Ganz klein weht sie im Sucher. Durchs Fernrohr ist im Dorf Batnay ein Wasserturm zu sehen, darüber die Flagge des Islamischen Staats (IS). Etwa zehn Kilometer außerhalb Mossuls verläuft die Front zwischen IS-Territorium und kurdischer Autonomieregion im Irak. In Bakufa, drei Kilometer vor Batnay, stehen die Einwohner des Dorfes selbst an den Waffen. „Dwekh Nawsha“ nennen sie sich, das aramäische Wort für „Aufopferung“. Viele Vororte Mossuls sind fast ausschließlich von Assyrern besiedelt, Mitgliedern der chaldäisch-katholischen Kirche.
Als am 6. August 2014 der IS kam, flohen die kurdischen Truppen und mit ihnen die christliche Miliz. Die Menschen flohen aus Batnay, ebenso aus Bakhdida, einem kleinen Ort 30 Kilometer östlich von Mossul. Auch da leben keine Christen mehr. Alle 50 000 Einwohner sind Richtung Osten geflohen. Bis heute hält der IS Bakhdida.
Damals organisierte sich in der Gegend eine Gruppe von Männern als Dwekh Nawsha, um ihre Heimatdörfer in der Ninive-Ebene zu verteidigen. Samir ist fast 60, einer der Älteren in der Miliz. Er hat bereits unter Saddam Hussein gedient. Seine Miliz hat zwei Gruppen zu je 25 Mann, die meisten von ihnen zwischen 20 und 35 Jahre alt. Sie hatten bis August 2014 keine Kampferfahrung. Heute können sie mit Mühe Sharafya, Telskuf und Bakufa halten.
Die gemeinsame Basis für fast alle ist derselbe Feind
Zivilisten findet man in den Dörfern fast keine mehr. An den Checkpoints zur Straße im Norden, welche die Dörfer mit der Großstadt Dohuk verbindet, stehen die kurdischen Peschmerga. Man hat sich arrangiert. „Der Feind unseres Feindes ist unser Freund“, sagt Sargon, ein Mittzwanziger aus der Miliz.
Der Autor
###drp|P3F_MPniHGuNfCzvYMRJLWt100118950|i-43||###Philipp Breu, 27, besuchte vor zwei Jahren den Irak zum ersten Mal. Bei seinem jüngsten Besuch erlebte er das Land zersplitterter als damals.
„Die Araber und die Kurden haben uns noch nie anständig behandelt, wir wurden bisher bestenfalls toleriert“, sagt der christliche Milizionär Sargon. Gerne würde seine Miliz mehr Mitglieder aufnehmen. Aber es fehlt nicht nur an Geld für die Ausrüstung. „Die Kurden würden niemals dulden, dass wir Christen hier eine große bewaffnete Gruppe stellen“, sagt Sargon, während er mit dem Fernglas den Horizont absucht.
Mit einem militärischen Sieg über den IS wäre der Irak nicht gerettet
In Sulaimaniyya, einer Stadt mit 1,6 Millionen Einwohnern im kurdischen Hinterland, steht das Kloster der Jungfrau Maria. Der Berliner Jens Petzold hat es 2011 gegründet. 2014, als Bakhdida fiel, nahm sein Kloster vorübergehend etwa 200 Vertriebene auf. „Der IS ist für mich eine Gruppe von Häretikern“, sagt der 53-Jährige. Er hat wenig Hoffnung, dass Bakhdida bald befreit werden könnte.
Nabil Habib Moussa, 57, Zimmermann aus Bakhdida, hat als Vertriebener in Petzolds Kloster Unterschlupf gefunden. Er könne nicht einfach in seine Heimatstadt zurückkehren. „Das Problem ist nicht nur der IS. Sondern frühere Nachbarn haben den Islamisten entweder den Weg zu unseren Häusern gezeigt oder sogar selbst geplündert. Wie sollen wir jemals wieder einander trauen können?“ Dass es einmal einen stabilen Irak geben kann, unter dem alle Ethnien und Religionsgemeinschaften friedlich nebeneinander leben, scheint fraglich. Mit einem militärischen Sieg über den IS wäre der Irak jedenfalls nicht gerettet.
Die ganze Gesellschaft steht davor, entlang konfessioneller und ethnischer Grenzen geteilt zu werden. Viele Kurden und Schiiten fürchten schon heute, dass sunnitische Araber sich in ihren Heimatdörfern und -städten dauerhaft ansiedeln. Wenn sie dorthin überhaupt jemals zurückkehren könnten, wären sie in der Minderheit – und vermutlich nicht mehr willkommen.
Selbst die Kurden sind untereinander nicht eins
Die Kurden im Norden wünschen sich schon lange mehr Autonomie. Ihre Streitkräfte, die Peschmerga, verhalten sich weder dem Irak noch irgendeiner konfessionellen Gruppe gegenüber loyal, sondern entweder dem Parteivorsitzenden Masud Barzani oder dem alten, erkrankten Dschalal Talabani – welchem der beiden Stammesführer, da sind sich die Kurden derzeit uneins.
Lesetipp
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Woher kommt der "Islamische Staat", warum schließen sich ihm Jugendliche an? Lesen Sie dazu das Interview mit der Nahostexpertin Younis Nussaibah aus der chrismon plus-Ausgabe Oktober 2015.
Doch selbst die sind untereinander nicht eins. Die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK), haben eigene Einheiten. Wie KDP und PUK die aus dem Ausland gelieferten Waffen verteilen und wer welche Ausbildung nach welchen Kriterien bekommt, können die Bundeswehrsoldaten nicht nachvollziehen.
Deutschland will die Unterstützung für die Kurden ausbauen
Auf dem Grundstück einer kleinen Kaserne etwa zehn Kilometer außerhalb von Erbil versuchen 80 Soldaten aus westlichen Staaten, darunter auch Deutschland, den Peschmerga beizubringen, wie Erste Hilfe funktioniert, wie man Minen sucht und entschärft, Karten nutzt und an den Waffen trainiert.
„Das ist ein Einsatz, hinter dem jeder steht. Bei keinem meiner Kameraden hier gibt es Zweifel daran“, sagt ein Major namens Robert von der deutschen Ausbildungseinheit beim Schießtraining. Die Bundeswehr und die militärischen Ausbilder aus Großbritannien, den Niederlanden und Italien sind stolz darauf, wie gut das vierwöchige Training ankommt. Etwa 2000 Soldaten wurden bereits trainiert. Die meisten waren schon an der Front. Das Bundesverteidigungsministerium will die Unterstützung ausbauen.
Die Deutschen beliefern die Kurden auch mit Waffen. Sie werden am Flughafen Erbil an einen Delegierten des Peschmerga-Ministeriums übergeben. Was das deutsche Engagement bringt, weiß im deutschen Lager niemand so genau. Ebenso wenig, was mit dem gelieferten deutschen Waffen geschieht.