Viele glauben, es ist besser, wenn man selbst das Recht auf Asyl zugesprochen bekommt, als aufgrund von Familiennachzug nach Deutschland zu kommen. Stimmt das?
Ruth Weinzierl: Leider wurde das Gesetz vorübergehend geändert. Zurzeit hängt viel davon ab, ob das erste Familienmitglied in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist oder als subsidiär Schutzberechtigter. Subsidiär Schutzberechtigte können ihre Familien bis März 2018 nicht nachholen. Wer dagegen als Flüchtling anerkannt ist, darf seine Familie nach Deutschland holen. Allerdings brauchen die deutschen Botschaften in den Ländern sehr viel Zeit. Aber wenn die Familie einmal in Deutschland ist, dann ist relativ sicher, dass sie auch bleiben kann.
Was heißt „relativ sicher“?
Die Behörden können das Recht auf Schutz widerrufen, wenn sich die Situation im Heimatland dauerhaft verbessert hat. Es wird leider immer schwerer, einen unbefristeten Aufenthaltstitel für Deutschland zu bekommen. Das war vor dem Integrationsgesetz von 2016 leichter.
Manche abgelehnte Asylbewerber werden nicht abgeschoben, weil der Pass ungültig ist, das Heimatland ihre Aufnahme verweigert oder weil sie krank sind und nicht reisen können. Sie gelten als „Geduldete“. Wie steht es um sie?
Die Diakonie und andere Organisationen haben lange für ein Bleiberecht für langfristig Geduldete gekämpft. Circa 153 000 Geduldete leben derzeit in Deutschland. Sie bekommen in der Regel eine Duldung für ein halbes Jahr, dann noch einmal für ein halbes Jahr und so weiter. Unter bestimmten Voraussetzungen kann man nach sechs bis acht Jahren ein Bleiberecht bekommen.
Was passiert mit Menschen, die subsidiären Schutz bekommen, nach Ablauf der Frist?
Das Recht auf Aufenthalt kann dann jeweils um zwei Jahre verlängert werden. Nach fünf Jahren kann er oder sie eine unbefristete Niederlassungserlaubnis bekommen. Dafür muss er oder sie unter anderem gut Deutsch sprechen und für den Lebensunterhalt selbst sorgen können.
Wie ist es bei einer Familie, wenn die Kinder zur Schule gehen: Können sie dann einen unbefristeten Aufenthalt bekommen?
Ja, aber das ist nicht gewiss – und ein Problem für viele Familien, die sich gut eingelebt haben und planen wollen, wie es weitergeht. Bei subsidiärem Schutz hängt viel davon ab, wie die Bundesbehörden die Lage im Heimatland einschätzen.
Kann die Behörde die Familie zwingen zurückzugehen?
Das hängt davon ab. Die Politiker bewerten immer wieder, wie sicher ein Land ist. Dass Syrer Schutz brauchen, stellt im Moment niemand infrage. Bei Afghanen ist das anders. Es hat viele Abschiebungen gegeben, obwohl die Lage dort unsicher ist. Sehr viele Asylbewerber klagen auch gegen ihre Ablehnung im Asylverfahren. Etwa 60 Prozent ihrer Klagen werden akzeptiert. Die Asylbescheide sind mangelhaft.
Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung?
Dass sie ermöglicht, dass auch subsidiär Schutzberechtigte wieder ihre Familien nachholen dürfen. Die Politiker müssen erkennen: Wir brauchen bessere Asylbescheide und eine Rechtsberatung für Flüchtlinge. Wir müssen das Recht stärken. Aber ich befürchte, dass wir weiterhin gegen Verschärfungen kämpfen müssen. Rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut beeinflusst die Debatte leider sehr negativ.
Thomas de Maizière, bis Redaktionsschluss noch Bundesinnenminister, wünscht sich eine deutsche Leitkultur. Glauben Sie, dass die Deutschen dieses Anliegen unterstützen?
Deutschland ist vielfältig. Manche Deutsche finden gut, was Thomas de Maizière gesagt hat – ich nicht. Ich glaube, dass eine Debatte über Leitkultur polarisiert. Das ist nicht gut. Niemand darf eine Kultur definieren, der sich andere unterordnen sollen. Wenn es hier eine leitende Kultur gibt, dann ist sie durch die Verfassung und die Menschenrechte definiert und durch ein Verbot der Diskriminierung. Leider neigen manche Politiker dazu, sich den Argumenten der Rechtspopulisten anzunähern, weil sie sich davon bei der nächsten Wahl mehr Stimmen erhoffen. Wir müssen auch die Potenziale von Flüchtlingen entdecken und stärken.