Mit Slow Fashion
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Studio Käfig
Mit Slow Fashion gewinnen alle
Secondhand, geliehen, fair produziert: Susanne Breit-Keßler schreibt, wie man sich mit gutem Gewissen modisch kleiden kann. Auftakt einer Serie über gutes Leben, das die Umwelt schont.
09.10.2019

Aua! Meine alten, blauen Pumps drücken wie verrückt auf den großen Zeh. Mehr als eine halbe Stunde kann ich nicht mehr auf ihnen stehen. Was tun? Ganz klar – ich brauche neue Schuhe. Auf in den nächsten Schuhladen! Aber aufgepasst: Auch wenn ich unbedingt bequemere Fußbe­kleidung benötige, soll die Umwelt unter meinen Bedürfnissen nicht leiden. Weder ökologisch noch sozial. In der Be­kleidungsindustrie gibt es viele schwarze Schafe, die immer noch nicht auf Umwelt und Menschenrechte bei der Produktion von Kleidung und Schuhen achten.

privat

Susanne Breit-Keßler

Susanne Breit-Keßler war viele Jahre lang feste Autorin für chrismon, vor allem mit ihren Kolumnen "Im Vertrauen" und "Mahlzeit". Bis 2019 war sie Regionalbischöfin des evangelischen Kirchenkreises München-Oberbayern. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie bei der Süddeutschen Zeitung und beim Bayerischen Rundfunk. Mehrere Jahre sprach sie "Das Wort zum Sonntag" in der ARD. Sie war bereits Autorin des chrismon-Vorläufers "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt".

Und die Konsumenten? "Billig und viel" scheint das Motto zu sein. In Deutschland wird jedes fünfte Kleidungsstück laut Greenpeace so gut wie nie getragen. Mitverantwortlich für "Fast Fashion" – ähnlich geschmacklos wie "Fast Food" – sind Sendungen wie "Shopping Queen", "Germany’s Next Topmodel" und viele Influencerinnen auf Instagram oder Youtube. Sie propagieren ­immer den neuesten Trend – und dieser ­wankelmütigen Gottheit muss das ­Alte ge­opfert werden. "Kleider machen Leute" – natürlich nur neue Outfits, die einen zum It-Girl oder Mann im In-Style machen.

Die Nachhaltigkeitsserie

Folge 1: Mode Secondhand Folge 2: Gut kochen und die Umwelt schonen Folge 3: Möbel, die lange halten

Abgesehen davon, dass kein Mensch selbstbewusster wird, bloß weil er jeden modischen Hype mitmacht: Fast Fashion ist rücksichtslos. Dann, wenn Produzenten Wasser vergiften, Pestizide ausbringen, Näherinnen mies bezahlen. Wenn sie nicht auf Arbeitssicherheit achten und darauf, dass Mitarbeiter menschen­würdig behandelt werden. Wem andere und ihre Rechte gleichgültig sind, der sollte wenigstens das Thema Fluchtursachen im Kopf haben. Ein Leben auf Kosten anderer wird dazu führen, dass immer mehr Flüchtlinge bei uns das Paradies suchen.

Dabei ist Slow Fashion für alle ein Gewinn. Am besten ist, sich Gebrauchtes zuzulegen. Wer seine alten Sachen weiterträgt statt neue zu ­kaufen, spart pro Kilo Kleidung 3,5 Kilo CO2-Emissionen – so viel, wie ein durchschnittliches Auto ausstößt, wenn es 26 Kilometer fährt. Bei Kleidertausch- oder Geschenkbörsen, die man schnell im Internet findet, gibt es attraktive Secondhandware. Spitzenmäßig finde ich die Möglichkeit, bei speziellen Firmen wie "Kilenda" ­Kinderkleidung auszuleihen. Die Kids, das zeigen Erfahrungsberichte, haben Riesenspaß daran, sich die ­Klamotten mit auszusuchen.

Omas Devise gilt immer noch: wenig kaufen und die Kleidung schonen

Wichtig ist allerdings, die eigenen Strategien beim Kleiderkauf zu kombinieren. Prinzipiell ist es sinnvoll, wenig zu kaufen und die Kleidung zu schonen – ja, das war früher mal die Devise der Omas und Mütter. Heute gibt es nichts zu grinsen, wenn einem empfohlen wird, nicht zu oft und zu heiß zu waschen und wenig zu schleudern. Das spart Geld und schont die Umwelt. Falls man eigene ­Kleidung auf nachhaltige Art und Weise loswerden möchte, kann auf dieser Wohin-Damit-Webseite dabei helfen, Projekte zu finden, die Kleiderspenden brauchen.

