Deutsche Gesetzgebung
Sie wird selten unkommentiert gelassen: deutsche Gesetzgebung.
Foto: Ulrich Baumgarten / Varia Images
Mehr als Randnotizen
Kaum gibt es ein Gesetz, wird es schon kommentiert. Das ist kein Gemecker – sondern eine echte Hilfe
14.11.2016

chrismon: Welche Rolle spielen Kommentare bei der juris­tischen Arbeit?

David Kästle-Lamparter: Eine große. Um das Recht verstehen und anwenden zu können, braucht man beides: Gesetz und ­Kommentar. Die Kommentare helfen bei der Auslegung und enthalten Wissen, das Juristen zu Gesetzen oder Rechtsgebieten angesammelt haben. Sie erläutern Begriffe, zum Beispiel: Was genau bedeutet die im Grundgesetz festgehaltene Menschen­würde? Welche Pflichten für den Staat leitet man daraus ab?

Welche Kommentare haben Sie untersucht?

Zunächst betrachte ich ganz Europa, indem ich einen Bogen vom antiken Rom bis ins 21. Jahrhundert schlage. Ab dem 19. Jahr­hundert konzentriere ich mich auf Deutschland.

Was interessiert Sie daran?

Der Blick hinter die Kulissen unseres Rechtssystems. Man lernt, wie es strukturiert ist. Die Rechtsordnung besteht nicht nur aus Gesetzen und Regeln, sondern auch aus Kommunikation. Dazu gehört, dass Juristen Kommentare lesen und schreiben

War ein Zeitalter für die Kommentarliteratur besonders wichtig?

Eine Blütezeit gab es im 12. und 13. Jahrhundert. Die Juristen ­haben den Schatz der antiken römischen Rechtstexte wieder­entdeckt, erschlossen und angewandt. Es gab ein praktisches Bedürfnis nach Recht: Der Handel blühte in Europa. Dafür brauchte man klare, rationale Regeln.

Was hat sich im Laufe der Zeit geändert?

Die Kommentarlandschaft wandelt sich stetig und unterscheidet sich entsprechend den kulturellen und nationalen Rahmenbedingungen. Ein Beispiel: In England orientiert sich die Rechtsprechung an früheren Gerichtsurteilen und Präzedenzfällen. Gesetze – und damit auch Kommentare – spielen eine geringere Rolle als in Deutschland.

Gibt es einen besonders herausragenden Kommentar?

Zum Beispiel die Glosse des Accursius aus dem 13. Jahrhundert. Schon die Optik ist eindrucksvoll: Der Originaltext steht in der Mitte, die Kommentare auf allen Rändern. Kommentiert wird das Corpus Iuris Civilis, eine wichtige, umfangreiche römische Rechtssammlung aus dem 6. Jahrhundert. Das war eine Epochenleis­tung: Accursius hat die antiken Texte kommentiert, die Arbeit seiner Vorgänger zusammengefasst und so das europäische Rechtsverständnis über Jahrhunderte geprägt. Es gab immer wieder Diskussionen, ob die Glosse die gleiche Autorität hat wie das Gesetz selbst, also strikt zu befolgen ist.

Welche Rolle spielt der Gesetzeskommentar in der Moderne?

Die Masse an Gesetzen und Urteilen wächst unaufhaltsam. Für den Einzelnen ist es unmöglich, alles selbst zu lesen. Selbst ­Kommentarschreiber haben Mühe, die Informationsflut zu be­wältigen. Deswegen werden Kommentare, die das Wissen prä­zise aufbereiten, künftig noch wichtiger.

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