Standpunkt - Kostbarer als Diamanten
"Es hilft, die eigenen Launen nicht so ernst zu nehmen. Und vor allem, sie nicht ungefiltert am Partner auszulassen"
Tatjana Prenzel
Liebe und Beziehungen
Kostbarer als Diamanten
Eine lange Liebe ist viel wert. Damit sie hält, braucht es keine teuren Geschenke, sondern Zuwendung, Respekt und einen wohlwollenden Blick
Werner BartensPrivat
Aktualisiert am 29.08.2024
6Min

Endlich wollte sich das Paar einen Abend zu zweit gönnen. Seit Jahren waren sie kaum dazu gekommen, die Kinder zu klein, die ­Erschöpfung zu groß. Doch jetzt war der Babysitter organisiert, die Zaubervorstellung gebucht. Noch zehn Minuten, bisher war er nicht zu sehen. Mit dem Gong zur Vorstellung ging sie in das Zelt, allein. Voller Wut konnte sie das Varieté kaum genießen. Zu Hause dann Entschuldigungen und die Beteuerung, dass so etwas nie mehr vorkommen würde. Er bat um Verzeihung, sie war verletzt. Am nächsten Tag brachte er einen Armreif und Blumen für sie mit.

Halt, Stopp, Schnitt – so nicht. Wenn Paare in die Jahre kommen und etwas schiefläuft, ist der Frust groß. Doch als Rettungspaket für die ­lange Liebe braucht es keine teuren ­Geschenke. Hilfreicher wäre etwas Kostbareres: ein Freundlichkeitsangriff mit Zeit und unbedingtem Wohlwollen. Am ersten Tag wird der Partner überrascht sein von der un­erwarteten Verwöhnattacke, am zweiten die Zuneigung genießen – und am dritten nicht anders können, als liebevoll zu reagieren.

Damit dies gelingt, haben wir ­unsere körpereigene PR-Abteilung praktischerweise zwischen den ­Ohren. Wie ich die Partnerin sehe, hängt von meiner Einstellung ab. Es geht um die Nuancen in der Wahrnehmung des anderen. "Sie ließ sich beizeiten von ihm scheiden, weil er Witze um die entscheidende Nuance zu langsam erzählte", lautet ein Bonmot Kurt Tucholskys über den Niedergang einer Ehe. Aus einer charmanten Eigenschaft wird eine Marotte, dann eine Macke, schließlich ein Ärgernis.

Und da man schon dabei ist, sich in eine Abwärtsspirale aus Nörgelei hineinzusteigern, werden hässliche Bilanzen erstellt: Dann überwiegen die Probleme. Hinzu kommt die des­truktive Frage: Geht das nicht schon viel zu lange so? Der "innere Scheinwerfer" ist nur noch auf das gerichtet, was nicht klappt. Beide ziehen sich zurück und ein Streit lässt sich aus den Satzbausteinen "Nie machst du" und "Immer willst du" zusammensetzen.

Hat man sich die Negativbrille einmal aufgesetzt, fällt einem vor allem auf, was der Partner nicht kann, nicht hat. Wer den Partner oder die Partnerin so unfair bewertet, hat vergessen, warum er sich einst für sie oder ihn entschieden hat. Vielleicht fand sie damals gerade das so attraktiv und witzig, was ihr heute auf die Nerven geht? Zudem ist es geradezu absurd, dass Menschen erst nach fünfzehn Jahren Ehe auffallen sollte, dass ihr Partner schweigsam, handwerklich ungeschickt oder was auch immer ist. Vermutlich konnte er auch früher ­keinen Nagel in die Wand schlagen.

In einer Partnerschaft sollten sich beide auf das besinnen, was sie aneinander haben. Hilfreich ist eine Übung, die vielen Paaren schwerfällt: Man sagt sich, was man aneinander gut findet: "Ich finde es gut, wie ­offen du auf andere zugehst." Oder: "Ich mag es, dass du dich nicht leicht unter­kriegen lässt." Das ist zwar keine feurige Liebeserklärung, aber Balsam auf die Seele dessen, der ihn hört.

Kommen hingegen alle Probleme geballt auf den Tisch, droht der ­Partner von den Vorwürfen er­schlagen zu werden – und geht in ­Deckung. Beide stehen sich gegenüber wie im Duell. In diesem Zustand ist ein hilfreiches Gespräch kaum möglich. Um Schwierigkeiten zu ­meistern, müssen beide respektvoll miteinander um­gehen und vermitteln: Ich sehe dich, ich höre dich. Dann ist es möglich anzunehmen, was den ­anderen bewegt, und sich nicht sofort angegriffen zu fühlen. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass man nur ­einen einzigen Menschen ändern kann – und zwar sich selbst. Das ist banal und doch schwer umzusetzen.

Lesen Sie hier: Ein Paartherapeut erklärt, worauf es beim Streiten in einer Beziehung ankommt

Es ist beeindruckend, was man bewirken kann, wenn man als gutes Beispiel ­vorangeht. Der Partner oder die Partnerin wird sein Verhalten auch bald ­ändern. Etliche Studien zeigen, dass die Zufriedenheit in der Partnerschaft auch dann steigt, wenn nur eine ­Seite die Initiative ergreift. Das eigene Verhalten freiwillig zu ändern, hat erfreuliche Nebenwirkungen. Es zeigt einerseits, wie leicht das geht und vermittelt andererseits das wichtige Gefühl, nicht hilfloses Opfer im Beziehungsknatsch zu sein.

Dazu gehört auch, Alltagsrou­tinen zu hinterfragen. Es ist ein verständlicher Wunsch: sich zu Hause so verhalten zu können, wie man es möchte. Sich gehen lassen. Wenn beide den Jogginghosen-Look schön finden, okay. Oftmals stört sich aber einer der Partner daran und fasst es nicht als legeren Stil, sondern als ­Respektlosigkeit auf. Ähnlich ist es im Gespräch. Wenn einer den anderen nicht mehr ausreden lässt, ist das ein Zeichen dafür, dass die Aufmerksamkeit gegenüber dem Partner oder der Partnerin nachlässt.

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Liebe ist das untrügliche Gefühl, dass der Partner die Eigenschaften schenkt, die man an sich selbst vermißt.