Andree Volkmann
Woran merke ich, dass ich glaube?
Wenn es so weit ist, dann wird man es merken. Aber ohne die Bereitschaft zu eigenen Erfahrungen passiert vermutlich gar nichts
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
19.03.2017

Glauben und religiöses Wissen sind zwei grundverschiedene Dinge. Man kann Kenntnisse über Religion haben und trotzdem keine persönliche Beziehung zum Glauben. Der Wittenberger Reformator Philipp Melanchthon polemisierte bereits 1521 gegen die Vorstellung, Glauben sei „Zustimmung zu dem ... , was in der Bibel steht“. Dann könnten ja auch die Gottlosen einen Glauben haben. Haben sie aber nicht.

Religiöses Wissen kann man auswendig lernen, Glauben aber ist eine Lebenseinstellung. Sie hat damit zu tun, sich selbst und sein eigenes Leben als Geschenk zu sehen, zudem mit der selbstkritischen Einsicht, dass die eigenen Kräfte und Möglichkeiten begrenzt sind. Religionswissen und Glauben sind so unterschiedlich wie Kopf und Herz, Verstand und Psyche. Oder auf die Uni-Fächer übertragen: wie Religionswissenschaft und Theologie.

„Beten ist der Moment, in dem der Glaube anfängt, sich lebend auszudrücken“, meint Pastor Henning Kiene. Trotzdem sei es gar nicht so leicht, zu merken, ab wann man selber wirklich glaubt.

Woran merke ich, dass ich glaube? Das kann nur jeder für sich selbst beantworten. Aber es gibt Gegenindizien: Sehe ich mein Leben nur als Ergebnis meiner Leistungen, Strategien, Fähigkeiten? Auch der Wunsch, über andere Menschen zu herrschen oder alles zu kontrollieren, passt kaum zur religiösen Einsicht, dass man sich selbst anderen verdankt – Menschen und Gott. Oder die Weigerung, anderen Menschen zu helfen: Auch sie lässt Zweifel daran zu, dass man sich seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit und Unvollkommenheit bewusst ist, jener urreligiösen Einsicht.

Glaube aus Erfahrung

Das Eigenartige am Glauben ist: Man kann nur über ihn urteilen, wenn man sich auf ihn eingelassen, ihn erfahren hat. Das ist allerdings etwas anderes als die experimentelle Erfahrung der Naturwissenschaft und Technik. Dort gilt als wirklich, als real, was sich in Experimenten beliebig oft nachstellen und wiederholen lässt. Experimente in diesem Sinn sind unbrauchbar, wenn es um den Glauben geht.

Die Antwort auf die Frage, „Woran merke ich, dass ich glaube?“, ist paradox. Sie lautet: Wenn du glaubst, wirst du es wissen, spüren. Wenn du die Erfahrung machst, dass du um deiner selbst willen geschätzt wirst, muss du es dir nicht täglich sagen lassen und beweisen, musst du dich nicht wichtig machen, nach Aufmerksamkeit und Komplimenten heischen. Du musst dich nicht ständig neu rechtfertigen, deinen Selbstwert neu unter Beweis stellen.

Glaube braucht – wie andere Lebensbereiche – Erfahrung. Viele unserer innersten Erfahrungen sind wissenschaftlich analysierbar, aber nicht erklärbar. Psychologen suchen nach den Trieben, Pädagogen nach dem Urvertrauen, Neurologen nach Hirnströmen, Historiker nach Traditionen, die uns prägen und festlegen. Aber das erklärt nicht alles.

Vertrauen ins Leben

Es ist ähnlich wie bei der Liebe. Woran merkt man, dass man liebt und geliebt wird? Etwa weil Hormonspiegel und Herzfrequenz bestimmte Messwerte erreichen? Woran merkt man, dass das Leben gelingt? Etwa weil Arbeitszeit, Pkw-Klasse, Dividendenausschüttung und Steuerrückerstattung stimmen? Hormone, Lumenwerte und Dividenden können Glück und Lebenssicherheit beflügeln, aber nicht erklären.

Und der Glaube? Der große Unterschied ist eigentlich ganz klein. Es ist die Bereitschaft, sich selbst als umsorgt, als beschützt zu sehen. Es hat auch mit dem Vertrauen ins Leben zu tun. „Um nichts macht euch Sorge, sondern bringt eure Bitten jederzeit betend und flehend mit Dank vor Gott. Und der Friede Gottes, der alles Begreifen übersteigt (!), wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.“ Eine gelungene Zusammenfassung des biblischen Autors Paulus (Philipper-Brief 4,4-7).

Der Schriftsteller Rolf Schneider (1903 – 1958) las nur ein paar Kapitel der Bibel und stürmte in die kalte Potsdamer Nacht hinaus. „Dieses Buch ist eine Lebensmacht“, schrieb er, es kehre das ganze Leben um. Aber er bemerkte auch: Den Glauben verstehe nur, wer glaubt.

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