Vor acht Jahren hatte er noch einen sicheren Job im Berner Außenministerium. Nun betreibt Andreas Wormser, 59, ein Hotel, zehn Kilometer südlich von Priština, der Hauptstadt des Kosovos. Er hat seine Erbschaft investiert, seinen Wohnsitz verlegt, schlägt sich mit kosovarischen Behörden herum. Und er beschäftigt in seinem Hotel Albaner, Roma und Serben. Menschen, die im Kosovo als hoffnungslos verfeindet gelten.
Warum steckt jemand seine Ersparnisse in so etwas? Man hört Andreas Wormser an, dass er Migrationsexperte war, wenn er von „Push- und Pull-Faktoren“ spricht: Einiges habe ihn von zu Hause fortgedrängt, anderes zum Kosovo hingezogen. Die Arbeit im Ministerium sei zunehmend langweilig geworden. Und seit er zwischen 1999 und 2004 als Flüchtlingsattaché im Kosovo gewesen war, habe ihn dieses Land nicht mehr losgelassen. „Ich habe mir überlegt, was ich da aufbauen könnte“, sagt er, „Produktion fehlt ihm am meisten. Aber eine Fabrik habe ich mir nicht zugetraut.“
Als Wormser 2010 nach einem Grundstück für ein Hotel suchte, wollte er Arbeitsplätze für Roma schaffen. Die Arbeitslosigkeit unter ihnen beträgt offiziell 98 Prozent. Doch seine kosovarischen Freunde, heute seine stellvertretenden Geschäftsführer, machten ihm klar: Das geht nicht, das gäbe zu viel Neid und Missgunst. Hisen Gashnjani und Atlan Gidži´c sind Roma. Sie hatten in Wormsers Zeit als Flüchtlingsattaché für ihn gearbeitet. Wormser ist Patenonkel von Hisen Gashnjanis Tochter Emanuela. Sie soll einmal das Hotel übernehmen, das Hotel Gracˇanica – laut New York Times „das einzige Boutique Hotel des Kosovo“, mit Pool und Restaurant, mit Nachhaltigkeitskonzept und eigener Mineralwasserquelle. Eine Art Ufo in einer serbischen Enklave im mehrheitlich albanischen Gebiet, ein bisschen Europa in engstirnig nationalistischer Umgebung.
Zum Ort gehört das Kloster Gracˇanica aus dem 14. Jahrhundert, ein Weltkulturerbe. Auch sonst ist die Umgebung wunderschön – aber touristisch noch nicht erschlossen. Wormser hat ein Wanderwegenetz nach dem Handbuch der schweizerischen Wanderwegevereinigung entwickelt und vor kurzem eröffnet – „weil von der Gemeinde selbst nichts kommt“, wie er sagt.
Im vierten Jahr seines Bestehens werde das Hotel schwarze Zahlen schreiben, hofft Wormser. Das werde sich nun am Jahresende zeigen. „Ich hatte erwartet, dass das viel früher klappt“, sagt Wormser.
Eigentlich hatte er gehofft, dass seine kosovarischen Freunde das Hotel übernehmen könnten. „Die beiden kommen am Ende aber eben doch aus bildungsfernen Schichten“, sie schaffen das nicht. Nun setzt er auf seine 16 Jahre alte Patentochter Emanuela, die auf eine amerikanische Schule in Priština gehen und in der EU studieren soll, um dann im Kosovo die erste Roma-Hotelmanagerin zu werden. „Mal gucken, ob das klappt“, sagt Wormser. „Sie ist ja noch sehr jung.“
Hisen Gashnjani, 47 Jahre, stellvertretender Geschäftsführer, Roma
2010 war eines der letzten Male, dass ich diese Ungerechtigkeit selbst erlebt habe. Im Dorf Laplje Selo, südlich von Priština wurden Wohnungen für Kriegsvertriebene gebaut. Und ich wollte mich für eine bewerben. Wir lebten damals seit Jahren mit vier Kindern bei meinen Schwiegereltern. Ich stellte mich also bei einem der zuständigen Mitarbeiter vor. „Bist du Albaner?“, fragte er. „Geht es darum, dass ich eine Wohnung brauche, oder um meine Nationalität?“, fragte ich zurück. Da wurde der Mann ärgerlich und schrie: „Du bist Roma, verschwinde, für dich gibt es hier gar nichts.“ Das war auch damals schon nicht legal. Aber das spielt keine Rolle.
