Freitagmittag in einem trubeligen Café in der Düsseldorfer City. Hier treffen voll bepackte Shopping-Mädels auf hippe Männerdutt-Träger und fachsimpeln über den perfekten Café cortado. Hätten wir Jens Jüttner hier als jungen Mann getroffen, wäre er ganz sicher gewesen: "Die tuscheln hier alle über mich." Mit Mitte 20 erkrankte der Jurist an paranoider Schizophrenie mit einem besonders schweren Verlauf. Hörte Stimmen, fühlte sich von Geheimdiensten verfolgt. Zehn Jahre Leidensweg, Alptraum.
Aber Jüttner ist jetzt Mitte 40, und er ist so gut wie gesund. Ein Baum von Kerl, Vollbart und große blaue Augen, junger Vater, Science-Fiction-Autor. Bald kann er vielleicht sogar ohne Tabletten leben, die Krankheit schwächt sich mit dem Alter ab. Hormone, Stoffwechsel, so genau weiß man das gar nicht. Sicher ist nur: Die meisten erkranken Anfang 20, ein Drittel versucht, sich das Leben zu nehmen. "Ich wollte immer leben ", sagt Jüttner. Im übelsten Zustand nahm er sich vor: "Die nächsten 15 Minuten überstehst du." Es wurde schlimmer. "Ok, die nächsten sieben Minuten." Er hat es geschafft, er kam da raus, und damit will er akut Erkrankten Mut machen: Er hat ein Buch geschrieben.
Jens Jüttner
Jüttner führt bis 26 ein unspektakuläres Leben. Vater Romanist, Mutter Lehrerin, das Jurastudium fällt ihm leicht. In der Uni-Bibliothek tritt zum ersten Mal eine "Wahrnehmungsverschiebung" auf. Der Student fängt an, alles auf sich zu beziehen: Dieser Kommilitone – warum setzt der sich an meinen Tisch? Jene hübsche Studentin – die will doch was von mir? Es wird immer bedrohlicher. Die Zeitung berichtet über den "Bär Bruno", Jüttner glaubt, das sei ein Codewort für ihn. Er befürchtet, via Fernseher und versteckte Kameras abgehört zu werden, setzt zur Abwehr einen Stoffhasen vor den Bildschirm. Kurz darauf wird im Radio ein Hase erwähnt. Bingo! Die hören mich ab!
Ziemlich sicher ist ein Joint der Auslöser, ein, zwei Mal habe er gekifft. Mehr nicht. "Wäre es nicht der Joint gewesen, hätte vielleicht Stress die erste Psychose ausgelöst."
"Ich bin dankbar für mein neues Leben"
Jüttner schafft trotz Krankheit das zweite Staatsexamen und arbeitet bei einer angesehenen Wirtschaftsprüfungskanzlei. Allerdings: "Ich habe da fast nur vor mich hingestarrt." Für ihn war es eine Erlösung, als nach einem schmerzhaften Weg durch mehrere psychiatrische Kliniken die Diagnose stand: arbeitsunfähig im Beruf des Rechtsanwaltes. Und auch die Scheidung von seiner Frau, schon für gesunde Menschen oft traumatisch, klingt – nicht verzweifelt, sondern vernünftig. Sie hielt es irgendwann nicht mehr aus, dass ihr Mann schwankte zwischen Wahnvorstellungen und kompletter Antriebslosigkeit, dass er 60 Kilo zunahm, am Ende nicht mal mehr das Kind von der Kita abholte wie vereinbart.
Jüttner hat seinen Frieden gemacht mit der Krankheit, auch die Kilos ist er fast alle wieder losgeworden, vor allem durch Walking und Aqua-Gymnastik. Das Glück im Wasser genießt er so, dass er Bademeister wird und eigentlich das Thema Krankheit abhaken wollte. Aber jetzt verbreitet sich das Buch rasant bei Erkrankten und ihren Familien, Jüttner referiert bei den Psychiatrie-Gesprächen der Düsseldorfer Diakonie.
Inzwischen ist es draußen auf der Kö zum Brechen voll, und Jüttner deutet vom Cafétisch aus grüßend auf eine Frau mitten im Gewimmel. Oh weh, ob er jetzt doch . . . "Das ist eine unserer Kandidatinnen für die Kommunalwahl", erklärt er, alles gut, er hat nicht etwa "Symptome". Und wenn doch? "Ab nach Hause. Absolute Ruhe, Medikament hoch dosieren." Er könnte hadern, er sieht ja, wie die Ex-Kommilitonen die Welt bereisen, Kanzleien betreiben. "Aber ich weiß doch gar nicht, wie mein Leben als Anwalt geworden wäre." Und, das nimmt man ihm direkt ab: "Ich bin dankbar für mein neues Leben."
Jens Jüttner: "Als ich aus der Zeit fiel. Mein Weg durch die paranoide Schizophrenie" (pinguletta, 13,90 Euro)
Vorwort: Prof. Joachim Cordes, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf.