Gedenkstein am Eingang zum Friedhof in der Gedänkstätte Bergen-Belsen
Gedenkstein am Eingang zum Friedhof in der Gedänkstätte Bergen-Belsen
mauritius images/Alamy
"Keine AfD im Stiftungsrat!"
AfD-Politiker fordern "Schluss mit dem Schuldkult". Genau deshalb sollen sie nicht über Gedenkorte mitentscheiden, die an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern – fordert der Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten.
Ruthe Zuntz
11.11.2018

chrismon: In Niedersachsen entsandte ­früher jede im Landtag vertretene Partei einen Vertreter in den Stiftungsrat für ­Gedenkstätten. Warum?

Jens-Christian Wagner: 2004 wurde die Landeszentrale für politische Bildung aufgelöst. Ihr oblag bis dahin die Aufsicht über Gedenkstätten im Lande. Daraufhin hat man relativ schnell die Stiftung gestrickt. Und weil sämtliche im Landtag vertretenen Parteien Mitglieder ins Kuratorium der Landeszentrale geschickt hatten, hat man das im Stiftungs­gesetz fortgeschrieben.

2017 wurde die AfD in den niedersächsischen Landtag gewählt. Daraufhin änderte man das Stiftungsgesetz. Nun sind nur noch ­Vertreter von vier Parteien im Stiftungsrat. Das wirkt wie ein Gesetz gegen die AfD.

Ich habe frühzeitig auf das Problem hinge­wiesen. Besser wäre es gewesen, das Gesetz lange vor der Wahl zu ändern.

Jens-Christian WagnerJesco Denzel / Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten

Jens-Christian Wagner

Der Historiker Jens-Christian Wagner leitet die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, die für etwa hundert Gedenkstätten zuständig ist, darunter das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen und die frühere Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel.

Nun stellt sich die AfD-Fraktion als Opfer dar. Wäre es nicht besser, einen AfD-Vertreter im Stiftungsrat zu dulden?

Es ist richtig, sich offensiv und öffentlich mit den rassistischen Positionen der AfD ausei­nanderzusetzen und auch mit ihren Vertretern. Aber nicht im Stiftungsrat. Seine Sitzungen sind nicht öffentlich, die Diskus­sionen mit dem AfD-Vertreter würden die Öffentlichkeit also gar nicht erreichen. Und geschichtspolitische Diskussionen gehören auch gar nicht zu den Aufgaben des Stiftungsrats.

Was wäre so schlimm an einem AfD-Mitglied im Stiftungsrat?

Es würde den guten Ruf der Stiftung in ­Museen, Wissenschaft, Gedenkstätten und bei den Verbänden der Überlebenden weltweit beschädigen. Direkt nach der Wahl schrieben uns besorgte Mitglieder von Überlebendenverbänden, eine Partei mit geschichtsrevi­sionistischen Positionen im Aufsichtsgremium der Stiftung sei für sie nicht tragbar. Sie stellten die weitere Mitarbeit in den Gremien der Stiftung infrage.

"Es wäre falsch, sich nur auf die Überlebenden zu verlassen"

Gaben die Proteste der Shoah-Überlebenden den Ausschlag für den Landtagsbeschluss, das Stiftungsgesetz zu reformieren?

Ja, ihre Meinung ist maßgebend. Aber es wäre falsch, sich nur auf die Überlebenden zu verlassen, allein schon deshalb, weil es in zehn Jahren womöglich keine mehr gibt. Und ich möchte auch in zehn Jahren keine AfD im ­Gremium haben.

Reden Sie mit AfD-Abgeordneten?

Im Dezember 2017 traf ich die Fraktionsvorsitzende Dana Guth und den parlamen­tarischen Geschäftsführer im Landtag Klaus Wichmann – auf ihren Wunsch hin. Wichmann wäre der designierte AfD-Vertreter im Stiftungsrat gewesen. Ich wollte wissen, wie er zu den Holocaust-relativierenden oder -leugnenden Positionen in der AfD steht. ­Diese Positionen stehen dem Stiftungszweck entgegen.

Und was sagt Klaus Wichmann?

Dass er diese Positionen nicht teile. Er wolle sich aber offiziell nicht von diesen Forderungen und Mitteilungen distanzieren. Er sagte, er schätze den Anteil derer, die die ­Geschichte umschreiben wollen, in seiner Partei auf 30 Prozent. Wichmann sagte, diese Parteimitglieder brauche er, um Deutschland zu retten. – Um die Merkel-Diktatur nieder­zuringen, sagte Guth. Damit war das Gespräch beendet. Jeder, der in unserem Stiftungsrat mitarbeitet, muss den gesetzlich definierten Stiftungszweck unterstützen.

