chrismon: Warum reichen drei Pflegestufen nicht mehr aus?
Erika Stempfle: Die Pflegestufen bezogen sich vor allem auf körperliche Einschränkungen. Jetzt werden kognitive sowie psychische Beeinträchtigungen und damit auch Menschen mit Demenz genauso berücksichtigt.
Bis 2016 ermittelte man die Pflegestufe anhand des Zeitaufwands für die Schwester und den Pfleger. Ab jetzt gilt „Selbstständigkeit“ als Maßstab für den jeweiligen Pflegegrad. Kann man die überhaupt nachvollziehbar messen?
Ich denke schon. Es gibt sechs Bereiche, zum Beispiel „Mobilität“, „kommunikative Fähigkeiten“ und „soziale Kontakte“. Jeder Bereich ist mit gut nachvollziehbaren Kriterien hinterlegt. Die Kriterien werden auch unabhängig von der konkreten Wohnsituation erhoben: Wenn jemand keine Stufen mehr steigen kann, so spielt es keine Rolle, ob seine Wohnung Treppen hat oder nicht – seine Einschränkung wird berücksichtigt.
Die Pflegereform gewährt viel mehr Geld für die Fürsorge. Mehr Geld bedeutet aber nicht automatisch mehr Qualität.
Stimmt. Der Anspruch lautet ab jetzt, die pflegebedürftigen Menschen in ihrer Selbstständigkeit zu fördern und die Pflege nicht mehr nur an ihren Defiziten auszurichten. Dazu braucht es andere Ausbildungsinhalte und mehr Personal.
Es gibt doch schon jetzt zu wenig Pflegepersonal... Diese Berufe werden aber wieder attraktiver, auch wegen der Pflegereform und der damit verbundenen Neuausrichtung. Wichtig sind jetzt mehr Zeit für Pflege und auch eine angemessenere Bezahlung. Menschen werden Pfleger, weil sie gerne mit Leuten in Beziehung treten, aber die Personalschlüssel sind im Augenblick so knapp bemessen, dass der Kontakt zum Menschen wie auch das Fachliche teilweise zu kurz kommen. Das führt dazu, dass Pflegerinnen und Pfleger ausbrennen und den Beruf verlassen.
Für wen ist die Reform von Nachteil?
Wer ab 2017 erstmals pflegebedürftig wird und in ein Pflegeheim einzieht, bekommt in den niedrigen Pflegegraden weniger Geld, als er noch im vergangenen Jahr bekommen hätte.