In Bogotá sieht man die Flüchtlinge überall: Familien betteln vor den Supermärkten und bieten wertlose venezolanische Geldnoten als Andenken feil. Musiker spielen gegen den Autolärm an. Venezuela ist bankrott und weist die weltweit höchste Inflationsrate auf. Drei Millionen Menschen haben ihrer Heimat den Rücken gekehrt, eine Million zog es hierher, ins Nachbarland Kolumbien.
Den Anfang machten wohlhabende und sehr reiche Familien. Sie sind Kunden in den besseren Restaurants und Einkaufszentren und investieren im gehobenen bis luxuriösen Wohnungsmarkt. In Bogotá und anderen Städten schossen die Immobilienpreise in den Himmel. Danach kam die obere Mittelschicht, darunter sind viele top ausgebildete Ingenieure, die früher beim staatlichen Erdölkonzern Petróleos de Venezuela beschäftigt waren. Jetzt arbeiten sie als Kellner, Taxifahrer, Kuriere oder füllen Regale in Supermärkten auf.
Alexander von Loebell
Seit zwei Jahren kommen die Menschen, bei denen es ums Überleben geht. Sie haben monate- oder jahrelang gehungert und laufen in langen Karawanen, die Kinder an der Hand, das Notwendigste in Tüten und Rucksäcke gepackt, Hunderte Kilometer, teilweise bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. In Bogotá betteln sie oder übernehmen schwere, schmutzige Arbeiten, für die sich die Kolumbianer zu schade sind. Vor allem in der Grenzgegend prostituieren sich Frauen, um ihre Familien ernähren zu können.
Die Kolumbianer verhalten sich den Flüchtlingen gegenüber überwiegend recht ruhig. Vielleicht weil es einmal umgekehrt war. Als Venezuela noch vom hohen Erdölpreis profitierte und in Kolumbien Bürgerkrieg herrschte, zogen Flüchtlinge in die andere Richtung.