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Nein, das ist keine Neuinterpretation der Kreuzigungsszene. Hier lotet eine junge Frau die Grenzen des Räumlichen aus. Scheint sie nicht zu schweben? Völlig losgelöst und doch: ein ganz natürlicher Teil des Zimmers. So muss man sich erst mal an den Türrahmen hängen können. Francesca Woodman liebte dieses Spiel mit dem eigenen Körper. In den unmöglichsten Posen stellt, legt, windet, hüpft oder beugt sie sich vor der Linse ihrer Kamera – mal halb versteckt hinter einer abbröckelnden Tapete, mal nackt um eine Schüssel mit einem lebenden Aal geschlungen. Sie blinzelt dem Betrachter über einen Spiegel fragend zu oder scheint als Schatten nur, als Hauch durchs Bild zu tanzen – Langzeit- und Doppelbelichtung machen’s möglich. Nichts davon wirkt unnatürlich, höchstens surrealistisch. Heute wird Woodman deshalb in einem Atemzug genannt mit Namen wie Man Ray oder dem deutschen Surrealisten Hans Bellmer.
Lukas Meyer-Blankenburg
Schon als Teenager beginnt die 1958 geborene Amerikanerin mit dem Fotografieren. Später studiert sie Design und kann mit Hilfe eines Stipendiums für ein Jahr nach Rom. Dort entsteht ihre Engel-Serie. Die Mittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Jenseits und Diesseits faszinieren sie besonders. Und auch auf diesem namenlosen Bild scheint Woodman irgendwie zwischen den Welten zu hängen. Ein Gedanke, der sich in Bezug auf ihr Leben wie eine böse Vorahnung liest. Denn Woodmans Künstlerkarriere ist kurz, fünf Jahre vielleicht, höchstens sechs.
Die Kunstwelt erkannte den Wert erst allmählich
Sie bezeichnet sich selbst in Tagebuchnotizen als Masochistin und leidet unter Depressionen. Nur wenige Tage nachdem ihr erster Bildband erscheint, springt sie aus dem Fenster einer New Yorker Loft-Wohnung in den Tod. Da ist sie gerade 22 Jahre alt. Die Kunstwelt braucht eine Weile, um den Wert der annähernd tausend Fotografien Woodmans zu erkennen. Erst seit ein paar Jahren ist die junge Frau Gegenstand etlicher Ausstellungen. Doch ihre Bilder sind längst beliebte Postkartenmotive in den Museumsshops. Ein Ruhm, an dem sie wohl mäßig Freude gehabt hätte. Da steht dann die Woodman-Karte neben der Van-Gogh-Kaffeetasse. Apropos van Gogh: Woodmans Vater bittet darum, das künstlerische Schaffen seiner Tochter nicht nur vor dem Hintergrund ihres frühen Todes zu betrachten. Sein Argument: Nur weil man weiß, dass van Gogh sich ein Ohr abgeschnitten hat, versteht man seine Kunst nicht besser.