Illustration einer Hand, die nach einem Glas Rotwein greift
"Wenn ich mich erinnere, dann weiß ich: an dem Punkt will ich nie wieder sein"
Judith Neuling
Alkoholismus
"Ich hab’ das unter Kontrolle!"
Alkoholsucht beginnt schleichend. Das macht sie so gefährlich. Maria Zeidler weiß das jetzt auch, in der Rückschau
Privat
Judith NeulingPrivat
Aktualisiert am 10.07.2025
11Min

Es gab einen Punkt, da ging gar nichts mehr. Maria Zeidler* war oft zu schwach, um einzukaufen, um die Treppe im Haus hoch und runter zu laufen, wo sie eine Mietwohnung im ­zweiten Stock hat. Sie aß wenig, litt unter Durchfällen. Dazu immer wieder Kribbeln in den Beinen, Taubheitsgefühle, die Symptome einer Nervenkrankheit. Sie kümmerte sich nicht um ihren Haushalt, ließ schmutzige Teller und Gläser rumstehen. Sie sah kaum noch Leute, zog sich in sich selbst zurück, nur dass dieses Selbst keinen Halt mehr gab.

"Meine Söhne haben die Reißleine gezogen und mich zu meinem Hausarzt geschleppt", sagt die 68-Jährige. Der Arzt stellte die Diagnose: Alko­holismus und Depressionen. Er riet zu einem Entzug, so schnell wie möglich. Drei Wochen dauerte der Entzug in einer Hamburger Klinik, das war im Februar 2018. "Der Alkohol wurde ­sofort auf null gesetzt, es ging mir körperlich von Tag zu Tag besser. Da war nicht mehr dieser verdammte Druck zu trinken, der mich so fertiggemacht hatte, weil ich kaum noch an etwas anderes denken konnte. Ich war selbst erstaunt, dass es mir so leicht fiel." Seit mehr als zwei Jahren ist sie trocken.

Maria Zeidler hat rot gefärbte Haare und eine tiefe Stimme. Sie lacht gern, manchmal muss sie husten, das sind die Zigaretten. Noch so eine Baustelle in ihrem Leben, die sie irgendwann angehen will. Nach dem Entzug hat sie deutlich zugenommen, den ­Alkohol durch Vollmilchschokolade ersetzt. Eine vergleichsweise harmlose Droge, findet sie – "lieber eine Tafel Schoki als drei Gläser Wein".

Wie konnte ihr das passieren?

Die Hamburgerin wohnt schon lange in diesem ruhigen Viertel nicht weit vom Stadtzentrum, ein Backsteinhaus aus den 50er Jahren, um die Ecke ein Kanal, der zu Spaziergängen einlädt. Ihre Dreizimmerwohnung mit den Holzdielen ist gemütlich, hier wohnt sie allein, seit ihr Mann vor zehn Jahren gestorben ist. Mit dem ersten Mann, dem Vater ihrer beiden Söhne, hat sie keinen Kontakt.

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