Allein, allein
Viele Eltern und ihre Kinder sind am Ende. Es wird Zeit für ein Pandemie-Elterngeld - einkommensunabhängig
Tim Wegner
02.02.2021

In Deutschland leben rund 6,1 Millionen Familien mit Kindern im Kita- und Grundschulalter, viele davon sind alleinerziehend. Und auch Kinder in der 5. oder 6. Klasse lernen noch nicht selbstständig vor dem Computer. Mit anderen Worten: In weit mehr als sechs Millionen Haushalten liegen die Nerven blank. Es wird geflucht, geschimpft, gebrüllt, jeden Tag.

Was tun? Wenigstens die Grundschulen und Kitas öffnen? Das ist vielleicht wirklich zu gefährlich, solange wir noch wenig darüber wissen, wie schnell sich die Virus-Mutanten ausbreiten. Wobei: Warum setzt man nicht alles daran, Corona-Schnelltests in diesem Bereich konsequent einzusetzen?

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Nun gut, also: alles zu, nur Notbetrieb. Ein zynischer Begriff übrigens, denn was ist Not? Ist es nicht auch Not, wenn eine Mutter tagsüber allein mit einem Baby zu Hause ist, der Fünfjährige aber aus Langeweile die Wände hochgeht? Ist es Not, wenn beide Eltern daheim arbeiten müssen, aber drei Kinder nebenher beschult werden müssen? Unstrittig ist, dass Betreuung braucht, wer in Berufen arbeitet, die das Leid in dieser Pandemie unmittelbar auffangen oder ohne die nichts läuft – Pflegekräfte, Ärztinnen, Kassierer und so weiter. Aber was ist mit den anderen?

"Wie, die ist doch zu Hause, warum bringt die ihr Kind in die Kita?"

Über alles andere müsste die Politik - ja, streiten. Aber viele Parlamentarier:innen stehen selber im Abseits, weil die Exekutive alle Macht an sich reißt. Also bestimmen die Eltern selber, was Not ist. Jeder gegen jeden. "Wie, die ist doch zu Hause, warum bringt die ihr Kind in die Kita?" - Das hört man auf Spielplätzen. Die sind, anders als im Frühjahr, nicht mit Flatterband versperrt, immerhin.

Was würde Eltern und Kindern nun also helfen? Zum Beispiel eine empathische Lehrerin, die in Mails schreibt: "Sie müssen nicht alles schaffen, der Familienfrieden ist wichtiger!" Aus den Kultusministerien kommen derlei Signale nicht, es geht einfach weiter mit dem Stoff, nach Lehrplan. Das ist eine Frechheit. Also: Pläne entrümpeln und auf das Wesentliche reduzieren.

Auch Geld hilft. Nicht jeder Arbeitnehmer kann zur Personalabteilung gehen und sagen: "Ich bin dann mal weg, ich mache Kinderbetreuung mit Kinderkrankenschein." Geht zwar, zehn Tage extra pro Kind, führt aber erstens zu Verdienstausfällen. Und mittelfristig vielleicht dazu, bei der nächsten Beförderungswelle als unverlässlicher, wenig engagierter Kantonist zu gelten oder, im schlimmsten Fall, rauszufliegen.

"Zeit für ein Pandemie-Elterngeld!"

Und, liebe Väter, mal ehrlich und am Rande bemerkt: Es ist dreist, wie sehr sich die meisten Männer aus der Affäre ziehen und einfach weiterarbeiten. Sie sehen zu, wie Mütter ihre hart erkämpfte Beteiligung in der Arbeitswelt in einem Jahr verspielen. Zur Erinnerung: 2018 waren in Deutschland 76 Prozent der Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig, das sind fast zehn Prozentpunkte mehr als zehn Jahre davor. Das war gesellschaftlich gewollt, und nun geht’s dahin? Ach ja, und das würde auch helfen: verlässliche Zahlen. Liebe Techniker-Krankenkasse, du bist die größte im Land - ermittle doch mal, wie viele oder wenige Anträge auf Kinderkrankengeld derzeit von Vätern kommen. 

Zeit ist jetzt außerdem für ein auskömmliches, einkommensunabhängiges Pandemie-Elterngeld. Weil sonst eh nur die Mütter zu Hause bleiben, die in der Regel weniger verdienen. Arbeitgeber müssen rechtlich verbindlich dazu verpflichtet werden, Eltern freizustellen, dazu ein üppiger, post-pandemischer Kündigungsschutz. Mit Deckelung, klar, Einkommens- oder Vermögensmillionäre brauchen kein Elterngeld. Aber alle anderen.

Es würde vielen das Leben erleichtern. Und wäre eine überfällige Anerkennung von Familienarbeit, deren Geringschätzung sich in diesen Zeiten durch die Annahme ausdrückt, dass Arbeit, Kinder, Schule und Hausarbeit sich doch, bitteschön, ganz einfach unter einen Hut bringen lassen. Das ist aber falsch.

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