noch nicht sind. Fragen Sie auch Freunde oder Nachbarn, ob diese ihnen die Kinder mal für ein paar Stunden abnehmen. Und: Was spricht dagegen, dass sich jeder abends einfach ein Käsebrot schmiert? Oder man sich mal was von Imbiss holt? 

Was können Frauen aus dieser Krise lernen, damit sie auch hinterher psychisch gesund bleiben? 

Familienalltag ist auch außerhalb einer Pandemie anstrengend. Regelmäßige Zeit für mich hilft auf jeden Fall dabei, psychisch gesund zu bleiben. Frauen sollten das jetzt einüben – und unbedingt beibehalten, was ihnen daran gefällt. Auch wenn die Familie das nicht so toll findet, die gewöhnt sich daran.
Was mich besorgt: In vielen Familien haben sich wieder traditionelle Rollen eingeschlichen. Etwa wenn Vater und Mutter im Homeoffice sind: Der Mann sitzt dann im Arbeitszimmer, die Frau hat ihren Laptop auf dem Küchentisch stehen und betreut nebenbei die Kinder. Die Frauen müssen unbedingt aufpassen, dass sie die Kurve kriegen und die Familienarbeit mit dem Mann gerecht aufteilen. Wer macht pünktlich Schluss und holt das Kind von der Kita ab? Wer bleibt zu Hause, wenn es krank ist? Dieses Mal sind wir ziemlich hineingestolpert in die Pandemie. Aber wir sollten schauen, dass wir insgesamt eine Rollenaufteilung hinkriegen, dass nicht die Frauen immer die sind, die die Hauptlast tragen. 

Wie wird es uns - Männern und Frauen - nach der Pandemie psychisch gehen? 

Ich erwarte, dass es mehr psychische Erkrankungen geben wird, sobald die wirtschaftlichen Folgen deutlicher werden. Einige Menschen müssen ihre Läden schließen, werden arbeitslos, verlieren Geld und Perspektiven. Wenn Lebensentwürfe zusammenbrechen, hat das psychische Folgen, das habe ich etwa bei Massenentlassungen großer Firmen erlebt. Wir werden das auch noch spüren.

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Ich kann alles nachvollziehen, was in diesem Artikel beschrieben wird. Ich leide seit vielen Jahren unter Schlaflosigkeit und auch an Depressionen und auch Ärzte konnten mir nicht helfen. Aufgrund der Corona Panmie wird alles nur noch schlimmer und manches Mal weiss man bald keinen Ausweg mehr