Lidija Tokic, 29 Jahre, Rezeptionistin, Serbin und Albanerin
Als ich ein Kind war, arbeitete meine Mutter in der Fabrik, mein Vater starb 1996, ich war sieben Jahre alt. Meine Großmutter hat sich um mich gekümmert. Eine schlimme Zeit. Mein Vater war Albaner, meine Mutter Serbin. Ich gehörte nirgendwo dazu. Für die Albaner war ich keine richtige Albanerin, für die Serben keine richtige Serbin.
Heute bin ich hundert Prozent Albanerin, wenn ich mit Albanern spreche. Und hundert Prozent Serbin unter Serben. Das hilft mir auch bei der Arbeit im Hotel – ein schöner, angenehmer, sauberer Ort. Ich habe auch eine zweite Stelle bei der Gemeindeverwaltung. Im Hotel frage ich die Gäste: „Haben Sie schon das hoteleigene Quellwasser probiert? Haben Sie auch gut geschlafen?“ Ich sehe es als meine Aufgabe an, eine familiäre Umgebung zu schaffen, eine Art Zuhause auf Zeit. Die meisten Menschen öffnen sich spätestens, wenn sie zum zweiten Mal kommen. Wenn sie mir dann von ihren Familien erzählen, weiß ich: „Jetzt ist das Eis gebrochen.“
Grada Cvejic, 49 Jahre, Köchin, Serbin
Ich koche seit vier Jahren im Hotel. Eigentlich die gleichen Sachen, die ich auch zu Hause koche: Meze, Gulasch, traditionelle Gerichte. Andreas hat mir ein paar neue Rezepte gesagt. Kürbissuppe zum Beispiel. Wir sind zu fünft in der Küche, dazu Hilfskräfte und Service. Ich bin glücklich, wenn die Gäste alles aufgegessen haben und sich bedanken. Ich höre nie jemanden etwas Schlechtes über das Hotel sagen. Die Leute denken: „Wenn so viele Menschen wegen des Hotels kommen, muss es gut sein.“
Mein schönster Arbeitstag war im vergangenen November. Da hatte Andreas uns Angestellte und unsere Familien eingeladen. Wir sind zur Grotte Gadime gefahren, dann waren wir bowlen. Abends haben Andreas, Hisen und Atlan für uns alle gekocht. Ich durfte nicht in die Küche. Wir hatten sehr viel Spaß.
Denis Gidzic, 23 Jahre, Rezeptionist und Kellner, Roma
Im Kosovo ist es für alle schwer, Arbeit zu finden. Aber als Roma einen Job abzukriegen ist so gut wie unmöglich.
Ich lebe zusammen mit meiner Frau bei meinen Eltern. Ich werde meine Familie nie verlassen. Das Hotel ist wie eine erweiterte Familie für mich. Nationalitäten sind hier egal. Nur einmal nicht. Wir hatten eine serbische Köchin, die im Stress wütend wurde, mich „Zigeunerjunge!“ anschrie und mir eine Ohrfeige gab. Sie arbeitet nicht mehr bei uns. Sie hat einfach gekündigt. Klar kommt so was auch vor. Wir leben zwar in einer Parallelwelt hier, aber doch nicht auf einem anderen Planeten.
Emanuela Gashnjani, 16 Jahre, Kellnerin, Roma
Bis zur 4. Klasse haben mich meine Mitschüler wegen meiner dunklen Hautfarbe ausgelacht. Ich habe viel geweint. Ich dachte: „Warum lachen die? Wir sind doch keine Monster, wir sind doch Menschen wie sie.“ Damals habe ich mir geschworen, dass sie abwarten sollen: Ich werde besser als sie, sie werden sich noch wundern!
Wenn alles klappt, gehe ich demnächst auf die Amerikanische Schule nach Priština und studiere dann vielleicht in Deutschland. Dann übernehme ich das Hotel. Ohne das Hotel würde ich Ärztin werden. Oder Rechtsanwältin. Das Hotel ist der beste Ort im ganzen Kosovo, sagen auch alle meine Freunde. Ein so guter Ort, um sich zu entspannen. Ich arbeite jeden Sonntag als Kellnerin. Im Hotel fühle ich mich frei, stark und voller Energie. Ein tolles Gefühl, zu wissen, dass ich eines Tages Managerin bin.