"Landeszentralen sind zu politischer Neu­­tra­lität verpflichtet, wir als eigenständige Stiftung nicht"

Landeszentralen für politische Bildung ­sollen Demokratie lehren und Rechtsextremismus vorbeugen. Björn Höcke, AfD-­Vorsitzender in Thüringen, ist Kuratoriumsmitglied der thüringischen Landeszentrale und fordert eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Wie wirkt sich das aus?

Man hat mit Höcke den Bock zum Gärtner gemacht. Aber ein Geschichtsrevisionist im Gremium einer Landeszentrale – oder im Gremium einer Stiftung für KZ-Gedenk­stätten, die explizit die Opfer von NS-Verbrechen würdigen soll, das ist ein großer Unterschied. Landeszentralen sind zu politischer Neu­­tra­lität verpflichtet, wir als eigenständige Stiftung nicht. Wir dürfen nicht nur, sondern ­wir müssen deutlich Position beziehen – sowohl gegen jeden Versuch, die NS-Verbrechen zu ­relativieren oder gar zu leugnen, als auch ­gegen aktuelle Hetze gegen Minderheiten.

Ihr Kollege Volkhard Knigge, Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, traf Höckes Stellvertreter Stephan Brandner. Sprechen sich die Leiter der Gedenkstätten vor solchen Treffen mit AfD-Vertretern ab?

Mein Gespräch mit Dana Guth und Klaus Wichmann war das erste Treffen dieser Art. Ich habe Volkhard Knigge vor Brandners ­Besuch darüber informiert. Unsere Strategie: Die AfD auf deren Positionen hinweisen.

"Vor Wahlen geben wir Parteiengruppen nicht die Möglichkeit, den historischen Ort und seine Opfer für aktuelle politische Zwecke zu instrumentalisieren"

In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen lös­te kürzlich eine AfD-Besuchergruppe aus dem Wahlkreis der Co-Vorsitzenden Alice Weidel einen Eklat aus. Teilnehmer sollen während der Führung Gräueltaten der Nazis relativiert, teilweise gar geleugnet haben. Gab es ähnliche Vorfälle in Niedersachsen?

Wir haben die Anfrage einer AfD-Gruppe abgewiesen. Sie wollte die Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel kurz vor der Bundestagswahl besuchen. Wir betreuen prinzipiell keine Parteiengruppen vor Wah­len, um ihnen nicht die Möglichkeit zu bieten, den historischen Ort und seine Opfer für aktuelle politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Bereitet die Stiftung die Gedenkstätten­leitungen für solche Vorfälle vor?

Ja. Wir sprechen mit den niedersächsischen Gedenkstätten und mit den Kollegen bundesweit über eine gemeinsame Haltung. Wir erarbeiten in Niedersachsen eine Empfehlung für den Umgang mit AfD-Vertretern in Gedenkstätten: Wenn sich AfD-Parteigruppen anmelden, werden wir sie nicht betreuen. Wir können auch ein Hausverbot für Mitglieder von Parteien oder Organisationen erteilen, die durch antidemokratische, rassistische oder andere dem Stiftungszweck widersprechende Äußerungen in Erscheinung getreten sind. Wir werden sie auch von der Teilnahme an ­unseren Veranstaltungen ausschließen. Das gilt auch für AfD-Stadträte. Das sind aber ­immer Entscheidungen im Einzelfall.

Und das steht dann in Besucherordnungen von Gedenkstätten?

In einigen steht es schon drin. In Bergen-­Belsen führen wir den Passus gerade ein. Im Oktober haben wir die Veränderung mit den Gedenkstätten und Initiativen besprochen, die wir nicht selbst betreiben. Wir wollen an einem Strang ziehen.

"Am Jahrestag der Befreiung hat ein AfD-Politiker in Bergen-Belsen rumgepöbelt. Ich habe ihm kein Hausverbot erteilt, weil er genau das wollte"

Björn Höcke wollte an der jährlichen Veranstaltung zum Internationalen Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte Buchenwald teilnehmen. Er bekam Hausverbot. Welche Vorfälle rechtfertigen solche Maßnahmen?

