Das sorgte in Leipzig Ende Mai 2017 für viel Aufmerksamkeit und etliche Schlagzeilen. Hunderte Meter zog sich durch die Peterstraße der Innenstadt eine „Leipziger Kaffeetafel“. Der Anlass: das Reformationsjubiläum. Nicht, dass auf jedem Meter dort Luthers Theologie diskutiert wurde. Friedrich Vogelbusch, der im Auftrag der EKD-Synode das Treiben anschaute – ein ortskundiger Wirtschaftsprüfer und übrigens auch Haushaltsexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – beobachtete etwas anderes: Die Leipziger freuten sich einfach sehr daran, wie „gastgebend“ die evangelische Kirche ist.
In „Victors Stube“ floss, auch dies aus Anlass des Reformationsjubiläums, sogar Alkohol. Der Kneipenwirt hatte die Besucher des Katholikentages im Jahr zuvor mit dem Aushang verblüfft: „Liebe Katholiken, ihr müsst jetzt stark sein – es gibt gar keinen Gott.“ Nun lud er die Protestanten zu Alkohol und Kabarett ein. Und es kamen viele.
Nostalgie ist das Letzte, was die Synode umtreibt
Alkoholisch-nostalgisch ging es bereits beim allerersten Reformationsjubiläum zu. Im November 1527 beendete Martin Luther den Brief an einen Freund mit den Worten: „Wittenberg am Tag Allerheiligen, im 10. Jahr des Abtuns des Ablasses. Im Gedenken daran trinken wir beide getröstet in dieser Stunde.“
Nostalgie ist das Allerletzte, was die EKD nach Abschluss der Reformationsfeier umtreibt. Sie steht vor massiven Herausforderungen. Demografisch und finanziell wird es für sie – langfristig – enger werden, ihre gesellschaftlichen Aufgaben hingegen werden zunehmen und ihre ethischen Mahnrufe sind wichtiger denn je. Denn Rechtspopulisten beschädigen den sozialen Zusammenhalt, Nationalisten gefährden mit Kriegsdrohungen die internationale Friedensordnung, mühsam errungene Verträge zum Klimaschutz wackeln, Unternehmen entziehen sich ihrer Steuerpflicht. Der Populismus im rechten und linken Spektrum wird stärker. Alles keine Themen für die Kirche? Oh doch, schon allein deshalb, weil der Streit darüber bis tief in die eigenen Reihen reicht.
Vom Sendemodus zum Dialog
Auf der ersten Synode (dem Parlament) der Evangelischen Kirche in Deutschland nach dem Reformationsjubiläum geht es um Zukunftsfragen – kirchlichen wie gesellschaftlichen. Von der Synode in Bonn soll ein Kreativitätsschub ausgehen. Ihre Präses Irmgard Schwaetzer hat während des Reformationsjubiläums auch dazu klare Ideen gewonnen: „Überall dort, wo Kirche mit neuen Formaten an neuen und überraschenden Orten und mit vielfältigen Kooperationspartnern in der Öffentlichkeit mit ihren Inhalten präsent war, gelang es, Menschen anzusprechen, denen wir sonst eher selten begegnen.“
Gelernt hat die evangelische Kirche im Reformationsjahr zum Beispiel, so steht es jedenfalls im Entwurf einer „Kundgebung“ (also einer öffentlichen Synodenerklärung), dass eine Ein-Kanal-Kommunikation, das Modell Senden-Empfangen, nicht mehr erfolgreich ist. Sie wurde im Jubiläumsjahr vielerorts ersetzt durch die Perspektive: „Was wollten Sie der Kirche schon immer mal sagen?“ Vom Sendemodus zum Dialog – diese Richtung gelte es nun einzuschlagen, sagt Schwaetzer. In dem Kundgebungsentwurf dominieren deshalb Fragen, nicht Antworten: 24 Fragen auf sieben Seiten Text. Und es ist nicht zu übersehen: Die meisten Fragen bleiben offen.
Der Religionssoziologe Detlef Pollack, der vor der EKD-Synode über den Reformbedarf der Kirche spricht, erwähnt, dass nur etwa zehn Prozent der Deutschen „religiös auf der Suche“ seien. „Dass unser Zeitalter durch ein hohes Maß an religiöser Sehnsucht charakterisiert sei, lässt sich nicht behaupten“, sagt er. Diagnose: Die religiöse Nachfrage ist schwach. Therapie? Die Kirche müsse den „Sinn fürs Unendliche in der Gesellschaft präsent“ halten. Diese Aufgabe wird sich nur mit größter Fantasie erledigen lassen.