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Orient und Okzident auf einem Stückchen Stoff. Aus der Haute Couture westlicher Edelhäuser macht der irakische Fotograf Wesaam Al-Badry das Projekt "Al-Kouture", ein arabisiertes Wortspiel, das es in sich hat. Die feinen Stoffe von Hermes, Gucci und Co. hat Al-Badry zu Kopftüchern, dem berühmten Nikab, umschneidern lassen und damit zum Symbol einer jahrhundertealten Diskussion um das Verhältnis von Orient und Okzident. Hier ist alles drin beziehungsweise drauf: Konsum und Kultur, Religion und Tradition, Geschichte, Moderne und vielleicht sogar ein bisschen Zukunft.
Lukas Meyer-Blankenburg
Wenn das wohl umstrittenste Kleidungsstück der Gegenwart im Design führender westlicher Modelabels daherkommt, steht der Betrachter hierzulande unmittelbar vor der Überprüfung eigener Welt- und Wertvorstellungen. Das Begriffspaar Unterdrückung und Kopftuch wird in der Regel derart fest verhandelt, dass für Zwischentöne kaum Platz bleibt. Al-Badry sorgt mit seiner Kunst dafür, dass diese Töne gehört werden. Denn das Kopftuch kleidet vielerorts ein neues muslimisches Selbstbewusstsein – oder es verschafft Frauen in den Ländern, in denen das Tragen desselben keine freiwillige Entscheidung, sondern sozialen Zwang darstellt, einen kleinen Spielraum innerhalb bestehender Konventionen. So weit die wohlwollende Deutung.
Mode für Musliminnen ist ein Riesengeschäft
Es könnte aber einfach nur die männliche Unterdrückung der Frau auf elegante Art fortschreiben. Dafür spricht möglicherweise auch der Begriff "modest", mit dem körperverhüllende, oft muslimische Mode bezeichnet wird, der im Englischen aber nichts anderes als "dezent" oder "sittsam" bedeutet. Der Textil- und Designindustrie ist beides recht – oder egal. Denn die Mode für Musliminnen ist längst ein Riesengeschäft, an dem die großen, zumeist westlichen Konzerne Milliarden verdienen. In die traditionelle Verhüllung ist seit einigen Jahren daher viel Farbe und modernes Design gekommen. Dieser Tatsache geht das Frankfurter Museum Angewandte Kunst in der aktuellen Ausstellung "Contemporary Muslim Fashions" nach, in der auch einige Werke Al-Badrys zu sehen sind.
Über die Ausstellung wird seit ihrer Eröffnung viel diskutiert und gestritten. Frauenrechtlerinnen und Rechte sind vereint in ihrer Ablehnung der, wie sie sie nennen, "Kopftuchausstellung", obwohl sie muslimische Mode und nicht nur Kopftücher zeigt. Der Direktor des Museums bekam Hass-Mails. Wer sich die Kleidung drinnen ansehen möchte, muss draußen die eigene an der Sicherheitsschleuse scannen lassen. Der weibliche Körper sei das Territorium, wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken anlässlich der Ausstellung schrieb, auf dem zwischen Orient und Okzident am härtesten um das, was modern heißt, gekämpft werde.
Ein eigenes Bild vom heiklen Stoff machen
Dass dieser Streit vielschichtig ist, ignorieren die meisten Gegner der Ausstellung. Denn wie hier das Bild "Chanel#VII" aus der "Al-Kouture"-Serie von Al-Badry ist das Kopftuch modern und antimodern, kapitalistisch und antikapitalistisch, religiös und säkular zugleich.
Der Künstler ist im Irak aufgewachsen, zu Beginn des Golfkriegs nach Saudi-Arabien geflohen und landete später per Stipendium in den USA. Auch er kritisiert, was die Kritiker in der Ausstellung kritisieren, und kritisiert diese Kritik gleich mit. Für derlei Mehrdeutigkeiten und Paradoxien ist sich der öffentliche Diskurs leider oft zu schade. Wer sich ein eigenes Bild vom heiklen Stoff machen möchte, der kann noch bis September versuchen, durch die Sicherheitsschleusen des Museums Angewandte Kunst zu kommen. Und bis zum Metalldetektor bleibt dann noch genug Zeit, sich zu fragen, wer einem auf Al-Badrys Bild entgegenblickt: Frau oder Mann? Opfer sozialer Zwänge, modisch-selbstbewusster Akteur oder gar der Künstler selbst? Es könnte alles so einfach sein . . .