Diskussionsrunde auf dem chrismon salon 2017
Anna Thut
Streit? Kultur? Streitkultur?
Der chrismon-Salon beim Deutschen Evangelischen Kirchentag: diskussionserfahrene Kultur- und Wirtschaftsleute denken darüber nach, warum Streiten so schwierig ist
Portrait Manon Priebe, online-Redaktion chrismonLena Uphoff
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
30.05.2017

Es steht nicht gut um die Streitkultur in diesem Land. Schon seit Jahren machen Politiker - und zwar nicht nur die der AfD - Punkte damit, ganze Menschengruppen und Religionen abzuwerten. Diese giftige Saat fällt hier und dort auf fruchtbaren Boden. Doch: Jede Hassrede im Internet, jedes Gebrüll vor der Dresdner Frauenkirche und (fast) jeder Lügenvorwurf an die Presse ist ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt in unserer Republik: Wir haben verlernt, konstruktiv miteinander zu streiten.

Im chrismon-Salon beim Deutschen Evangelischen Kirchentag ging es genau um diese Fragen: Wie bekommt man einen kultivierten Streit hin? Welcher Streit führt nach vorn, welcher ist zerstörerisch? Haben die Deutschen, vor allem die jungen, das sachliche Debattieren verlernt? Das Thema des Salons im Märkischen Museum lautete dann auch: "Streit? Kultur? Streitkultur?"

Disputanten, die um eine Meinung nicht verlegen sind

Das Podium war hochkarätig besetzt mit Sibylle Lewitscharoff, Autorin und streitbare Diskutantin; mit Ulrich Khuon, dem Intendanten des Deutschen Theaters Berlin und Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins; mit Ekkehard Thiesler, dem Vorstandsvorsitzenden der Bank für Kirche und Diakonie; mit Angela Rinn, Mainzer Pfarrerin und Krimiautorin. Und mit Nicola Brüning, frühere "Focus"-Korrespondentin, seit 2008 Leiterin der Repräsentanz Deutschland der BMW Group in Berlin. 

War da ein Pegida-Mitglied vergessen worden, ein Autonomer aus dem G7-Protestmilieu, ein islamischer Fundamentalist? Nein, mit Sicherheit nicht, diese Anwesenden hatten Feuer genug, die schwierigen Fragen selber anzugehen. Für chrismon-Chefredakteur und Moderator Arnd Brummer gab es auch so genügend Stoff für kritische Nachfragen.

Sibylle Lewitscharoff hat schon manche öffentliche Debatte angestoßen (Stichworte künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft). 2013 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Auf dem chrismon-Podium lud sie zu "knallharten" Debatten ein. Nur wenn es hart zugehe, werde die Gesellschaft auch in ihren Aggressionen entlastet: "Wehner und Strauß haben diskutiert, bis es krachte." So etwas sei heute undenkbar. Die weichgespülten Diskussionen in der Öffentlichkeit sind ihr zuwider: „Heute müssen nicht nur Frauen, sondern auch die Ameisen berücksichtigt werden.“ Das führe, zum Beispiel an Universitäten, zu "Blähtexten". Lewitscharoffs Botschaft: „Ich fordere mehr Toleranz für die etwas schärfere Rede.“

In vielen Unternehmen muss Streiten erst wieder gelernt werden

Besonderen Nachholbedarf im Streiten sahen Nicola Brüning und Ekkehard Thiesler, die Industrie- und Bankenrepräsentanten auf dem Podium, in der Wirtschaft. Die BMW-Frau macht dafür vor allem die Unternehmensstrukturen verantwortlich: „In Hierarchien gehen gute Ideen verloren, ganz anders als bei agilen Start-ups." Streit mache lebendig, doch nur, wenn es um das gemeinsame Ziel geht, nicht um den eigenen Erfolg. Auch Ekkehard Thiesler fordert, dass in Unternehmen wieder das Streiten gelernt werden müsse: „Bei Betriebswirten kommt es auf Effizienz und schnelle Entscheidungen an.“ Dabei werde unterschätzt, dass der bessere Weg so vielleicht nicht gefunden werde. Damit stießen beide auf Zustimmung bei Arnd Brummer, der an das "protestantische Prinzip" erinnerte: „Nur mit Widerspruch kommen wir weiter.“

Angela Rinn, als Krimiautorin besser bekannt unter ihrem Pseudonym Vera Bleibtreu, ist der Meinung: „Wenn man sich nicht streitet, bleibt man sich fern. Streit bedeutet Lust, bedeutet, sich zu berühren.“ Dabei müsse aber unbedingt eine Kultur des fairen Streitens entwickelt werden, bei „der wir uns nicht vernichten, sondern treffen können.“ Und was ist mit der evangelischen Kirche? Ist sie ein streitbegabtes Milieu? Angela Rinn ist Mitglied der EKD-Synode und weiß: Zumindest die Strukturen dafür sind in der Kirche vorhanden.