Ein Politiker vom rechten Rand der AfD-Fraktion im Landtag, Stefan Wirtz, der ähnlich rechts anzusiedeln ist wie Höcke, hat in Bergen-Belsen am 15. April, dem Jahrestag der Befreiung, ­herumgepöbelt. Ich habe während der Veranstaltung überlegt, ihm ein Hausverbot zu erteilen, und bin froh, dass ich das nicht gemacht habe, weil er genau das wollte. Dann hätte die Tagesschau an dem Abend nämlich nicht über unsere neue Ausstellung "Kinder im KZ Bergen-Belsen" berichtet, sondern über den AfD-Eklat in Bergen-Belsen. Das wollte ich nicht und versuchte deswegen, Wirtz zu ignorieren. Im kommenden Jahr werden wir uns frühzeitig überlegen, wie wir mit einer solchen Situation umgehen.

Wie haben die anwesenden Überlebenden selbst reagiert?

Sie waren empört. Zum Glück haben es nicht alle mitbekommen.

Hat sich die AfD von Wirtz distanziert?

Im Gegenteil. Als das Stiftungsgesetz geändert wurde, zog die AfD plötzlich den scheinbar gemäßigten Klaus Wichmann als designiertes Mitglied des Stiftungsrats zurück und behauptet seitdem, der radikalere Wirtz sei nun ihr Mitglied. Das ist ein Affront ­gegen die Gedenkstättenarbeit im Land, und die ­Partei hat damit ihr wahres Gesicht gezeigt.

Die AfD klagt vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg, ihr stehe ein Sitz im Stiftungsrat zu. Fürchten Sie ein Urteil zugunsten der AfD?

Nach Einschätzung aller Juristen, mit denen ich gesprochen habe, ist das nicht zu be­fürchten.

"Wir werden auf jeden Fall verhindern, dass die AfD in den Stiftungsrat kommt"

Michael Fürst, langjähriger Präsident des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden von Niedersachsen und Rechtsanwalt, meint, notfalls müsse man ein neues Gesetz mit dem gleichen Ziel verabschieden.

Das sehe ich auch so. Wir werden auf jeden Fall verhindern, dass die AfD in den Stiftungsrat kommt. Ich hatte dem Landtag ­eigentlich empfohlen, das Gesetz so zu ändern, dass gar kein Vertreter des Landtags in den ­Stiftungsrat entsandt wird, oder höchstens zwei – meines Erachtens die bessere Lösung. Aber so oder so: Dem Landtag bin ich für die Gesetzes­änderung sehr dankbar.

Theoretisch kann ja noch immer ein Landtagsabgeordneter der AfD in den Stiftungsrat gewählt werden.

Natürlich. Das Gesetz sagt nicht, dass die vier größten Fraktionen ihren Vertreter entsenden. Es ist von vier gewählten Vertretern die Rede, unabhängig von deren Parteizuge­hörigkeit. Aber was passiert, sollte eines ­Tages die AfD die absolute Mehrheit im Landtag ­haben? Dann würde sie uns vier Vertreter in den ­Stiftungsrat schicken – so es denn die ­Stiftung und aufgeklärte Gedenkstättenarbeit unter solchen politischen Vorzeichen überhaupt noch gibt.

"Das eigentliche Problem ist der Antisemitismus der sogenannten Weißen Deutschen"

AfD-Politiker sagen, die Einwanderung von Muslimen sei Grund für den anwachsenden Antisemitismus in Deutschland. Wie oft ­haben sich muslimische Besucher der nieder­-sächsischen Gedenkstätten judenfeindlich verhalten?

Mir sind kaum Fälle bekannt. Unser eigentliches Problem ist der Antisemitismus der sogenannten Weißen Deutschen. Wir bemerken, auch durch Kommentare von Besuchern in den Gedenkstätten, dass Dinge sagbar ge­worden sind, die man vor zwei, drei Jahren noch nicht gesagt hat, auch wenn man sie vielleicht gedacht hat. Dass diese Scheu gefallen ist, hat sicherlich mit der Propaganda bestimmter Vertreter der AfD zu tun, die die Geschichte umschreiben wollen.

Zum Beispiel?

In Führungen in Gedenkstätten behaupten Besucher häufig, dass alle Migranten antisemitisch seien. Oder sie relativieren die NS-Verbrechen, indem sie sie mit denen des Stalinismus oder anderer Regimeverbrechen aufrechnen. Neulich schrieb jemand unter einen unserer Tweets das Wort "Schmarotzer­juden". Das zeigt, dass das Bewusstsein in ­unserer Gesellschaft verblasst, dass es für unsere demokratische Selbstverständigung grundlegend ist, sich mit dem National­sozialismus auseinanderzusetzen.

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