In der württembergischen Landeskirche fiel die Entscheidung im März: Ab 2019 dürfen Taufen in einem Fluss, einem See oder im Schwimmbad stattfinden. In anderen Landeskirchen hatte es eine Reihe von Taufen in öffentlichen Gewässern bereits früher gegeben: 2015 wurden in der braunschweigischen Landeskirche mehr als 50 Kinder und Jugendliche in einem Badeteich getauft. 2013 ließen sich Täuflinge im Weserstrandbad in Bremerhaven, 2015 in der Nordsee in Wilhelmshaven und 2017 in Köln-Deutz im Rhein untertauchen und wurden so Mitglied der Kirche. Die Täuflinge erschienen zu diesem Fest ganz in weiß, während die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im schwarzen Talar ins brusttiefe Wasser liefen.
Die evangelische Kirche nimmt sich mit diesen Taufen die orthodoxen Kirche und einige Freikirchen zum Vorbild. Aber das eigentliche Vorbild findet sich in den Anfängen des Christentums: in der Taufe Jesu im Jordan durch "Johannes den Täufer". Auch Jesus soll nach Auskunft des Johannes-Evangeliums selbst getauft haben - oder auch nicht. Da heißt es einmal in der Bibel: Jesus blieb mit seinen Jüngern eine Weile in Judäa "und taufte" (3,22), zwei Seiten weiter aber ist die Formulierung zu lesen: "…obwohl Jesus selbst nicht taufte, sondern seine Jünger" (4,2). Viele Bibelforscher halten für fraglich, dass Jesus es selbst tat. Aber woher kam die Taufe, heute eines der wichtigsten Sakramente, denn dann? Von "Johannes dem Täufer"? Vermutlich nicht einmal das.
Man muss sich Johannes als einen bescheidenen, hoch engagierten Endzeitprediger vorstellen, der wie zahlreiche andere zu seiner Zeit durchs Land zog und in seinen Reden gegen die Priesterklasse und ihre Kungelei mit der römischen Besatzungsmacht polemisierte und zur Umkehr aufrief. Dort, wo Johannes predigte und taufte, zum Beispiel am Toten Meer, war auch der Orden der Essener zuhause, Menschen die den Idealen der Armut und Askese folgten, um sich auf die baldige Ankunft eines Messias vorzubereiten. Sie predigten den politischen Wandel und das Ende der Römerherrschaft. In den legendären Schriftrollen der Essener ist beschrieben, dass sich mit dem Messias alles – Himmel wie Erde - von Grund auf ändern wird. Er wird die Gefangenen befreien, die Frommen auf den Thron setzen.
Rituelle Waschungen sollten auf den Tag des Umsturzes vorbereiten
Die radikal gesonnen Essener vollzogen regelmäßig rituelle Waschungen im Toten Meer, um sich von ihren Sünden zu befreien und auf den nahe bevorstehenden Umsturz vorzubereiten. Sie würden diese Waschungen aber nicht als Taufe verstanden haben. Johannes der Täufer stand ihnen religiös und politisch nahe, sagt der evangelische Theologe und Buchautor Walter-Jörg Langbein. Die Übereinstimmungen in den religiös-politischen Hoffnungen der Essener, von Johannes und von Jesus sind groß. Auch darin, dass es höchste Zeit ist, sich auf die nahe Ankunft des Messias vorzubereiten, zum Beispiel dadurch, dass man seine Sünden abwusch.
Im Judentum ingesamt spielt die Reinigung in einem Bad, der Mikwe, eine große Rolle. Es kann, wenn man auf die Anfänge der christlichen Taufpraxis blickt, vor allem das allgemein verbreitete jüdische Tauchbad als Vorbild gedient haben. Den Zeitgenossen von Johannes dem Täufer und Jesus war das Ritual des Eintauchens jedenfalls bestens vertraut. Und wo immer Archäologen im Heiligen Land antike Synagogen ausgraben, stoßen sie auch auf jüdische Reinigungsbäder.
Es gibt jüdische Religionswissenschaftler wie Pinchas Lapide, die auch bezweifeln, dass Johannes taufte. Er habe allerdings zur Selbsttaufe aufgerufen und sich als Zeuge des Rituals verstanden. Zur Begründung zieht Lapide die Handschrift "Codex Bezae" vom Evangelium nach Lukas heran, in dem es heißt: "Und sie tauften sich vor Johannes."
Wenn heute evangelische Landeskirchen – auch aufgrund des starken Wunsches ihrer Mitglieder – die Taufe in einem Fluss oder See ermöglichen, dann hätte es einen ganz besonderen Glanz, wenn dabei auch etwas von der Radikalität des jüdischen und christlichen Lebens aufflammte. Eine Taufe nach dem Beispiel der Essener oder des Johannes ist kein frommes Ritual, sondern die Symbolhandlung eines Gläubigen, der etwas in seinem Leben bewegen will und mit Veränderungen rechnet. Und der sich darauf entschlossen vorbereitet. Ein bisschen Essener-Denken, ein bisschen Qumran-Weisheit sollte in jedem stecken, der zur Taufe in Weser, Nordsee oder Neckar steigt.
Taufvorbereitung
Zur entschlossenen Vorbereitung auf "Ein bisschen Essener-Denken, ein bisschen Qumran-Weisheit" gehört dann wohl auch ein Blick in https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/gewaesser-in-deutschland
Max Zirom