Nach Afrika bitte nur, wenn die dortige Textilindustrie nicht geschädigt wird. Falls das sichergestellt ist, gleichen Importe von Altkleidern in Afrika lokale Versorgungslücken aus. Wenn die Textilien dort aufbereitet und weiterverkauft werden, kann das Arbeitsplätze schaffen und Menschen ermöglichen, oft ­noch hochwertige Kleidung günstig zu erwerben. Altkleiderexporte verlängern so den Lebenszyklus von Textilien und tragen dazu bei, dass Ressourcen geschont werden. Ich bringe meine getragenen und bestens erhaltenen Sachen zur Dia­konie. Die haben schicke Boutiquen, in denen Gespendetes eventuell umgearbeitet und günstig an die weitergegeben wird, die es brauchen können. Übrigens: Für jedes Stück, das ich neu kaufe, muss eins weg.
Ich habe nie einen vollgestopften Kleiderschrank. Und, ja, selber mag ich lieber neue als gebrauchte Sachen. Von denen hatte ich als Kind viel zu viel. Aber ich halte mich an das Motto "thirty ways": Ich überlege mir, ob ich ein Kleidungsstück oder die ersehnten Schuhe mehr als dreißigmal tragen werde. Das ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber sie kann mich vom Kaufen abhalten, wenn mir klar wird, dass das Teil vermutlich sein ­Leben hinter Schranktüren fristen wird. Manches hippe Stück wird ja auf dem Weg von der Kasse nach ­Hause schon unmodern.

Ganz klar für mich: Was ich ­haben möchte, muss unter fairen Bedingungen und umweltschonend produziert worden sein. Und es gibt richtig schöne Sachen – dazu Sales, bei denen man echte Schnäppchen ergattern kann. Inzwischen kriegt man auch Schuhe aus Stroh, Stiefel aus Mais und Badeanzüge aus Meeresabfall. Vorsicht ist bei manchen großen Ketten ge­boten. Sie bieten inzwischen fast ­alle "faire Kleidung" an. Aber oft wird nur ein kleiner Teil des Sortiments "fair" produziert – um das Image zu ver­bessern. Also genau hinschauen und nicht auf "Greenwashing" hereinfallen. 

Kritiker: Ein frei­williges Siegel reicht nicht aus

Das ist wichtig, weil multinationale Konzerne bis heute nicht an die existierenden Menschenrechtsverträge gebunden werden können. Man kann immer noch nicht ausschließen, dass etwas, das man trägt, von Kindern gefertigt wurde. Das muss sich ändern!

Weil nicht jeder Mensch endlos Zeit hat, um nach fairer und ökologischer Kleidung zu suchen, braucht es ein klares und eindeutiges Siegel. Der "Grüne Knopf", den Entwicklungsminister Gerd Müller auf den Weg gebracht hat, ist so ein Siegel. Es ist noch in der Einführungsphase. Um es zu bekommen, müssen Unternehmen ihre Geschäftspraktiken und momentan nur einige Produktionsschritte offenlegen. Weltweit soziale und ökologische Standards müssen eingehalten sein. Faire Arbeitsbe­dingungen, Mindestlohngarantie des jeweiligen Landes, keine Kinderarbeit sind das Ziel. Unabhängige Organisationen wie TÜV oder Control Union Certifications überprüfen die Angaben. Ich bin echt begeistert, dass ich als Botschafterin des "Grünen Knopfes" Teil des Projekts bin.

Kritiker betonen, dass ein frei­williges Siegel nicht ausreicht und es Gesetze geben müsste, die für faire Bedingungen in allen Branchen ­sorgen. Aber es braucht beides: Gesetzliche Standards für alle und inspirierende Initiativen, die weit darüber hinaus gehen und jetzt schon Zukunft ge­stalten. Beides zusammen kann viel erreichen. Vom Baumwollfeld bis auf den Kleiderbügel sozial, ökologisch und menschenwürdig – das wollen wir erreichen. Ich gehe jetzt Schuhe kaufen. Solche, die nicht mehr drücken. Auch nicht auf der Seele.