Ulrich Khuon steht als Theaterintendant einer Institution vor, auf deren Bühnen Meinungen, Lebensentwürfe, Hoffnungen per definitionem aufeinanderprallen. Streit ist der Humus vieler Theaterstücke. Bemerkenswert, dass gerade Khuon zur Vernunft mahnte: "Erst zuhören, dann reden wird unterschätzt", sagt der Katholik und studierte Theologe, relativiert dann allerdings: "Je körperlicher ein Streit, desto besser." Stil und Takt seien wichtig, aber das bedeute nicht, dem anderen auszuweichen oder klein und leise zu werden.


Volles Haus beim chrismon-Salon im Märkischen Museum

Doch was ist, wenn eine Grenze überschritten werde, wenn es zu Verletzungen komme? Nicola Brüning, die einflussreiche BMW-Frau, erzählt von ihrer Familie. Bei ihnen zu Hause dürfe gestritten werden, doch: "Um 7 Uhr gibt’s Abendessen, und spätestens dann muss man sich wieder vertragen haben." Was sie an Kindern bewundert und verblüfft: "Meine Kinder streiten und streiten, aber eine halbe Stunde später sprechen sie wieder miteinander und alles ist in Ordnung. Als Erwachsene frage ich mich: Wie haben die das gemacht?"

Und dann steht - rein geistig - plötzlich der amerikanische Präsident Donald Trump im Raum. Tatsache ist: Er sorgt dafür, dass man sich wieder mit Politik auseinandersetzt und streitet. Ein erstaunliches Phänomen, wie Ekkehard Thiesler, der Vorstandsvorsitzende der KD-Bank, meint: "Wieso streiten wir? Um einen Kompromiss zu erreichen oder nur um des Streitens willen?" Trump jedenfalls wolle selten einen Kompromiss.

"Deutschland war von einer völkermörderischen Sprache infiziert"

An die Gefahr denunziatorischer Rede, gerade in Deutschland, erinnert die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff: "Vor Generationen war Deutschland mit einer völkermörderischen Sprache infiziert." Vom Reden zum Morden war es dann kein großer Schritt mehr, und diese Gefahr sieht sie auch heute: Wer wirklich aggressiv sei, so Lewitscharoff, möchte Menschen töten: "Sprache ist nicht harmlos. Positionen müssen manchmal unterschiedlich sein, aber wie kann man das so gut im Zaum halten, dass keiner zum Messer greift?"

Moderator Arnd Brummer entlieh sich ein Fazit beim Philosophen Karl Popper: "Keine Toleranz gegen Intoleranz." Das deckte sich mit Lewitscharoffs Erkenntnis: Beim Streit dürfe es nur nicht um Eigensucht in seiner schlimmsten Form gehen, sonst erwüchsen daraus "mörderische Impulse". Für Krimiautorin Angela Rinn eine Steilvorlage: "Ich kann Leute in meinen Büchern umbringen."

Von links nach rechts: Nicola Brüning, Ulrich Khuon, Arnd Brummer, Sibylle Lewitscharoff

Der weit gereiste Theaterintendant Ulrich Khuon seinerseits konnte auch mit Lehrbeispielen aus anderen Ländern aufwarten: Eine formalisierte Höflichkeit wie in Japan mache ihn krank: "Da findet doch gar keine echte Begegnung mehr statt."

"Ich streite mich mit meinen Freunden schon seit 40 Jahren, das hat sich bewährt", bekannte zum Abschluss Sibylle Lewitscharoff. Intendant Ulrich Khuon dagegen blieb verhaltener: "Ich akzeptiere Streit mehr, als dass ich ihn liebe. Man muss sich ihm stellen, aber ich suche ihn nicht unbedingt." Und das war am Ende eine gute Schlusspointe, auch für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf.

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